Unperfekt, aber erfolgreich

ESSEN - Das Unperfekthaus in Essen ist ein kreativer Schmelztigel. Hier treffen Künstler und Kreative auf Anzugträger und Führungskräfte. Jetzt wird eine Kirche Teil des Konzepts.
Von Eike Rüdebusch
An einem ganz normalen Wochentag ist das Unperfekthaus (UpH) in der Fußgängerzone in Essen nicht besonders voll. Auf den sieben Stockwerken des ehemaligen Klosters gehen einige Künstler ihrer Arbeit oder ihrem Hobby nach. Einige Besucher sitzen im Eingangsbereich und trinken Kaffee während sie im Internet surfen, einige gehen mit großen Augen durch die Flure. Hier gibt es viel zu sehen.
Heiko Lahne, der seit 2012 einen Raum hier im UpH angemietet hat, sagt selbst, ihm fielen manche Schilder und Bilder erst nach einigen Jahren auf. Lahne baut unter dem Namen „Kuban Wood & Metal Werks“ Möbel im Keller des Hauses. Er hat als Monteur im Gasnetz angefangen. „Dabei habe ich die Leidenschaft für die Arbeit mit Metall entwickelt“, sagt er. 2011, nach einem längeren Auslandsaufenthalt, hat er dann beschlossen sich selbstständig zu machen. Das UpH gibt ihm die Freiheit, zu günstigen Konditionen zu arbeiten. „Fixkosten brechen vielen Selbstständigen das Genick“, hat er gelernt. So lange diese ein Risiko für ihn darstellen, bleibt er hier.
Im UpH kann jeder gleichzeitig Gast und Teilnehmer, Konsument und Produzent sein. Es ist ein Treffpunkt für Kreative, erklärt Markus Urselmann, Eventmanager des Hauses:
Wichtig, so Urselmann, seien nur drei Kriterien: „Was hier passiert, muss kreativ, interessant und öffentlich sein.“ Dann könne man hier arbeiten. Das UpH stellt die Räume, die Technik, die Möbel, Internet und alkoholfreie Getränke. Etwa 500 angemeldete Künstler machen davon Gebrauch. Das ganze werde finanziert durch vier Säulen, auf denen das Unperfekthaus steht, erklärt Urselmann:
Firmen und Privatleute kämen gerne, erklärt Urselmann. „Wir sind anders.“ Vor zehn Jahren habe man noch Flyer verteilen müssen, dass im UpH keine Sekte zu Gange sei, heute gelte es als so etwas wie die Sperrspitze der Kulturszene des Essener Nordens. „Hier kann man die Kreativität förmlich atmen“, schwärmt Urselmann.
500 Künstler und Gruppen arbeiten an 800 Projekten
Tatsächlich geht man durch die Flure und Treppenhäuser wie ein Besucher in einem aktiven Museum. Alles ist lebendig, alles in Bewegung hinter jeder Tür oder Wand sitzt jemand, der gerade an irgendeinem Projekt arbeitet. Über 800 seien angemeldet, von 500 Künstlern, Vereinen und sonstigen Gruppen, sagt Urselmann. Einige kämen täglich, andere nur zwei Mal im Jahr.
Ariyada Kandege, der Ruhrstadtmaler, kommt sechs Tage die Woche. Er ist einer der wenigen im Unperfekthaus, die es geschafft haben: Er lebt ausschließlich von seinen Bildern. Seine filigranen Städteportraits sind 2010 im Zuge der Kulturhauptstadt bekannt und berühmt geworden. Der sympathische studierte Maler aus Sri Lanka war zuvor Oberkellner im Handelshof Essen.
Der Buddhismus hat die Kunst beeinflusst
Seine spezielle Technik habe viel mit seiner Religion zu tun, sagt er. "Ich habe als Buddhist in meiner Heimat schon als Kind gelernt, zu meditieren und mich völlig zu konzentrieren." Das sei die Grundlage für seine filigranen Arbeiten. "Außerdem habe ich ein gutes geografisches Gedächtnis. Für das Städtebild von Köln bin ich erst einmal 1,5 Monate durch Köln gereist und habe die Stadt kennengelernt, um sie auf Papier bringen zu können." Letztendlich habe er für das Bild acht Monate gebraucht. Das schlägt sich aber auch im Preis nieder. Eines seiner Städtebilder koste schon so ab 20.000 Euro aufwärts. Aber Kandege weiß, dass sich das nicht jeder leisten kann. Deswegen druckt er auch Postkarten und Poster mit seinen Motiven - und malt auch günstigere Bilder:
Der Ruhrstadtmaler ist aber nicht der Prototyp eines Künstlers im Unperfekthaus. Susanne Scheidle ist das vielleicht eher. Sie ist vor kurzem arbeitslos geworden, nach 30 Jahren als Sekretärin, und möchte nun ihr altes Hobby aufleben lassen und vielleicht professionalisieren. Seit Anfang Oktober mietet sie sich eine Tisch im UpH. Hier malt sie, im größten Atellier des Hauses, das sie mit etwa 20 anderen Künstlern teilt. "Hier kriege ich Anregungen und Kritik durch die anderen Künstler", freut sie sich über das Umfeld. Derzeit male sie eine Serie von Bildern, auf denen Affen in menschlichen Umgebungen zu sehen sind – ein Affe an einer Obstkorb, ein Affe in einem dunklen Kinderzimmer. "Vielleicht wird man das irgendwann meine Affenperiode nennen", scherzt sie in Anlehnung an Picassos Blaue Periode.
