„An Intoleranz kaum zu überbieten“: Ikke Hüftgold über ESC-Shitstorm
Weil Ikke Hüftgold zum ESC wollte, bekam er kräftig Gegenwind. Darüber sowie seine Vorbilder und Ambitionen spricht Matthias Distel (bürgerlicher Name) im Interview.
Hamm - Ja, er meinte es ernst. Matthias Distel (46) wollte mit seiner Kunstfigur Ikke Hüftgold zum Eurovision Song Contest 2023. Und er ist davon überzeugt, dass er dort besser abschneidet als die deutschen Vertreter in den Jahren zuvor.
Kurz vor dem deutschen Vorentscheid am Freitag (22.20 Uhr, live in der ARD) und der Entscheidung, dass der Partyschlager-Sänger nicht zum ESC nach Liverpool darf, bekam er viel Gegenwind. Im Gespräch mit Marcel Guboff von wa.de - vor der Show für „Unser Song für Liverpool“ - erklärte Matthias Distel alias Ikke Hüftgold seine Beweggründe und spricht über Shitstorms, Idole – und wie er es seinen Kritikern zeigen will.
Zum Eurovision Song Contest wird Ikke Hüftgold für Deutschland nicht fahren - aber mit seinem Auftritt und dem „Lied mit gutem Text“ wurde er Zweiter. Gewonnen haben den ESC-Vorentscheid Lord of the Lost - also wird im Mai Heavy Metal statt Partyschlager zu hören sein.
Ikke Hüftgold zum ESC-Gegenwind: „An Intoleranz kaum zu überbieten“
Wieso will Ikke Hüftgold zum ESC?
Matthias Distel: Es wird Zeit, dass da mal wieder Humor reinkommt. 25 Jahre, ein Vierteljahrhundert, ist es jetzt her, dass Guildo Horn da mal richtig aufgeräumt hat. Und ich glaube, Deutschland ist bereit für Humor – gerade in diesen wilden und schlechten Zeiten rund um Corona, Krieg und Erdbeben. Mein Ansporn ist, den Humor aus dem Partyschlager auf die internationale Bühne zu bringen.
Was verbinden Sie persönlich mit dem ESC?
Matthias Distel: Ich habe damals mit meinen Eltern gemeinsame TV-Abende gehabt und dann irgendwann angefangen, selbst Musik zu machen. Ich war immer fasziniert vom ESC, dem größten Musik-Wettbewerb der Welt mit knapp 200 Millionen Zuschauern. Vor einigen Jahren habe ich Ralph Siegel kennenlernen dürfen und habe durch ihn unfassbar viel über den ESC erfahren. Da habe ich mir gesagt: Wenn sich da mal die Gelegenheit bietet, dann werde ich mich auf jeden Fall bewerben.
Für Ihre Bewerbung kommt Ihnen ja viel Hass entgegen.
Matthias Distel: Hass ist ein viel zu starkes Wort dafür, das ist zuletzt etwas falsch rübergekommen. Die Leute haben ein unfassbar großes Unverständnis, die sich nicht mit unserer Szene oder mit meiner Person befasst haben. Das ist an Intoleranz kaum zu überbieten. Gerade die Leute aus der ESC-Bubble, die ein Problem mit mir haben, stehen doch eigentlich für diesen toleranten Musik-Wettbewerb. Da werde ich jetzt Überzeugungsarbeit leisten und dem einen oder anderen hoffentlich zeigen können, dass wir keine Idioten sind und den ganzen Tag nur Alkohol saufen. Wir sind wirklich fleißige Leute, die für unsere Gesellschaft auch einen großen Dienst tun. Ohne Humor und ohne Partymusik wäre das ganze Land und die ganze Situation etwas trostloser – so sehe ich das zumindest. Von daher sollte man zumindest die Toleranz haben, um zu sagen: Das ist eine gute Farbe für den ESC.
Ikke Hüftgold will dem ESC neuen Schwung verleihen
Kann so ein Shitstorm helfen?
