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Schon Tausende Verstöße bei Abstandsmessung auf der Autobahn – was Dränglern droht

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Von: Jürgen Menke

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Die A1-Brücke der Landwehrstraße zwischen Bergkamen und Hamm ist eine von mehreren Messstellen im Beritt der Autobahnpolizei Dortmund. Bis zu vier Kameras sind im Einsatz, die „Tatkamera“ ist die wichtigste.
Die A1-Brücke der Landwehrstraße zwischen Bergkamen und Hamm ist eine von mehreren Messstellen im Beritt der Autobahnpolizei Dortmund. Bis zu vier Kameras sind im Einsatz, die „Tatkamera“ ist die wichtigste. © Robert Szkudlarek

„Abstand gleich halber Tacho.“ Welcher Autofahrer hält sich schon daran? Die Autobahnpolizei Dortmund hat 2022 bereits Tausende Verstöße registriert. Das kann teuer werden.

Bergkamen/Hamm – Wer bei hohem Tempo zu wenig Abstand hält, riskiert Menschenleben. Die Autobahnpolizei Dortmund in NRW schaut daher genauer hin, ob der Platz zwischen den Stoßstangen ausreicht, um bei Gefahr rechtzeitig bremsen zu können. Allein im Jahr 2022 hat sie bereits rund 6500 Fälle ermittelt, in denen das nachweislich nicht der Fall war.

Abstandsmessung auf der Autobahn: Auf der A1-Brücke zwischen Bergkamen und Hamm

Die A1-Brücke der Landwehrstraße zwischen Bergkamen und Hamm: Sie ist eine von mehreren Messstellen an gleich vier Schnellstraßen im Beritt der Autobahnpolizei, der insgesamt rund 660 Straßenkilometer bis kurz vor der hessischen Grenze umfasst. Hauptkommissar Frank Wolff und Kollegin Christiane Hofmann, Regierungsbeschäftigte, haben heute drei ihrer vier Kameras aufgestellt. Sie nehmen die Fahrzeuge in Richtung Dortmund unter die Lupe.

Die erste Kamera steht unten am rechten Fahrbahnrand. Sie wirft ihren Blick auf die Kennzeichen der Lastwagen, die lautstark vorbeirauschen. Das zweite Gerät ist auf der Überführung platziert, direkt über der Überholspur. „Für die Pkw-Erkennung“, erläutert Hofmann.

Christiane Hofmann im Innern des Messwagens: Die digitale arbeitet automatisch, sofern alle Bedingungen stimmen.
Christiane Hofmann im Innern des Messwagens: Die digitale arbeitet automatisch, sofern alle Bedingungen stimmen. © Robert Szkudlarek

Die dritte Kamera, die sogenannte Tatkamera, ist als einzige geeicht und die wichtigste von allen. Sie schaut schräg auf die beiden Fahrspuren – und mehr als 300 Meter in die Ferne. Mit ihrer Hilfe lassen sich am Ende die Abstände und die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge berechnen. Dazu nimmt das Gerät nicht die Vehikel selbst ins Visier, sondern ihre Schatten auf der Fahrbahn.

Neben unangemessener Geschwindigkeit, Ablenkung und Alkohol am Steuer ist zu geringer Sicherheitsabstand eine der Hauptursachen von Unfällen. Bei der Autobahnpolizei, die zum Polizeipräsidium Dortmund gehört und ihren Sitz in Kamen hat, kümmern sich acht Mitarbeiter um die Abstandskontrolle. Ihnen stehen zwei Messwagen zur Verfügung. Der ältere ist noch mit altbewährter Videotechnik ausgestattet. Der neue, in dem Wolff und Hofmann sitzen, ist gerade einmal eineinhalb Jahre alt. Er hat modernste Digitaltechnik an Bord.

Abstandsmessung auf der Autobahn: „Preise“ für zu geringen Abstand – Bußgelder im Überblick

Verstöße (80 bis 99 km/h)BußgeldPunkteFahrverbot
unter 5/10 des halben Tachowerts75 Euro1-
unter 4/10 des halben Tachowerts100 Euro1-
unter 3/10 des halben Tachowerts160 Euro1-
unter 2/10 des halben Tachowerts240 Euro1-
unter 1/10 des halben Tachowerts320 Euro1-
Verstöße (100 bis 129 km/h)BußgeldPunkteFahrverbot
unter 5/10 des halben Tachowerts75 Euro1-
unter 4/10 des halben Tachowerts100 Euro1-
unter 3/10 des halben Tachowerts160 Euro21 Monat
unter 2/10 des halben Tachowerts240 Euro22 Monate
unter 1/10 des halben Tachowerts320 Euro23 Monate
Verstöße (ab 130 km/h)BußgeldPunkteFahrverbot
unter 5/10 des halben Tachowerts100 Euro1-
unter 4/10 des halben Tachowerts180 Euro1-
unter 3/10 des halben Tachowerts240 Euro21 Monat
unter 2/10 des halben Tachowerts320 Euro22 Monate
unter 1/10 des halben Tachowerts400 Euro23 Monate

Abstandsmessung auf der Autobahn: Unfälle an Stauenden rückläufig

Auf den großen Bildschirmen ist gut zu erkennen, was unten auf der Strecke vor sich geht. Längst nicht jedes Fahrmanöver entspricht den Vorgaben der Straßenverkehrsordnung. Wie lautet noch einmal die Faustformel? Genau: „Abstand gleich halber Tacho“. Bei Tempo 100 wären das also 50 Meter. Für Lkw gilt sogar generell ein 50-Meter-Abstand, sofern das Fahrzeug über 50 km/h fährt.