Fotostrecke: So arbeiten die Künstler im UpH
Scheidle steht am Anfang ihrer Künstlerkarriere. Sie lernt von ihren Mit-Künstlern im UpH noch die kleinen Nebensächlickeiten, etwa, dass sie einen Holzstock über das Bild legt um damit das Bild vor den Bewegungen ihrer Hand zu schützen."Ich komme drei oder vier viel Mal die Woche für fünf bis sechs Stunden hierher", erzählt sie. Natürlich komme sie um zu malen, aber es sei ebenso wichtig aus dem Haus zu kommen und andere Menschen um sich zu haben.
Das Unperfekthaus bietet neben dem günstigen Raum eben auch die Gewissheit, nicht alleine sein zu müssen, wenn man an Projekten arbeitet. Das betrifft die anderen Künstler ebenso wie die Gäste, die ständig durch die Flure wandern.
Die Gäste bringen Auftragsarbeiten
Sabine Dio aus Krefeld profitiert davon, sagt sie. So kämen schon ab und an Auftragsarbeiten rein. Sie formt Plastiken und Portraits aus Ton und Wachs um daraus dann etwa Gußvorlagen zu machen für Kunstwerke aus Bronze. Sie teilt sich einen Raum mit gläsernen Wänden mit einer Goldschmiedin und einer Schmuckdesignerin. Sie ist seit zwei Jahren im Unperfekthaus, hat aber noch eine kleine Gallerie in Wuppertal. "Da verkaufe ich aber eher Dinge, als dass ich sie herstelle. Hier im Unperfekthaus habe ich dafür eher Ruhe und Zeit, konzentriert an meinen Werken zu arbeiten", sagt sie. Dafür verkaufe sie dort weniger. Hier erklärt sie ihren Arbeitsprozess:
Dass es schwer ist, im Unperfekthaus Aufträge zu ergattern oder Dinge zu verkaufen, bestätigt auch Heiko Lahne, der Möbeldesigner. Trotzdem biete die Einrichtung alles, was man als Künstler brauche: Die Räume, die Infrastruktur, die Ruhe und eben auch Publikum.
Das Unperfekthaus ist vielen Künstlern ein zu Hause, egal, ob sie mit ihren Arbeiten Geld verdienen oder nicht. Die Sicherheit, dort umsonst arbeiten zu können bis die Kunst mehr als nur Hobby ist, wird durch die kommerziellen Interessen des Hauses gewahrt. Das Haus hat sich in den vergangenen zehn Jahren stets erweitert und verschiedene Nebenprojekte aufgebaut, erklärt Urselmann:
Jetzt wird ein neues Standbein dazukommen. Am Samstag findet der dritte Essener Art-Walk start. Während Künstler an 25 Standorten im Essener Norden Ateliers, Bühnenkunst und Musik präsentieren, wird die Kreuzeskirche wiedereröffnet. Etwa ein Jahr wurde diese kernsaniert, erzählt Boris Buchwald, Betriebsleiter im UpH, während einer Führung durch das Gotteshaus.
Die Kirche unverkrampft nutzen
Der Kirche fehlte das Geld für die Sanierung. Dieses wurde dann durch den Bauunternehmer Rainer Alt, Fördergelder der Stadt und eben das UpH gestellt. Unternehmer Alt ist jetzt Besitzer der Kirche. Nutzungsrechte haben die Kirchengemeinde, das Forum der Kreuzeskirche und das UpH. Buchwald spricht von einem „Pionierprojekt“: Ab Samstag werden dort Konzerte und Partys stattfinden, man könne die Kirche auch für Businesstreffen mieten. Die Kirche sehe das unproblematisch. „Die Gemeinde ist weltoffen und unkompliziert“, ist er sich sicher und hofft auf einen Erfolg.
Urselmann ist gespannt, wie die Kirche ankommen wird. „Verkaufen sie mal eine Kirche als Event-Ort“, scherzt er und deutet an, dass so ein Ort für diese Zwecke erst einmal erschlossen und beworben werden muss. In diesem Sinne steht auch die Eröffnung. Das UpH startet am Samstag mit „Lockerungsübungen“ unter dem Motto: „Schaffen wir es, eine Kirche unverkrampft zu nutzen?“ Vor zehn Jahren hat das mit einem alten Kloster schon einmal geklappt.