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Hirnblutung nach Corona-Impfung: Witwe macht Ärzte für Tod von Mann verantwortlich

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Von: Jens Greinke, Martin von Braunschweig

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Impfung
Zweimal wurde Erwin Marx mit Astrazeneca geimpft. Führte das zum Tod des 64-jährigen Dortmunders? © Jörg Carstensen/dpa/Symbolbild

Die Staatsanwaltschaft Dortmund führt derzeit ein Todesermittlungsverfahren gegen das Dortmunder Klinikum, in dem ein 64-Jähriger Anfang August ums Leben kam.

Dortmund - Izabela Marx sitzt in ihrer Mietwohnung in Dortmund und weiß nicht, ob sie weinen oder wütend sein soll. Anfang August starb ihr Ehemann Erwin im Klinikum Dortmund an den Folgen schwerer Hirnblutungen. Die Witwe ist sicher: „Mein Mann könnte noch leben, wenn die Ärzte ihn nur richtig untersucht hätten.“ Das sieht auch Horst Glanzer so, der sich in den vergangenen 18 Jahren einen Namen als Patientenschützer gemacht hat – und derzeit darum kämpft, dass die Beweislast bei Behandlungsfehlern umgekehrt wird und künftig die behandelnden Mediziner nachweisen müssen, dass sie keine Fehler gemacht haben. Glanzer unterstützt die Dortmunderin in dieser Angelegenheit mit der ihm eigenen, hartnäckigen Umtriebigkeit.

StadtDortmund
Fläche280,7 km²
Einwohner587.696 (31. Dez. 2020)

Hirnblutung nach Corona-Impfung: Der Fall

Erwin Marx, 64 Jahre alt, ein Kerl wie ein Baum und einer mit einem riesengroßen Herzen. „Mein Mann war immer für alle da“, sagt Izabela Marx. „Zu mir hat er immer gesagt, dass ich gar nichts tun muss. Nicht arbeiten, nicht putzen, kochen oder waschen. Nur für ihn da sein und ihn lieben. Das wäre ihm schon genug.“

Das Unglück geschieht am 1. August, einem Sonntag. Izabela kocht gerade das Mittagessen, als sie plötzlich aus dem Wohnzimmer ein Rumpeln hört. Sie geht nachsehen und findet Erwin zusammengesunken auf einem Sessel. Er ist kollabiert, atmet nicht mehr. Sofort ruft sie einen Rettungswagen.

Die Sanitäter sind schnell vor Ort. Erwin Marx muss wiederbelebt werden und wird dann ins Krankenhaus transportiert. Seine Frau muss zu Hause bleiben. Sie weiß aber eines noch ganz genau: „Ich habe dem Notarzt gesagt, dass sie Erwins Kopf untersuchen sollen. Er hatte zwei Wochen vorher seine zweite Impfung mit Astrazeneca bekommen.“

„Kein Patient hat diese Ignoranz verdient“: Izabela Marx hat die beiden Ärzte, die am 1. August Dienst hatten, wegen des Todes ihres Mannes Erwin angezeigt. Die Staatsanwaltschaft führt ein Todesermittlungsverfahren gegen das Städtische Klinikum Dortmund.
„Kein Patient hat diese Ignoranz verdient“: Izabela Marx hat die beiden Ärzte, die am 1. August Dienst hatten, wegen des Todes ihres Mannes Erwin angezeigt. Die Staatsanwaltschaft führt ein Todesermittlungsverfahren gegen das Städtische Klinikum Dortmund. © Martin von Braunschweig

In den folgenden Stunden telefoniert Izabela Marx mehrmals mit dem Klinikum. Sie hat darüber ein Gedächtnisprotokoll angefertigt und eine Nachbarin, die bei den Anrufen neben ihr saß, gebeten, eine Eidesstattliche Versicherung aufzuschreiben. Darin heißt es, dass Izabela Marx auch am Telefon immer wieder auf die Impfung hingewiesen und darum gebeten hat, den Kopf zu untersuchen.
Umso schockierter ist die Dortmunderin, als sie nach einer fast schlaflosen Nacht am nächsten Morgen von einem Oberarzt angerufen wird. Erst auf seine Intervention hin soll erst jetzt ein CT vom Kopf gemacht worden sein, sollen erst jetzt CT-Bilder vorliegen. Und die zeigen Hirnblutungen von so dramatischen Ausmaßen, dass keine Hoffnung mehr besteht.
Erwin Marx stirbt zwei Tage später. Izabela hat zuvor noch einer Organspende zugestimmt. „Damit hat er noch eine letzte gute Tat getan“, sagt sie.