Hofmann ist hoch konzentriert. Zwar löst die Technik, einmal kalibriert, bei zu geringem Abstand automatisch aus. Doch sie ist auch anfällig. „Zum Beispiel, wenn Sonne und Wolken wechseln“, erläutert die 56-Jährige. Mit der Maus muss sie dann nachsteuern, damit zum Beispiel Kennzeichen nicht überbelichtet werden. „Können wir das Schild nicht lesen, ist die Messung umsonst.“

Mit dieser Kamera wird das Kennzeichen der Lastwagen erfasst. Ein Bild des Fahrers braucht es für ein Bußgeldverfahren nicht.
Mit dieser Kamera wird das Kennzeichen der Lastwagen erfasst. Ein Bild des Fahrers braucht es für ein Bußgeldverfahren nicht. © Robert Szkudlarek

Etwa 6500 verwertbare und damit vorwerfbare Messungen: So viele, wie die Autobahnpolizei in diesem Jahr schon vorliegen hat, waren es im gesamten Jahr 2021. Die Gründe für den Zuwachs lassen sich laut Wolff nicht genau benennen.

Grundsätzlich, so glauben er und seine Kollegen, tragen die regelmäßigen Abstandsmessungen Früchte. Das zeige der Blick in die Statistik. Demnach ist etwa die Zahl der Unfälle mit Personenschaden an Stauenden von 300 in 2017 (mit 550 Verunglückten) auf 84 im vergangenen Jahr zurückgegangen. Zuletzt wurden noch 167 Verunglückte gezählt.

Abstandsmessungen auf der Autobahn sind nicht an x-beliebigen Stellen möglich

Die etwa 60 bis 100 Verdachtsfälle pro Messtag würden in der Regel zu 70 Prozent Lastwagenfahrer betreffen, berichtet Wolff. „Unter ihnen spricht sich aber auch herum, dass wir hier aktiv sind.“ Die 40-Tonner müssten mindestens 80 km/h schnell sein, um von der Technik erfasst zu werden.

Abstandsmessungen sind nicht an x-beliebigen Stellen möglich. „Auf der Fahrbahn muss ein Messfeld markiert sein“, erläutert Wolff. Dieser Bereich müsse vom System erkannt werden; erst dann seien überhaupt Messungen möglich. Eine nahe gelegene Messstelle gebe es auch auf der A2 zwischen Bergkamen und Lünen. „Hier können wir sogar in beide Richtungen kontrollieren.“

Immer zwei Abstandsmessungen – aber nur eine zählt

An der Landwehrstraße ist das Messfeld rund 110 Meter lang. Innerhalb dieser Distanz werde im Einzelfall zweimal gemessen, erläutert Hofmann. „Erst dadurch können wir auch die Geschwindigkeiten ermitteln.“ Noch vor Ort gibt es eine Vorselektion der Verdachtsfälle. „Die Daten werden zum Beispiel sofort gelöscht, wenn ein vorausfahrendes Fahrzeug augenscheinlich verzögert oder sich kurz zuvor ein drittes Auto eingefädelt hat.“

Die genaue Auswertung findet ein oder zwei Tage später in der Dienststelle an einem speziellen Computer statt. Dazu werden unter anderem per Hand die Aufstellflächen der Fahrzeuge markiert – „immer zum Vorteil der Betroffenen“, wie Hofmann unterstreicht. Auch werden die Toleranzen abgezogen, zudem bilde von den zwei Messungen stets jene mit dem größeren Abstand die Basis für die Ordnungswidrigkeitenverfahren.

In der Dienststelle in Kamen findet die abschließende Auswertung der Verdachtsfälle statt.
In der Dienststelle in Kamen findet die abschließende Auswertung der Verdachtsfälle statt. © Robert Szkudlarek

Diese werden dann aber nicht von der Autobahnpolizei begleitet. „Wir übermitteln die Daten elektronisch an die jeweilige Bußgeldstelle der Kommune, in der wir messen“, sagt Wolff. Im Fall der Landwehrstraßen-Brücke sei dies die Stadt Hamm, denn die Grenze mit Bergkamen verlaufe westlich der Hansalinie.

