Unzumutbare Zustände in Schlachthöfen - „Sie kommen dann wie die Bettler“
Ein neues Gesetz und mehr Kontrollen sollen seit einiger Zeit für bessere Bedingungen in Fleischbetrieben sorgen. Aber klappt das? Eine Schlachthof-Arbeiterin erzählt.
Ausbeutung, Einschüchterung und 16-Stunden-Tage – fleischverarbeitende Unternehmen aus NRW wie Tönnies oder Westfleisch gerieten während der Corona-Pandemie wegen ihres fragwürdigen Umgangs mit dem Personal in den Fokus. Ein neues Gesetz und mehr Kontrollen sollen seit einiger Zeit für Besserung in den Betrieben sorgen. Wir haben einen Blick in die Praxis geworfen.
Beginnen wir diese Geschichte mit einem Achselzucken. Als Ioana (Name geändert) gefragt wird, was sich seit Einführung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes im Januar 2021 für sie verbessert hat, zieht die Rumänin die Schultern nach oben, hebt die Hände und schaut einen an, als sei man gerade aus einer fliegenden Untertasse geklettert. Aus einer, die von ganz weit hergekommen ist.
Weiter unzumutbare Zustände in Schlachthöfen - „Sie kommen dann wie die Bettler“
Ioana will anonym bleiben, weil sie Repressalien an ihrem Arbeitsplatz befürchtet. Sie ist eine Frau in mittleren Jahren und arbeitet bei Westfleisch, einem der Unternehmen, die ähnlich wie Tönnies während der Pandemie durch die massiven Corona-Ausbrüche in veritable Negativ-Schlagzeilen gerieten. Und bei denen man auf einmal genauer hinschaute, was die Arbeitsbedingungen angeht. Es war kein schöner Anblick, der sich bot. In manchen Betrieben herrschten Verhältnisse, die an den Beginn der Industrialisierung erinnerten: ungeregelte Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden, prekäre Unterkünfte, Werkverträge und Leiharbeit – von Arbeitnehmerrechten oftmals keine Spur.
Die Politik reagierte auf diese lange bekannten Missstände angesichts der Schlagzeilen auf einmal schnell. Vom ersten Entwurf im Juli 2020 dauerte es nur ein paar Monate, bis das Arbeitsschutzkontrollgesetz Anfang 2021 in Kraft trat, das „geordnete und gesicherte Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie herstellen“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) soll. Im Kernbereich der Fleischwirtschaft sind seitdem Werkverträge generell und Leiharbeit grundsätzlich verboten. Arbeitszeiten müssen elektronisch und manipulationssicher aufgezeichnet werden. Bei Verstößen drohen entsprechende Bußgelder.
Westfleisch-Arbeiterin packt aus: „Es fehlen einfach Stunden. Es wird manipuliert.“
Ioana berichtet dennoch weiter über teils unzumutbare Zustände. Wie über Unstimmigkeiten über die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und denen, die letztlich vergütet würden. Als Beispiel führt sie die Samstagsarbeit an, zu der sie oft aufgefordert würden. „Sie kommen dann wie Bettler“, sagt sie in Richtung ihrer Vorgesetzten. Und machten leere Versprechungen, wie beispielsweise, dass es fünf Euro pro Stunde mehr geben werde. Geld, von dem in der Abrechnung dann jede Spur fehle. Und nicht nur das: Wenn sie drei Samstage im Monat gearbeitet habe, tauche auf dem Lohnzettel nur ein kompletter Samstag plus zwei zusätzliche Stunden auf. „Es fehlen einfach Stunden. Es wird manipuliert.“
Auch die vorgeschriebene digitale Zeiterfassung helfe oftmals nicht; entweder weil die Chips nicht richtig funktionieren würden oder die Stundenabrechnung letztlich undurchsichtig sei. Da viele der Arbeiterinnen und Arbeiter auch mit einem – übrigens für sie kostenpflichtigen – Fahrdienst in die Werke gebracht werden, hätten sie oft keinen Einfluss auf die Abfahrtszeiten. „Wir sind manchmal schon um 14 Uhr da, auch wenn die Schicht erst um 15 Uhr beginnt“, sagt sie. Die Stunde Wartezeit werde nicht berechnet. Und ein Ausweichen auf den öffentlichen Nahverkehr sei oft schwierig, da die Verbindungen sehr lückenhaft seien. Und es nach einer Spätschicht oft gar keine Möglichkeit mehr gebe, mit einem Bus zurück nach Hause zu kommen.
