Viele Menschen in der Gemeinde seien direkt betroffen von dem schrecklichen Unglück, sagt Tuzcuoglu. „Sie haben Freunde und Familie in der betroffenen Region und können nur die schrecklichen Bilder in den Nachrichten verfolgen.“ In dieser Situation formierte sich eine riesige Hilfswelle. Über soziale Netzwerke bildeten sich Gruppen, die sich austauschten: Was wird gebraucht, wo sollen wir hinkommen?
Zunächst stellte er seine Werkstatthalle an der Fritz-Husemann-Straße zur Verfügung, um Hilfsgüter zu sammeln und in seine Transporter zu verladen, die er aktuell nicht vermietet. „Aber da kam so viel an, wir konnten gar nicht so viel lagern“, erzählt er. Dann bot ein Dachdeckerbetrieb an der Robert-Bosch-Straße seine freie Halle an. Der Inhaber, der nicht namentlich genannt werden möchte, ist selbst betroffen. „Die Familie meiner Frau ist seit dem Beben nicht mehr zu erreichen“, erzählt er. „Wir haben keine Informationen, rechnen aber mit dem Schlimmsten.“
Wenigstens kann er hier helfen, indem er seine Halle zur Verfügung stellt. „Inzwischen sind nicht nur die türkischen Einsatzkräfte vor Ort, sondern auch Helfer aus vielen Ländern“, berichtet er. „Aber das dauert, bis sie überhaupt durchkommen in das verwüstete Gebiet – und jede Stunde zählt, die Zeit läuft uns davon.“ Die Zahl der Toten erhöht sich stündlich und die Hoffnung, noch Lebende aus den Trümmern zu bergen, werde mit jeder Stunde kleiner. Wer das Unglück überlebt hat, hat kein Zuhause mehr in der bitteren Kälte, und es fehlt an allem.
„Das ist ja keine einzelne Stadt, sondern ein Gebiet so groß wie NRW“, macht Tuzcuoglu das Ausmaß der Katastrophe deutlich. In den vergangenen 48 Stunden haben er und viele Helfer fast ununterbrochen sortiert und telefoniert, um Transportmittel zu finden, denn das Ladevolumen der kleinen Transporter ist begrenzt. Die ersten fünf sind schon kurz nach dem Unglück mit Hilfsgütern zur türkischen Grenze gefahren und wieder zurückgekehrt. „An der Grenze warten Hilfsorganisationen, die die Sachen in Empfang nehmen und weitertransportieren“, berichtet Mustafa Baykus. „Wir haben bereits Nachricht, dass die ersten Hilfsgüter aus Bönen angekommen sind.“
Hunderte Menschen sind in den vergangenen Tagen gekommen, haben Kartons gebracht, haben Ordnung ins Chaos gebracht, alles durchgesehen und beschriftet, Kisten geschleppt und Autos bepackt, erzählt Mehmet Ali Tuzcuoglu. Sie alle wollen helfen und nicht nur ohnmächtig die Bilder im Fernsehen verfolgen. So wie Merve Öztürk. Die junge Frau kommt zur Halle an der Robert-Bosch-Straße und lädt etliche Tüten mit warmer Kleidung aus ihrem Kofferraum. Der Karton-Berg wächst schon wieder an.
Es gebe inzwischen großzügige Hilfsangebote, berichten die Helfer. „Ein Pharmaunternehmen in Unna würde uns dringend benötigte Medikamente überlassen, eine Textilunternehmerin hat uns 4500 Pullover angeboten“, erzählt Tuzcuoglu. Transportmittel seien das Problem. Mit einem großen Lkw könnten sie auf einen Schlag viel mehr Hilfsgüter transportieren, erzählen die Helfer – und hoffen, dass vielleicht Bönener Speditionen helfen können. Auch Unterstützung von der Gemeinde wäre willkommen.
Trotz aller Hilfsbereitschaft – Ordnung im Chaos ist wichtig. Deshalb bitten die Helfer um Mehmet Ali Tuzcuoglu darum, Hilfsgüter nur gut verpackt und beschriftet in Kartons abzugeben. „Gebraucht werden vor allem Decken, warme Kleidung, warme Schuhe, Kindernahrung und Windeln“, zählt Enes Cakar auf. Aber am besten helfen Geldspenden an die großen Hilfsorganisationen, da sind sich alle einig, denn vieles könne besser vor Ort besorgt werden.
Allen stecken die Strapazen in den Knochen. „Gestern Abend haben wir beim Verladen gefroren – wie muss es erst den Menschen dort gehen, die kein Dach über dem Kopf haben - keine warme Kleidung, keine Schuhe?“, sagt Tuzcuoglu. „Dort sind jetzt minus 10 Grad.“