Im Bundestagswahlkampf lautete das Motto Bayern gegen NRW oder besser gesagt Söder gegen Armin Laschet. Man darf ruhig noch einmal daran erinnern, wie Hendrik Wüst damals auf Söders Sticheleien und Querschüsse in Richtung des Kanzlerkandidaten der Union reagiert hat. Belehrungen aus Bayern habe man nicht nötig, stellte Wüst klar und kritisierte „das Remake des Theaters Strauß gegen Kohl“.
Wüsts Haltung gegenüber Söder und dessen Hang zum kraftstrotzenden Mia-san-Mia, das der Bayer auch in Olpe bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus vorträgt, darf man weiterhin als skeptisch bezeichnen. Doch im Wahlkampf zählen die Gemeinsamkeiten. Wüst und Söder sind langjährige Weggefährten in der Politik. Beiden waren – fast zeitgleich –Vorsitzender ihrer Partei-Nachwuchsorganisation und Generalsekretär ihrer Partei.
Beide sprachen sich vor 15 Jahren in einem Grundsatzpapier für die Rückbesinnung der Union auf ihren konservativen Kern und für eine deutsche Leitkultur aus. Wüst – 46 Jahre alt und Vater einer 13 Monate alten Tochter – definiert bürgerlichen Konservatismus heute allerdings moderner. Manches aus dem Papier von damals sei vielleicht schon wieder überholt, sagte er kürzlich in einem Interview.
Am Montag ist Söder wegen eines anderen Papiers nach Nordrhein-Westfalen gekommen. Nach einer gemeinsamen Präsidiumssitzung fordern CDU und CSU eine Neujustierung der Außen- und Sicherheitspolitik.
Zurück auf den Marktplatz in Olpe: Söder wettert gegen Genderwahn und Vorschriften in Sachen Fleischkonsum. Das kommt im Sauerland gut an. Doch die Trillerpfeifen verstummen nicht. Bis zum Schluss müssen die Politiker in, wie Merz es beschreibt, „Hass verzerrte Gesichter“ blicken.
Die Veranstaltung zeigt klar und deutlich: Das Klima auf politischen Kundgebungen in Deutschland wird rauer. Störer treten immer lauter und aggressiver auf. Die Parteizugehörigkeit des Redners scheint dabei keine Rolle zu spielen.
Der CDU-Chef kontert die verbalen Angriffe der Protestler mit einer klaren Botschaft. In anderen Fällen ermittelt die Polizei.
Merz zeigt sich empört angesichts des Ausmaßes der Proteste. „Sie beschädigen die Demokratie. Sie machen sie kaputt“, wirft er den Demonstranten vor. Deren Themen lauten Ukraine-Krieg, Corona-Politik und Meinungsfreiheit. Merz macht eine deutliche Ansage: „Wir lassen uns von den Schreihälsen nicht in die Defensive bringen. Wir gehen auch weiter auf die Marktplätze.“ Von den Bürgern, die gekommen sind um zuzuhören, gibt es dafür viel Applaus.
Viele Besucher zeigten sich im Nachhinein entsetzt. Selbst als Ministerpräsident Hendrik Wüst über geflüchtete Kinder aus einem Kinderheim in der Ukraine berichtete, krakeelten ein Dutzend Personen voller Zorn und Wut weiter.
CSU-Chef Markus Söder keilte zurück. Er bezeichnete die Störer indirekt als Pfeifen und wagte die These: „Wer den ganzen Tag hart arbeitet, kann abends nicht so plärren.“ Auch dafür gab es viel Applaus von denjenigen, die nicht buhten oder „Haut ab“ brüllten.
Doch die Störer konnte Söder nicht gewinnen. „Corona war keine Verschwörungstheorie.“ Dafür bekam der Bayer nur Lacher.
Wie soll man umgehen mit solchen Protesten? NRW-Regierungschef Wüst ertrug die Beschimpfungen stoisch mit dem Hinweis, dass die freie Meinungsäußerung zur Demokratie dazu gehöre. Nach der Veranstaltung hatte der CDU-Politiker noch Zeit für Selfies mit Unterstützern. Einen Gegendemonstranten, der ihn zum Dialog aufforderte, ließ Wüst allerdings stehen. Dieser sah sich dann in seinem Weltbild bestätigt.
Kanzler Scholz erlebte bei der Mai-Kundgebung in Düsseldorf kürzlich einen ähnlich starken Störlärm. Ein Gewerkschafter sprach später von einem „unsäglichen Verfall der politischen Diskussionskultur in unserem Land“. Das Stören einer Demonstration ist laut Polizei eine Straftat. Zwischenrufen ist damit nicht gemeint, wohl aber zum Beispiel der Dauereinsatz von Lärmsirenen und Trillerpfeifen.