113 Seiten gegen Vorurteile: Werner Legastheniker schreibt Buch

Werne - Im Kopf von Mathias Tengowski schlagen die Buchstaben und Wörter Purzelbäume, wenn er versucht, sie zu Papier zu bringen. Trotzdem hat der Legastheniker jetzt sein erstes Buch veröffentlicht. Mit „Rechtschreibung, Linksschreibung, Unrechtschreibung?“ will der Werner Vorurteile abbauen, gegen Mobbing kämpfen und Betroffenen Mut machen.
Irgendwann wurde es ihm zu viel. Die Häme und der Spott im Netz lagen ihm schwer auf der Seele. Mathias Tengowski wollte seinem Ärger Luft machen. „Dieses Buch ist aus Frust entstanden“, sagt der 38-Jährige. Auf den 113 Seiten gibt er zu Beginn auch gleich Beispiele, was ihn so auf die Palme bringt. „Drecks Legasthenikerpack, ab inne Grundschule, lern atmen“ ist nur einer von vielen Kommentaren, die Tengowski in sozialen Netzwerken entgegenschlagen – und die meisten sind grammatikalisch ebenso fragwürdig.
Mit seinen Textfragmenten wandte er sich an die Werner Krimiautorin Renate Behr, die Tengowski von einem anderen Projekt kannte – er hatte zuvor eine Sprechrolle für eines ihrer Hörbücher ergattert – und bat sie um Hilfe. Das war kurz vor Weihnachten 2017. Behr war schnell überzeugt vom Talent des 38-Jährigen, der unter dem Künstlernamen „Jack Tengo“ schreibt, und arbeitete mit ihm an seinen Geschichten. In der fertigen Fassung sind nun sowohl die unbearbeiteten Kapitel von Tengowski enthalten als auch die „Übersetzungen“ von Behr.
Auch Co-Autorin nicht ganz vorurteilsfrei
„Die Grundform ist für viele Menschen schwer lesbar. Legastheniker haben eben eine ganz eigene Art, Dinge auszudrücken. Die Texte haben wir dann so überarbeitet, dass die Welt sie lesen kann“, sagt die 65-jährige Autorin. Auch sie, das gesteht Behr, sei allerdings nicht frei von Vorurteilen gewesen, als sie Tengowski im Rahmen ihrer Hörbuchaufnahmen kennenlernte. „Hätte ich vorher von seiner Legasthenie gewusst, weiß ich nicht, ob ich ihm die Rolle überhaupt anvertraut hätte. Von seiner Krankheit habe ich glücklicherweise erst viel später erfahren, da hatte alles schon super geklappt.“ Für den Nachwuchs-Autoren hat sie nur lobende Worte übrig: „Seine Texte sind geprägt von ganz feinsinnigem Humor.“
In dem Buch schreibt Tengowski so wie er spricht: ohne Filter. Er schildert alltägliche Situationen von der beschwerlichen Schulsuche bis zum Aufbau eines Schranks und dem Kampf mit der Bedienungsanleitung. Seine – wie er sie nennt – „Annektoten“ sind dabei lebensnah und oft in Ironie verpackt.
Legasthenie im Grundschulalter diagnostiziert
Die Legasthenie wurde bei Mathias Tengowski im Grundschulalter diagnostiziert, genauso wie eine ausgeprägte Dyskalkulie – eine Rechenstörung. Seine vermeintlichen Schwächen versucht der ausgebildete Landschaftsgärtner in anderen Bereichen wettzumachen. So hilft er bei der Tiertafel Werne in der Futterausgabe und pflegt seine schwerkranke Mutter. „Legasthenie hat eben nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun“, betont Tengowski. Sein Gehirn arbeite nur anders, wodurch er mehr Zeit brauche als andere und nicht so gut mit Druck umgehen könne.
Mit Hass umzugehen, das habe er mittlerweile gelernt, sagt Tengowski. Und das sei auch notwendig. Die positiven und negativen Rückmeldungen auf seine Buchveröffentlichung Anfang April hielten sich zwar die Waage. Doch auch heute schössen die Spötter aus seiner Schulzeit noch mit Giftpfeilen in den sozialen Netzwerken. „Manche sagen: ,Du warst schon damals ein Verlierer, denkst du wirklich, jetzt kauft jemand dein Buch?‘ Ich entgegne dann einfach nur ,Ja, das glaube ich‘“, berichtet Tengowski. Nüchtern, ganz ohne Frust. Den hat er sich ja auch von der Seele geschrieben. Und das ist die beste Antwort.
Infos zum Buch
Das Buch „Rechtschreibung, Linksschreibung, Unrechtschreibung?“ ist am 1. April veröffentlicht worden und wird bei Bücher Beckmann in Werne sowie im Internet – unter anderem bei Amazon – verkauft. Das Taschenbuch ist im Brighton Verlag erschienen und kostet 14,90 Euro. ISBN: 9783958766242.