Matthias Distel: Dieser kleine Shitstorm aus der alteingesessenen ESC-Ecke, die das nicht versteht, hilft natürlich, weil eine Diskussion entsteht. Es malt sich jetzt jeder seine Bilder im Kopf aus, was passiert, wenn Ikke Hüftgold wirklich gewinnt und ob der ganze Wettbewerb damit in den Dreck gezogen wird. Ich sage jetzt schon: Nein! Ich glaube, dass ich jemand bin, der dem ESC neuen Schwung verleihen und zur alten Prominenz verhelfen kann. Der ESC gehört einfach voll in die Mitte der Gesellschaft. Es ist einer der größten und schönsten Wettbewerbe, die wir auf der Welt haben. Er findet so wenig Beachtung in Deutschland – jetzt hat er schon mal mehr Beachtung als vergangenes Jahr. Und ich hoffe, dass sich nächstes Jahr wieder glanzvollere Acts mit großen Namen bewerben werden und stolz darauf sind, für Deutschland ins Rennen zu gehen.
Haben Sie das Ganze denn mittlerweile bereut?
Matthias Distel: Bereut habe ich noch nichts. Aber ich hätte nicht gedacht, dass für einen dreiminütigen Auftritt 300 Tage Vorbereitungszeit benötigt werden. Das habe ich unterschätzt. Aber ich freue mich einfach riesig und bin dankbar für diese Chance, die ich da jetzt bekomme.
Der ESC steht eigentlich auch für Frieden, für den Austausch der Kulturen. Aufgrund der aktuellen Entwicklung pure Ironie?
Matthias Distel: Der ESC ist völkerverbindend. Es ist schlichtweg schade, wenn es zu politisch wird. Es sollte sich auf den Spaßfaktor, auf die Musik und die Qualität der Acts beschränken. Dieses Länder-Denken sollte hintenangestellt werden. Musik vereint die Welt – das ist das Schöne an diesem Wettbewerb.

Ikke Hüftgold will mit „Lied mit gutem Text“ zum ESC – „Schlechte Texte konnten ja die letzten Bewerber“
Zur Wahrheit gehört, dass Ikke Hüftgold auch in Deutschland umstritten ist.
Matthias Distel: Das stimmt, dass ich seit gut 12, 13 Jahren polarisiere. Ich bin eine streitbare Persönlichkeit – und die Kunstfigur ist sehr streitbar. Aber Ikke Hüftgold ist Satire. Diesen Diskussionen muss ich mich stellen. Ich muss aber auch akzeptieren und vor allem tolerieren, dass manche Leute mit mir ein Problem haben. Das ist in Ordnung, aber darüber kann man auch sachlich reden. Ich sehe mich als eine schöne, bunte Farbe und als Teil unserer Musik-Kultur, die seit Hunderten Jahren so gewachsen ist und die immer wieder den Alkohol, die Vermehrung und die Geschlechtsteile beinhaltet hat – ob das Roland Kaiser war mit ‚Santa Maria‘ oder Udo Jürgens mit ‚17 Jahr, blondes Haar‘. Frauen, Alkohol, das schöne Leben – aber auch wir Männer mit einer ironischen Selbstnote waren immer Bestandteil der Musik.
Wieso das „Lied mit gutem Text“ für den ESC?
Matthias Distel: Schlechte Texte konnten ja die letzten vier Bewerber – das war die Analyse von Ikke Hüftgold (lacht). Es muss einen Grund gegeben haben für die schlechten Platzierungen. Deshalb das „Lied mit gutem Text“. Das ist die banale, vielleicht auch leicht dümmliche Erklärung von Ikke Hüftgold. Und Matthias würde sagen: ‚Ich habe mir halt Gedanken gemacht, wie ich den NDR dazu bringe, dass er mich nimmt.‘ Da muss die Wortwahl so gewählt sein, dass ich noch kompatibel bin für die ARD, ohne dass ich allen auf die Füße trete.