Weiterhin Kritik an den Zuständen in Schlachthöfen — Westfleisch weist Kritik zurück
Westfleisch seien diese Probleme nicht bekannt, heißt es auf Anfrage unserer Redaktion. Auf die Frage, ob das Unternehmen Kenntnis über Unstimmigkeiten bei den Abrechnungen habe, heißt es: „Nein, aber Kritik an Arbeitsverhältnissen nehmen wir sehr ernst.“ Die Frage, ob die digitale Zeiterfassung für alle Mitarbeiter komplikationslos funktioniere, beantwortet das Unternehmen mit: „Ja.“
Auch das Klima in den Betrieben sei oft dasselbe geblieben, was im Dezember bei einer ersten Zwischenbilanz von Experten aus Politik, Arbeitsschutz und Beratungsstellen bestätigt wurde. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter, die vorher bei Subunternehmern einen Werkvertrag abgeschlossen hatten, seien nun zwar direkt beim Unternehmen angestellt, wie auch Ioana. Doch eben nicht nur sie. Gleichzeitig seien auch viele Leitungskräfte und Vorarbeiter eingestellt worden. So habe sich die Unternehmenskultur oftmals kaum geändert, Gängelei und Einschüchterung gehörten weiter zur Tagesordnung.
Auch hiervon hat Westfleisch nach eigenem Bekunden keine Kenntnis. Auf die Frage, ob das Unternehmen von Gängelungen und Einschüchterungen wisse, heißt es erneut: „Nein, aber Kritik an Arbeitsverhältnissen nehmen wir sehr ernst.“
Schlachthöfe in NRW: Arbeiterinnen kippen am Fließband um
Ioana erzählt von Arbeiterinnen, die am Fließband umgekippt seien, als sie mal wieder von den direkten Vorgesetzten angeschrien worden waren. Weil sich der Stress so angestaut habe. Eine Entschuldigung komme danach nicht, auch werde nicht mehr Rücksicht genommen. Außer, es schalten sich externe Stellen wie „Arbeit und Leben“ ein. Der unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund getragene Verein berät unter anderem Beschäftigte im Niedriglohnsektor, die aus Rumänien, Bulgarien oder anderen Ländern nach Deutschland gelockt worden sind.
Bei „Arbeit und Leben“ kennt man diese Geschichten nur zu gut. Immer wieder suchten und fänden Betriebe Lücken und Schlupflöcher, die sie zum eigenen Vorteil nutzten. Beispielsweise bei Kontrollbesuchen von Behörden. Da diese aufgrund der Hygienebestimmungen stets ein paar Minuten Vorlaufzeit brauchen, werde diese Zeit dazu genutzt, die Arbeitsbedingungen in der Produktion anzupassen: die Bänder liefen langsamer, die Personalstärke werde erhöht. Und immer wieder gebe es auch den Versuch der Einflussnahme im privaten Bereich: So sei einer schwangeren Arbeiterin auch schon mal ans Herz gelegt worden, das Kind doch besser abzutreiben.
Auch Verletzungen oder gesundheitliche Probleme haben offenbar keine große Relevanz. Als sich Ioana einmal während der Schicht verletzt hatte und aufgrund einer schmerzhaften und deutlich sichtbaren Schwellung arbeitsunfähig war, sei sie nicht freigestellt worden und habe weiterarbeiten müssen. Auch Arbeitsunfälle würden oft nicht als solche deklariert.