Hirnblutung nach Corona-Impfung: Der Patientenschützer

„Sie hat mehrmals in der Intensivstation gebeten und gebettelt, ein CT vom Kopf ihres Mannes zu machen. Jetzt ist er tot“, sagt Horst Glanzer. Wer mit dem Mann aus Niederbayern spricht, bemerkt schnell, was für ein Furor ihn antreibt. Vielleicht passt hier ein Vergleich aus dem Fußball ganz gut, in dem man Spieler, die einem nicht von der Seite weichen, als „Terrier“ bezeichnet. Es sind Spieler, die an den Nerven sägen. Glanzer kann das auch: Er insistiert, er fordert, er klagt an, manchmal ist er den Tränen nahe, manchmal schreit er. Wer seine Geschichte kennt, der sagt sich: Er darf das, ja mehr noch – in seinem Fall ist es legitim und vielleicht der einzige Weg, um an seine Ziele zu kommen. Einige hat er schon erreicht, auch wenn es ihm selbst nicht mehr geholfen hat.

Glanzer ist als Patient selbst ein Opfer geworden. Seinen eigenen Kampf vor Gericht hat er verloren. 2003 erkrankte der Ex-Polizist schwer. Eine Nebenhöhlenvereiterung sowie Vorerkrankungen machen eine schnelle und spezielle Behandlung erforderlich. Doch die private Krankenversicherung lässt sich Zeit mit der Deckungszusage, zu viel Zeit. Die Bakterien sind schneller. Die Folge ist ein schreckliches Krankheitsbild, seitdem ist Glanzer ein schwerkranker, gezeichneter Mann. Er hat seine Zähne verloren, Kiefer- und Schädelknochen sind teilweise ruiniert. „Ich war fast tot, stand kurz vor der Erblindung. Ich habe heute kein Immunsystem mehr, habe fünf Tumore. Ich weiß nicht, wie es weitergeht mit mir“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Körperlich zwar längst gebrochen, mental aber weiter voller Energie. Seitdem kämpft er vor Gericht und in der Politik für Patientenrechte, unbeirrt, hartnäckig. In den Medien wird er als „Ein-Mann-Bürgerwehr“ bezeichnet, manche wähnen ihn „im Krieg“. Er bearbeitet Politiker quer durch alle Fraktionen, reicht Petitionen ein. Mit Erfolg.

2011 erwirkt Glanzer eine Reform des Paragrafen 522 der Zivilprozessordnung. Jetzt können Kläger Rechtsmittel einlegen, falls eine Berufung vom Gericht zurückgewiesen wird. Dies war in seinem eigenen Fall nicht möglich gewesen, weshalb Glanzer seinen eigenen Prozess verloren hatte. 2013 beschließt der Bundestag auf Glanzers Drängen, dass Krankenversicherungen in dringenden Fällen sofort und bei voraussichtlichen Kosten von über 2000 Euro eine Kostenübernahme-Erklärung innerhalb von zwei Wochen verbindlich abgeben müssen – tun sie das nicht, gehen die Kosten automatisch zu ihren Lasten. 2019 wird unter anderem auf Glanzers Initiative hin das Sachverständigenrecht geändert, um die Neutralität von Gutachtern sicherzustellen. Glanzer stärkt die Rechte von Patienten, unzählige Menschen profitieren davon. Und seit Jahren kämpft er für die Beweislastumkehr bei Behandlungsfehlern, hat zuletzt auch intensiv auf die entsprechende Arbeitsgruppe in Berlin eingewirkt, die am Koalitionsvertrag mitgearbeitet hat. Als Glanzer diesen am Mittwoch nach der Veröffentlichung in den Händen hielt, sah er sich für seinen Einsatz teilweise belohnt. Die Ampelparteien hatten folgenden Passus aufgenommen: „Bei Behandlungsfehlern stärken wir die Stellung der Patientinnen und Patienten im bestehenden Haftungssystem. Ein Härtefall-Fond mit gedeckelten Ansprüchen wird eingerichtet.“ Für Glanzer ein wichtiger Schritt. „Dieses Gesetzgebungsverfahren ist eines meiner wichtigsten“, sagt er: „Ich will nicht parteipolitisch arbeiten, sondern ich möchte die Bürgerinnen und Bürger mit diesen Rechten versehen. Das ist mein Motiv.“

