Javdani, wie sein Name einfachheitshalber meistens abgekürzt wird, kam 2019 als Flüchtling nach Deutschland. In seiner Heimat drohte ihm die Hinrichtung. „Ich habe meine Religion gewechselt“, erklärt der sympathische junge Mann das für uns Deutsche kaum begreifliche Warum. Geboren wurde er als Moslem, er sei allerdings nie besonders religiös gewesen. Das änderte sich, als seine Mutter an Brustkrebs erkrankte. „Meine Großmutter ist daran gestorben“, berichtet der Verwaltungsmitarbeiter. Seine Angst, nun gleichfalls die Mutter zu verlieren, brachte ihn zum Beten – und zwar zu Jesus Christus. Ein Freund hatte ihm den christlichen Glauben näher gebracht.
„Wenn meine Mutter gerettet wird, dann glaube ich“, versprach er damals und trat der evangelischen Kirche bei. „Du bist ein freier Mensch und kannst das selbst entscheiden. Aber du kannst dann nicht mehr im Iran leben“, warnte ihn sein Vater. Wer vom Islam zum Christentum oder einer anderen Religion konvertiert, kann dort ganz einfach zum Tod verurteilt werden.
Der angehende Maschinenbauingenieur musste alles zurücklassen: seine Familie und Freunde, sein Studium, alles Materielle. „Ich hatte im Iran alles, ein Haus, eine Arbeit, ein Auto“, zählt er auf. Bis zu seiner Flucht hat der Kaufmannssohn in der iranischen Hauptstadt Teheran gelebt, wo sein Vater ein Geschäft für Kindermoden betreibt. Soheil Javdani hat ihm im Betrieb geholfen, neben dem Studium und einem weiteren Job als Lehrer an einer Schule. Sein Vater half ihm noch bei der Flucht. Danach hat er jeden Kontakt zum Sohn abgebrochen.
Der musste in Deutschland bei null anfangen. „Aber es hat sich gelohnt: Meine Mutter lebt noch“, ist Javdani trotz allem dankbar. Sein Wunsch, bei einem Onkel in Hamburg bleiben zu können, erfüllte sich hingegen nicht. Bei der Verteilung von Flüchtlingen gelten hierzulande nämlich Quoten, und so musste der Iraner erst nach Bochum und anschließend nach Schöppingen im Münsterland ziehen.
Zwei Jahre lebte er dort in einer Flüchtlingsunterkunft, mit acht Männern in einem Zimmer. „Ich habe seit meinem 18. Lebensjahr immer gearbeitet und wollte das auch in Deutschland tun. Außerdem wollte ich so schnell wie möglich die Sprache lernen, durfte aber erst mal keinen Kursus besuchen und auch nicht arbeiten.“ Für Asylbewerber gilt schließlich eine Wartezeit.
Der junge Iraner wollte aber nicht untätig herumsitzen. Stattdessen büffelte er allein Vokabeln und Grammatik, bis er schließlich einen offiziellen Kursus absolvieren konnte. Seine guten Englischkenntnisse halfen ihm beim Lernen und bei der Verständigung. Mittlerweile beherrscht er die deutsche Sprache ziemlich gut. Das C1-Zertifikat bestätigt ihm ein fortgeschrittenes Sprachniveau. Der 29-Jährig paukt nichtsdestotrotz eifrig weiter. „Im Juni habe ich noch eine Sprachprüfung, damit ich mein Masterstudium an der TU Dortmund fortsetzen kann“, erzählt er.
Bei der Gemeinde will der Student dann weiterhin den Ordnungsdienst versehen. „Es ist eine Teilzeitstelle“, freut er sich, dass er Ausbildung und Beruf so gut miteinander vereinbaren kann. Soheil Javdani will unbedingt auf eigenen Beinen stehen, Geld verdienen und dem deutschen Staat nicht auf der Tasche liegen, wie er betont.
Deswegen hat er sich von Anfang an um Arbeit bemüht. Doch erst, als er Anfang 2021 nach Bönen kam, klappte es. „Hier habe ich die Stelle als Bufdi gefunden.“ Das alleine reichte dem gebürtigen Teheraner indes nicht aus. Er möchte Deutschland mehr zurückgeben und sich für die Gesellschaft einsetzen. „Ich wollte Feuerwehrmann werden.“ Als Javdani erfuhr, dass er dafür die deutsche Staatsangehörigkeit benötigt, entschloss er sich, zunächst ehrenamtlich Retter zu werden.
Bei der Freiwilligen Feuerwehr Bönen wurde er mit offenen Armen empfangen. Einige Lehrgänge hat er seither dafür besucht, demnächst steht der Truppenführerlehrgang an. Was ihn jedoch noch mehr freut, als der rasche Lernerfolg, ist die tolle Kameradschaft unter den Wehrleuten. Soheil Javdani fühlt sich von ihnen gut angenommen, hat viele Freunde gefunden.
Die braucht er zurzeit wohl besonders, denn das, was in seinem Heimatland passiert, belastet ihn sehr. „500 Menschen sind gestorben, 20 000 sitzen im Gefängnis“, macht der junge Mann deutlich, welche Folgen die Proteste nach dem gewaltsamen Tod der jungen Iranerin Mahsa Amini dort für seine Landsleute haben. Die Lage habe sich enorm zugespitzt, seitdem die Menschen gegen das herrschende Regime auf die Straße gehen. Doch auch schon davor sei es schwierig gewesen. „Als Frau kannst du im Iran nicht ohne Mann leben“, erklärt er.
Seine Eltern haben sich nach seiner Flucht getrennt. Er ist froh, dass zumindest sein 17-jähriger Bruder bei der Mutter ist. „Sie darf noch nicht mal als Touristin das Land verlassen, weil sie dazu die Erlaubnis meines Vaters haben muss. Und der hat nein gesagt.“ Bis zum Beginn der Massendemonstrationen hat Soheil Javdan täglich mit ihr telefoniert. Das sei nun nicht mehr möglich, das Regime habe die Kommunikationsmöglichkeiten eingeschränkt. „Sie will mir vieles erzählen, hat aber Angst“, schildert der 29-Jährige. Messanger-Dienste wie Whatsapp würden streng überwacht.
Die Bilder von den Protesten, die brutal niedergeschlagen werden, die Meldungen von Hinrichtungen und Festnahmen, erfüllen ihn mit großer Sorge. „Jetzt kann die Welt es sehen, wie es ist. Dass man im Iran wegen einer Demonstration die Todesstrafe bekommen kann“, bemerkt er. Die deutschen Behördenmitarbeiter hätten zuvor oftmals daran gezweifelt, dass ihm nach dem Religionswechsel die Todesstrafe gedroht habe. „Jetzt glauben sie es.“
Soheil Javdani hat sein Schicksal in die Hand genommen, Deutschland ist inzwischen neue Heimat, Bönen ein Zuhause geworden. Er lebt jetzt mit seiner Freundin, ebenfalls aus dem Iran, in einer eigenen Wohnung in Altenbögge. Demnächst will er die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen – und weiter mitanfassen, wenn er gebraucht wird.