Gemessen an den Abstandsregeln für Pkw und Lkw („Halber Tacho“ oder mindestens 50 km/h) ist – bei stärkerem Verkehrsaufkommen – wohl kaum ein Fahrer vorschriftsmäßig unterwegs. „Wir messen daher auch erst ab dem halben Abstand. Alles andere wäre unrealistisch“, erläutert Wolff. Dann gehe es – je nach Schwere des Vergehens – in Zehntel-Schritten weiter: von 5/10 des halben Tachowerts bis zu 1/10.

Bei Pkw muss das Gesicht klar zu erkennen sein

Wolff berichtet von einem jüngst gemessenen 2/10-Fall, der mit 240 Euro geahndet wurde. Der Fahrer hatte bei 127 km/h nur 10,50 Meter Abstand zum Vordermann. „Der wäre im Zweifel, ohne bremsen zu können, mit vollem Tempo aufgefahren“, erläutert er. Der Grund: Schon innerhalb der natürlichen Reaktionszeit von einer Sekunde legt er rund 38 Meter Strecke zurück.

Die vierte Kamera kommt bei den Messungen zum Einsatz, um den Pkw-Fahrer, der zu wenig Abstand hält, ins Bild zu setzen. Sie wird von oben auf eine Plattform im Mittelstreifen heruntergelassen. Während bei Lkw das Kennzeichen für das Eintreiben des Bußgeldes reicht (das Knöllchen geht an das betroffene Unternehmen, der den Fahrer zu ermitteln hat), muss bei Pkw das Fahrer-Gesicht klar zu erkennen sein.

Messungen der Autobahnpolizei in der Regel rechtssicher

300.000 Euro kosten Aufbau und Innenleben des digitalen Messfahrzeugs. Anfang 2023 soll bei der Autobahnpolizei auch der alte Videowagen gegen ein modernes Gefährt ausgetauscht werden. „Gerade die Auswertung geht mit der neuen Technik schneller“, sagt Wolff. Die Zahl der Messungen steige dann tendenziell weiter an, auch wenn der Lkw-Verkehr infolge von Corona und Ukraine-Krieg spürbar abgenommen habe. Außerdem seien die Messungen von Pkw mit dem neuen System deutlich einfacher.

Das Einsatzfahrzeug auf der A1-Brücke der Landwehrstraße.
Das Einsatzfahrzeug auf der A1-Brücke der Landwehrstraße. © Robert Szkudlarek

Zwar könnten auch der Autobahnpolizei Fehler unterlaufen. „Unsere Messungen sind aber in der Regel rechtssicher. Auch, weil sie mehrfach überprüft werden“, sagt Wolff. Gleichwohl versuchten nicht wenige Betroffene, sich juristisch gegen den Bußgeldbescheid zu wehren. „Ich bin mindestens drei- bis viermal im Monat als Zeuge vor Gericht geladen, und bei den Kollegen sieht’s nicht anders aus“, schildert Hofmann.

„Die Betroffenen wehren sich zumeist dann, wenn’s um Fahrverbote geht“, sagt Wolff. Einzelfälle könnten sehr aufwendig sein. „Aber die Kameras lügen nicht.“ Offene Fragen zu einem Fall ließen sich aber oft im Vorfeld von Prozessen klären. Wenn etwa Rechtsanwälte Unterlagen einfordern und durchsehen würden oder wenn Betroffenen, was möglich sei, auf der Wache Videosequenzen ihrer Fahrt gezeigt würden. „Oft setzt dann erst die Einsicht ein.“ Mitunter, so Wolff, gebe es auch „Bürgergespräche“ bei Einsätzen – nicht immer nur freundliche.

Autobahnpolizei: Ein bisschen Jagdfieber, aber ...

Hofmann sagt, sie spüre durchaus ein wenig Jagdfieber, wenn sie im Messwagen am Computer sitze und sehe, dass da ein Drängler angerauscht kommt. Wenn er ihr entwischt, sei sie schon ein bisschen ärgerlich. „Meine Kollegen sagen aber, man muss den Fisch auch schwimmen lassen.“ Doch vor allem: „Es geht in erster Linie ja nicht darum, Menschen zu überführen, sondern die Unfallzahlen runterzukriegen.“

Wolff war lange Zeit in der Prävention und im Opferschutz tätig. „Ich weiß, wie es ist, Menschen die Nachricht zu überbringen, dass ihr Angehöriger schwer verletzt oder sogar tot ist“, sagt er. Derweil ist von unten immer mal wieder Hupen zu hören. „Ätsch, mich kriegt ihr nicht. Ich habe die Kameras gesehen“, soll das wohl heißen. Souverän fährt, wer auf Sicherheit achtet, nicht auf Sicherheitskontrollen.

Die Autobahnpolizei Dortmund ruft dazu auf, die Abstandsregeln und Geschwindigkeitsbegrenzungen zu beachten, um sicher unterwegs zu sein. Hier weitere Tipps:

Apropos Drängler: Mit fast 200 km/h flüchtete jüngst ein Autobahn-Drängler in NRW vor der Polizei. Am Ende fuhr er den Opel zu Schrott - und rastete dann richtig aus.

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