NRW-Arbeitsminister Laumann: „Können als Land nur mit Kontrollen weitermachen“
Beschwerden verliefen meist im Sande. „Wen soll ich kritisieren?“, fragt Ioana. Wenn sie sich beim Vorarbeiter beschweren würde, heiße es oft, dass er dafür nicht zuständig sei. Ginge man zu einer anderen, übergeordneten Stelle, heiße es oft lapidar: Da könne man nichts machen. Oder man werde sofort ausgelacht. Westfleisch verweist auf unsere Anfrage auf einen externen Rechtsanwalt, an den sich Mitarbeitende wenden können: „Bereits seit mehreren Jahren kann sich jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter – auch anonym – mit Vorwürfen und Hinweisen an eine neutrale Stelle wenden: Ein unabhängiger Ombudsmann (externer Rechtsanwalt) überprüft sämtliche Hinweise, die das Unternehmen oder er selbst erhalten“, heißt es.
Auch NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist sich der Problematik bewusst. „Wir können als Land nur mit den Kontrollen weitermachen. Und zum Teil erhebliche Ordnungsgelder erheben. Die Situation hat sich verbessert, ist aber noch nicht da, wo sie hin soll“, sagte der Politiker im Dezember auf der Tagung in Dortmund.
Experten wie Johannes Specht, Leiter der Tarifabteilung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), begrüßt zwar die gesetzlichen Änderungen, weist aber nachdrücklich darauf hin, dass noch viel zu tun sei. Zumal sich die Missstände nicht nur auf die Fleischindustrie konzentrierten. Auch im Logistik-Sektor zeigen sich ähnliche Ausbeutungsverhältnisse. Specht rät bei festgestellten Verstößen zu „höheren Strafen im Millionenbereich, die zu einer existenziellen Krise des Unternehmens führen können“.
Karl-Josef Laumann weiß, welche fatalen Auswirkungen dies alles für die Attraktivität des deutschen Arbeitsmarktes bedeutet, der händeringend nach Arbeitskräften sucht. Es fehlt an Fachkräften, an Erzieherinnen, an Pflegepersonal. „Wir müssen Menschen aus dem Ausland für unseren Arbeitsmarkt gewinnen“, sagt der CDU-Politiker, aber: „Wenn eine rumänische Krankenschwester hört, wie es den Mitarbeitern in unseren Schlachthöfen und Paketdiensten geht, dann kommt die nicht.“
Zustände in Schlachthöfen spricht sich auch im Ausland herum
Die Fluktuation unter den Beschäftigten in der Fleischindustrie ist angesichts der Arbeitsbedingungen groß. Und es habe sich mittlerweile auch in Rumänien und Bulgarien herumgesprochen, wie hier mit den Arbeiterinnen und Arbeitern umgegangen wird. Nach Auskunft von „Arbeit und Leben“ werden auch immer mehr ältere Personen angeheuert. „Mittlerweile scheint man jeden zu nehmen, weil es immer schwieriger wird, Arbeitskräfte zu finden“, heißt es. Auch Fake-Anzeigen würden in diesen Ländern geschaltet, in denen beispielsweise ein Job in einer Nudelfabrik angeboten wird, es sich letztlich dann aber doch um einen Job im Schlachthof handelt.
Trotz aller Belastungen entschließen sich aber auch viele dennoch dazu, in Deutschland zu bleiben. Wie auch Ioana. Sie haben hier Wurzeln geschlagen, ihre Kinder besuchen deutsche Schulen. Zudem verdienen sie trotz aller Widrigkeiten im Vergleich zu ihrer Heimat hier mehr Geld. Ioana will jedenfalls bleiben. „Ich will in Deutschland in Rente gehen“, sagt sie, nachdem sie ihre Geschichte erzählt hat.