Hirnblutung nach Corona-Impfung: Die Anzeige

Deshalb unterstützt er auch Izabela Marx. Eine Freundin der Witwe war über das Internet auf Glanzer aufmerksam geworden und hatte den Kontakt gesucht. Der Ex-Polizist vermittelte Izabela Marx die Rechtsanwältin Dr. Christina Schaefer, die nun die Interessen der Witwe vertritt. Die beiden Ärzte, die am 1. August Dienst hatten, hat die Witwe angezeigt. Die Staatsanwaltschaft Dortmund führt ein Todesermittlungsverfahren. Marx sagt: „Ärzte schwören doch einen Eid, dass sie alles tun, um einem Patienten zu helfen.“ Diese beiden Ärzte hätten aber eben nicht alles getan.

Die Aufnahmen vom Kopf seien viel zu spät erfolgt. Am Sonntag habe es immer nur geheißen, dass man einen Herzinfarkt ausschließen könne und ansonsten nicht sicher sei, was ihrem Mann fehle. Glanzer sagt: „Wenn ein Mann zweimal mit Astrazeneca geimpft ist und es weltweit bekannt ist, dass es in seltenen Fällen zu Hirnvenenthrombosen kommen kann, dann muss doch ein Klinikum definitiv nach Notarzteinweisung ein CT vom Kopf machen.“

Rechtsanwältin Schaefer ist bei der Durchsicht der Behandlungsunterlagen auf mehrere bemerkenswerte Punkte gestoßen. Der aus ihrer Sicht wichtigste: Schon ganz früh sei dokumentiert, dass die Pupillen des Patienten lichtstarr seien. „Das weist auf einen erhöhten Hirndruck hin und hätte unbedingt zum Anlass genommen werden müssen, Aufnahmen vom Kopf zu machen“, so Schaefer gegenüber unserer Redaktion.

Solange der Fall bei der Staatsanwaltschaft liegt, kann Schaefer für ihre Mandantin noch kein Schmerzensgeld und keinen Schadenersatz einklagen. Geld als Entschädigung ist Izabela Marx aber auch gar nicht so wichtig. „Ich will, dass diese beiden Menschen bestraft werden“, sagt sie bitter. „Kein Patient hat diese Ignoranz verdient. Für mich sind sie schuld an Erwins Tod.“

Hirnblutung nach Corona-Impfung: Patientenschützer mit Existenzangst

Horst Glanzer weiß aus eigener Erfahrung, wie zermürbend diese Verfahren sind. „Wenn man verpfuscht ist oder jemanden verloren hat – da prozessiert keiner mehr jahrelang, das schafft kaum einer“, sagt er. Glanzer ist durch Prozesskosten mittlerweile hoch verschuldet, ihm droht nach eigener Aussage die Obdachlosigkeit. Unterstützer haben ein Spendenkonto für ihn eingerichtet (VR-Bank Passau, IBAN: DE66 7409 0000 0003 3335 23, BIC: GENODEF1PA1). Er sagt: „Ich habe vielen Menschen geholfen. Es wäre schön, wenn man nun auch mir helfen würde.“ Glanzer selbst wird an der Seite von Izabela Marx bleiben.

Das Klinikum Dortmund will sich im laufenden Verfahren nicht zu dem Fall äußern.

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