War es eventuell sogar eine Überlegung, als Matthias Distel zum ESC zu fahren? Unter Ihrem eigentlichen Namen machen Sie schließlich auch Musik.
Matthias Distel: Ja, ich hatte ganz kurz überlegt, mich mit einem eigenen Song zu bewerben – ich mache für mich und mein Seelenheil andere Musik. Ich wollte aber nicht zweigleisig fahren, und Ikke ist halt auch die schillernde Figur des deutschen Partyschlagers (lacht). Dafür habe ich mir sehr viel mehr Aufmerksamkeit erhofft – und die habe ich jetzt auch bekommen. Jetzt darf ich auf die Bühne, und danach reden wir nochmal, ob das gut war (lacht).

Ikke Hüftgold lässt sich auf Wette mit Nino de Angelo ein
Nino de Angelo prophezeit Ikke Hüftgold beim ESC – sollte er es so weit schaffen – „einen der letzten Plätze“. Spornt so etwas an?
Matthias Distel: Zu Nino sage ich eigentlich nie ‚no‘. In diesem Fall sage ich: ‚Lass und doch eine Wette machen, lieber Nino.‘ Ich glaube, dass wir den Sprung ins vordere Drittel nach Europa schaffen. Das Rezept dafür bastele ich gerade. Und wenn es so weit kommen sollte, setze ich mich gerne mal mit Nino zusammen. Vielleicht hat er auch noch ein paar Tipps.
Also rechnen Sie sich gute Chancen aus im Falle einer ESC-Teilnahme?
Matthias Distel: Ich rechne mir da gute Chancen aus, weil Europa sehen wird, mit wie viel Humor und Spaß wir auf die Bühne gehen. Vielleicht gibt es ja auch noch eine textliche Überraschung, damit uns mehr Leute verstehen. Aber das werden wir dann sehen, wenn es so weit ist.
Stefan Raab nahm 2000 mit „Wadde hadde dudde da?“ am ESC teil und wurde mit dieser vergleichsweise auch nicht ganz ernst gemeinten Nummer Fünfter – die drittbeste deutsche Platzierung der vergangenen 22 Jahre. Ist das vielleicht sogar eine Art Bestätigung – oder gar Vorbild?
Matthias Distel: Stefan Raab ist ein Vorbild – in erster Linie als Produzent, Medienschaffender, Kunstschaffender und Entertainment-Idol. Er und Guildo Horn sind ein gutes Vorbild für Ikke. Ich habe mir immer von allen das Beste herausgesucht und einen schönen Mix gemacht – dazu gehört auf jeden Fall Stefan Raab.
Über ein Thema kommen wir nicht herum: Sie sind Produzent des höchst umstrittenen Party-Songs „Layla“. Hilft Shitstorm manchmal vielleicht sogar?
Matthias Distel: Viele sagen: Jede Presse – auch schlechte – ist gute Presse. Davon bin ich nicht ganz überzeugt. Wir haben ja auch nicht wirklich einen Shitstorm erlebt. Es gab drei, vier Leute in Deutschland, die damit ein Problem hatten. Die haben dann eine Welle der Begeisterung ausgelöst. Shitstorm geht anders, aber es war natürlich toll, dass das passiert ist. Das hat uns zu noch mehr Ruhm verholfen – auch wenn der Ruhm für den einen oder anderen manchmal zweifelhaft scheint (lacht). Aber alle Beteiligten haben da einen riesigen Job gemacht. Der Partyschlager und die Leute, die das feiern, haben mit Begeisterung darauf geantwortet.
Zum Abschluss: Wenn ich als Ikke Hüftgold zum ESC fahren darf, dann …
Matthias Distel: … nehme ich euch alle mit zur größten Freibier- und Frei-Bembel-Party Deutschlands. Da sind im Vorfeld alle eingeladen. In Liverpool würde ich mir gerne mal mit Jürgen Klopp in der Kneipe, wo die Beatles aufgetreten sind, den Arsch voll kloppen. Und das meine ich genau so, wie ich es gesagt habe.