Kaum Antibiotikum gegen Scharlach: Kinderärzte stellen „Jagdscheine“ aus
Scharlach-Patienten müssen Apotheken abklappern, Kinderärzten sind die Hände gebunden. Es werden „eher ‚Jagdscheine‘ als Rezepte“ ausgestellt.
Hamm - Kinderärzte in Nordrhein-Westfalen und ganz Deutschland schlagen Alarm. Seit Wochen warnen sie vor steigenden Scharlachzahlen. „In meiner Praxis untersuche ich inzwischen fast 30 Prozent der Patienten auf Scharlach“, sagt Pedro Garcia, Sprecher des Kinderärzte-Netzwerkes in Münster, gegenüber wa.de. Das große Problem: Überall mangelt es an Antibiotika. Experten verraten, was Betroffene jetzt tun können - und nehmen besonders die Politik in die Pflicht.
Scharlach-Patienten jagen Antibiotikum - Kinderärzte kritisieren Politik scharf
Die Krankheit ist einfach mit Penicillin zu behandeln, wie heidelberg24.de berichtet. Doch auch noch im Frühjahr 2023 gibt es erhebliche Probleme bei der Behandlung. „Kürzlich telefonierte ich mit einer Familie, die auch bei der neunten Apotheke kein Penicillin erhielt“, sagte Michael Achenbach vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. wa.de. Damit ist sie sicherlich nicht die einzige. Scharlach-Patienten müssen sich eher häufiger als selten auf eine lange Suche nach Penicillin einstellen.
„Falls die Suche dennoch erfolglos bleibt, sollten sie sich erneut an den behandelnden Arzt wenden“, sagt Achenbach, der zugleich betonte, dass Kinderärzten und Apothekern die Hände gebunden seien. „Wir Ärzte stellen derzeit eher ‚Jagdscheine‘ als Rezepte aus.“ Eine problemlose Weiterleitung an Apotheken sei aufgrund der Lieferengpässe von Antibiotika kaum möglich.
Scharlach kann Organe angreifen - 15-Jähriger in Münster gestorben
Die Nicht-Behandlung mitsamt des bloßen Aussitzens von Scharlach und dessen Symptomen sei keine Alternative, erklärt Michael Achenbach. „Grundsätzlich ist Scharlach eine lebensbedrohliche Krankheit, die bei Nicht-Behandlung Organe angreifen kann“, sagt er. Schon seit Wochen schlagen Kinderärzte Alarm. In Münster ist ein 15-Jähriger gestorben. Es steht der Verdacht im Raum, dass eine Scharlach-Erkrankung der Grund für seinen Tod war.
Bleibt Scharlach unbehandelt ob der aktuellen Lieferengpässe des Antibiotikums, kann es zu Spätfolgen wie Gelenkbeschwerden, Lungenentzündungen, Herzmuskelentzündungen, Nierenschäden, Hirnhautentzündungen oder rheumatisches Fieber kommen. „Seit September letzten Jahres richten wir Kinder- und Jugendärzte Appelle an die Gesundheitsbehörden der Kommunen, des Landes und des Bundes, um die basale Infrastruktur der Kinder- und Jugendmedizin zu verbessern“, sagt Pedro Garcia.
Scharlach und die „Geiz-ist-geil-Mentalität“ der Politik - Kinderärzte sauer
Zwar würde die Politik zuhören, aber nicht effektiv handeln. Kinderärzte würden lediglich mit „Trostpflastern abgespeist“, sagt er. Die Mängelliste ist laut Garcia lang:
- Geeignete Testmaterialien sind kaum verfügbar oder überteuert
- Lebenswichtige Medikamente wie Penicillin oder Amoxicillin sind nicht verfügbar
- Selbiges gilt für gängige Fieber- und Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol
- Ärzte sind gezwungen mit Medikamenten behandeln, die weniger gezielt wirken und die weniger geeignet sind, da sie mehr Nebenwirkungen entfalten
Eine langfristige Lösung liege an den Entscheidungen der Politik und dessen „Geiz-ist-geil-Mentalität, die erst zu dieser Misere geführt hat, abzulegen“, erklärt Michael Achenbach. Behandelnde Kinderärzte wünschen sich eine vorausschauende und qualitativ hochwertige Versorgung. Diese sei aber nicht erwünscht, „weil sie was kostet“, so Pedro Garcia. „Die Ausgaben für die Kinder- und Jugendmedizin liegen im Bereich von unter zehn Prozent der Gesamtausgaben im Gesundheitswesen. Aber das scheint wohl zu viel zu sein für unsere Kinder.“