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Flucht aus dem Bombenhagel

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Mohammad Mutaz Kwider kommt ein wenig zur Ruhe – nach einer langen Flucht aus Syrien, bei der ein Freund sein Leben verlor. Der 25-Jährige lebt jetzt in Walstedde.
Mohammad Mutaz Kwider kommt ein wenig zur Ruhe – nach einer langen Flucht aus Syrien, bei der ein Freund sein Leben verlor. Der 25-Jährige lebt jetzt in Walstedde.

WALSTEDDE - Es ist eine Odyssee, die der Syrer Mohammad Mutaz Kwider hinter sich hat. Hier in Deutschland ist die Bombardierung seiner Heimat weit weg, trotzdem quält ihn die Sorge um seine Familie, die er zurücklassen musste.

Von Mechthild Wiesrecker

Mit der Revolution in Damaskus gegen das Assad-Regime 2011 begann auch die Bombardierung der Stadt. „Unser Haus wurde wie viele andere Häuser zerstört, etliche Nachbarn getötet“, erinnert sich der 25-Jährige an den Beginn der systematischen Zerstörung seiner Heimat. Damals wohnte er mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder in einem Haus in Jobar, der Vater war schon Jahre tot. Er studierte an der Universität im Zentrum Damaskus Englische Literatur.

„Mit der Revolution wurde in der Universität ein Militärstützpunkt errichtet, man konnte nicht mehr frei reden“, berichtet er in perfektem Englisch „Negative Äußerungen gegen Assad wurden mit dem Tod bestraft. Ging man zum Einkaufen auf die Straße, durfte man nicht stehen bleiben. Überall konnte eine Bombe explodieren. Das Leben war gefährlich.“

Nachdem Jobar fast zerstört war, siedelte die Familie in das 15 Kilometer von Damaskus entfernte Qudsaya um. Dort gab es zwei Militärstützpunkte, einen des Assad-Regimes und einen der Freien Syrischen Armee. Rund um die Stadt fielen die Bomben.

Als Mohammad Mutaz Kwider 2013 mit seiner Schwester einen Stützpunkt passieren wollte, wurden ihre Ausweise kontrolliert. Einer der Soldaten belästigte seine Schwester. Als Kwider versuchte sie zu verteidigen, wurde er mit dem Gewehr an den Kopf geschlagen, die Soldaten wollten ihn erschießen. Dabeistehende Menschen retteten Kwider das Leben und es gelang ihm, zu seiner Großmutter zu flüchten.

Aus Angst vor einer Erschießung ging er nicht zurück. Später erfuhr er auch, dass seiner Schwester nichts passiert war. Ein Freund half ihm über die Grenze in den Libanon. Er bestach einen Grenzposten, der besorgte ihm einen Ausweis. Weiter ging es nach Jordanien.

Dort lebten zwei Tanten, die ihn aufnahmen. Er blieb ein Jahr und zwei Monate. Arbeit bekam er nicht, Papiere kosteten viel Geld und ständig hing die Drohung ihn zurück nach Syrien zu schicken, in der Luft. Da sein Versuch, mit dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) auszuwandern fehlschlug, entschloss Kwider sich gemeinsam mit vier Freunden illegal aus seiner Heimat zu fliehen.

Zunächst ging es mit dem Flieger nach Beirut und von dort nach Algerien. Damals brauchte man dafür noch kein Visum. Mit dem Auto fuhren die fünf Freunde an die Grenze nach Tunesien, dort brachte sie ein Schmuggler, dem sie viel Geld zahlen mussten, über die Grenze. Von Tunis aus brachte ein weiterer Schmuggler sie und drei weitere Flüchtlinge in einem normalen PKW in rasender Fahrt an den Rand der Wüste. Ziel: Das Land Libyen, das zu einer Drehscheibe des illegalen Menschenschmuggels Richtung Europa geworden war.

Auf der Ladefläche eines Pick-Up, versteckt unter eine Plane, überlebten sie eine vierstündige wilde Fahrt durch die Wüste. Dabei erlitten sie Prellungen am ganzen Körper. In Libyen lebten sie für eine Woche im Haus des Schmugglers, ehe dieser sie in die libysche Hafenstadt Zwara führte.

In einem kleinen Boot wurden sie mit anderen Flüchtlingen zu einem größeren Schiff gebracht, bis es völlig überfüllt war. „Dort war es schrecklich, die vielen Menschen saßen zusammengepfercht, als nach zehn Kilometern die Feuerglocke läutete und das Schiff stehen blieb.“

In diesem Haus lebte Mohammad in der Stadt Jobar. Etliche Nachbarn wurden bei den Bombenangriffen getötet.
In diesem Haus lebte Mohammad in der Stadt Jobar. Etliche Nachbarn wurden bei den Bombenangriffen getötet. © Mechthild Wiesrecker

Ein weiteres Schiff schleppte den maroden Kahn bis nach Italien. Etwa 50 Kilometer vor der Küste kam die italienische Seepolizei, um die fast 600 Menschen an Bord zu retten. Die raue See und die kleinen Rettungsboote, in denen immer nur 20 Personen Platz fanden, lösten eine Panik unter den Menschen an Bord aus.

Das Schiff kenterte und 172 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, ertranken im Meer. „Unter den Toten war auch einer meiner Freunde, er war 22 Jahre alt“, sagt der Syrer traurig.

Vier Tage lang hofften sie den Freund zu finden, doch nur 24 Ertrunkene wurden geborgen. Von Sizilien aus erreichten die Freunde mit dem Flugzeug Mailand, von dort ging es weiter mit dem Auto nach Düsseldorf und zur Außenstelle Dortmund, wo sie dem Erstaufnahmelager Neuss zugeteilt wurden.

„Meine Freunde und ich wurden in ganz Deutschland verteilt untergebracht“, berichtet Kwider bedauernd. „Seit dem 17. Oktober bin ich in Walstedde, ich bin allein, ohne Freunde, ohne Familie.“

Ein großes Problem für ihn und andere Flüchtlinge seien auch die fehlenden Deutschkenntnisse. Besonders das Ausfüllen von Formularen sei schwierig. Dankbar sei er für die Hilfe der Menschen vor Ort. Wenn die Freunde als Flüchtlinge anerkannt sind, wollen sie sich in NRW eine Wohnung suchen, vielleicht in Düsseldorf oder Köln.

Mohammad Kwider will dann Logistik studieren. Seine größte Sorge aber gilt seiner Mutter, für die er sorgen möchte und die er beschützen will. Mit Tränen in den Augen formuliert er seine größte Bitte: „Helft mir und rettet meiner Mutter und meinem Bruder das Leben, bringt sie nach Deutschland.“

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