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„Sprachbesoffener“ Dr. Maik Goth ist ein Hüter verlorener Wortschätze

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Von: Markus Liesegang

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Kümmert sich um Wörter, die kaum jemand mehr kennt und benutzt: Dr. Maik Goth aus Bönen. Er bezeichnet sich selbst als „sprachbesoffen“.
Kümmert sich um Wörter, die kaum jemand mehr kennt und benutzt: Dr. Maik Goth aus Bönen. Er bezeichnet sich selbst als „sprachbesoffen“. © Luise Frentzel

Wörter kommen und gehen. Um die, die zu verschwinden drohen, kümmert sich der Bönener Dr. Maik Goth. Er erstellt für den Dortmunder Harenberg-Verlag Abrisskalender. Darin erläutert er Bedeutung und Herkunft von Wörtern, die weitgehend in Vergessenheit geraten sind oder kurz davor stehen.

Bönen – Der Duden nimmt in jeder neuen Ausgabe neue Wörter auf. In der 27. Auflage des Nachschlagewerks 2017 waren es 5000 Neuzugänge, zum Beispiel „Späti“ für den 24-Stunden-Kiosk in Berlin oder „hyggelig“ für die skandinavische Gemütlichkeit.

Wird die Rechtschreibbibel der deutschen Sprache dadurch immer dicker oder werden Wörter gestrichen und vergessen? Selten oder gar nicht mehr gesprochene Wörter verschwinden aus dem Duden. Gibt es vielleicht einen Hüter dieser verlorenen Wortschätze? Ja, den gibt es. Der Bönener Dr. Maik Goth kümmert sich um Wörter, die kaum jemand mehr kennt und benutzt. Er sorgt für ein Andenken im Abrisskalender „Vergessene Wortschätze“ aus dem Dortmunder Harenberg-Verlag.

Fisimatenten oder blümerant

„Zum Beispiel roßzüngig, mit scharfer Zunge, oder Cochonerie für Schweinerei – Wörter, die völlig vergessen sind“, erklärt der promovierte Literaturwissenschaftler die erste seiner Auswahlkriterien. „Dann gibt es die Begriffe, die gerade aussterben, wie Fisimatenten oder blümerant. Die Älteren kennen es noch, die unter 30-Jährigen nicht mehr“, weiß der 46-Jährige.

Schließlich gebe es noch die geläufigen Wörter wie Schmöker oder piesacken, deren ursprüngliche Bedeutung allerdings nicht mehr bekannt sei. „Piesacken ist eine Metapher, bedeutet ursprünglich: Jemanden mit einem getrockneten Ochsenpenis verprügeln“, klärt Goth auf.

Es gibt die Begriffe, die gerade aussterben, wie Fisimatenten oder blümerant. Die Älteren kennen es noch, die unter 30-Jährigen nicht mehr.

Dr. Maik Goth

Aus diesen drei Kategorien schlägt der umtriebige Bönener dem Verlag Wörter vor, für die Wochentage und das Wochenende jeweils eins. Deswegen schwanke die Anzahl von Jahr zu Jahr leicht. „Ca. 316 Wörter sind es.“

Die Vorgabe ist einzig, dass die Begriffe sprachlich interessant oder unterhaltsam sind. „Frech, charmant, informativ“, müssten die Wortgeschichten sein, die er dazu in circa 1200 Zeichen einkoche. Momentan arbeitet Goth an der fünften Auflage des Kalenders. „So 1600 Wortgeschichten habe ich schon geschrieben“, sagt er. Die Reduktion auf eine würzige Kürze nehme oft einige Zeit in Anspruch.

Die Auswahl der Wörter gehe ihm hingegen schnell von der Hand. „Ich weiß ja, wo ich suchen muss. Es ist in meinem Freundeskreis und darüber hinaus zudem ein gesellschaftliches Spiel geworden, mir Wörter vorzuschlagen, mit dem Hintergedanken, dass ich sie möglicherweise nicht kenne“, freut Goth sich über die Wertschätzung seiner Arbeit.

Recherchezeit sehr unterschiedlich

Die Recherchezeit zu den Begriffen sei sehr unterschiedlich. Und auch, wenn sich Goth seit Jahrzehnten mit Wörtern und deren Ursprung beschäftigt, werde er noch überrascht. „Für Plemplem gibt es keine Erklärung.“ Dann gebe es Begriffe, deren Herkunft von Sprachwissenschaftlern unterschiedlich interpretiert werde. „Peter- oder Toniwagen in der DDR für Einsatzfahrzeuge der Polizei haben hingegen einen eher banalen Hintergrund“, weiß Goth. „Es sind die Funknamen der Städte. Toni steht für Berlin, Peter für Hamburg.“

Die Arbeit am Kalender macht ihm Spaß. „Zumindest bis zum 273. Wort, danach wird die Sache eine Disziplinfrage.“ Der Bönener bleibt am Ball, so viel ist sicher. Sprache sei lebendig, wandle sich ständig, heutzutage Richtung Anglizismen. „Es gibt aber auch immer eine Gruppe von Sprachpuristen, die den Wandel verhindern, eindämmen will. Schon im 17. Jahrhundert lehnten die angesichts des Einflusses der französischen Sprache den Begriff Pistole ab, nannten die Waffe Meuchelpuffer“, schmunzelt Goth. Andererseits: Einen „Postillion d‘amour“, einen Liebesboten, gebe es im Französischen gar nicht. Aber Frankreich und Liebe passe einfach gut zusammen. Übrigens sei der Wandel der Sprache nie einseitig. Das skandinavische „hyggelig“ hätten die Engländer, die ihre Kinder ja auch in den „Kindergarten“ schicken, ebenfalls übernommen.

Vielleicht in Comicform

Beim ersten Kalender, den er 2019 geschrieben hat, habe er noch alles gewusst, sagt Goth. „Inzwischen lerne ich dazu bei den Recherchen. Obwohl, bei der Masse an neuem Wissen behalte ich längst nicht mehr alles.“

Er sei sprachbesoffen. „Vergessene Wörter“ sollen nicht zur Routine werden – und nicht das einzige Projekt in Sachen Sprache. „Wie kann ich Wortgeschichten noch erzählen“, überlegt Goth, „vielleicht in Comicform visualisiert“.

Goth lebt als Freiberufler „einen Dreiklang“

Dr. Maik Goth entschied sich nach der Promotion als Literaturwissenschaftler an der Ruhruni Bochum 2017, sich neu zu orientieren. „Ich lebe als Freiberufler einen Dreiklang.“ Da ist zum einen die Musik, die CD „Polaris“ stellte Goth kürzlich im Zechenturm vor. Konzerte mit anderen Musikern stehen ebenfalls an. Als Autor schrieb der Bönener unter anderem den „Spiegel“-Wochenkalender „Abenteurer und Entdecker“. Und dann gibt der 46-Jährige akademische Workshops in der Graduiertenförderung. „Ich unterrichte Master-Studierende, Doktorantinnen und Postdocs in akademischem Englisch, in Forschungs- und Selbstmanagement sowie in Kommunikation/Rhetorik.“ Goth selbst studierte ein Jahr in den USA, hat den Magister Anglistik, Klassische Philologie und Amerikastudien. Zudem ist er Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift „Medievalia et Humanistica“.

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