Was genau sind das für Vorkommnisse?
Es deutet sich langsam ein Potenzial an zunehmender Aggression an. Das haben wir zum Glück rechtzeitig erkannt. Im Moment haben wir kein offenes Problem. Was uns auffällt, ist aber, dass auf dem Schulhof der Umgang mit Wörtern aggressiver und sehr rücksichtslos, sehr unüberlegt geworden ist. Wie es leider gesellschaftlich generell der Fall ist. Zum Beispiel Worte wie „du Jude“ oder Ähnliches werden – wahrscheinlich ohne viel darüber nachzudenken – jemanden als ‘Schimpfwort’ an den Kopf geworfen. Das ist eine offene Form von Antisemitismus. Bisher ist es vereinzelt zu hören, wenn sich so etwas jedoch hält, kann sich daraus Größeres entwickeln. Das darf nicht toleriert werden. Wir sind aber sehr positiv gestimmt, dagegen anzukommen.
Wer ist „wir“?
Bei „wir“ spreche ich in erster Linie von der Schülervertretung des MCG. Wir sind eine Schule mit circa 550 Schülern. Das heißt, unsere Schülervertretung besteht aus höchstens 30 Leuten. Und gerade die Arbeitsgruppe „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ gehen wir an. Ich beinhalte aber immer auch die gesamte Schülerschaft. Als kleine Schule erreichen wir relativ schnell und gezielt jede Person, die wir erreichen möchten.
Melden sich denn Schüler, die Probleme in diesen Bereichen haben?
Unser System am MCG ist so, dass sich keiner bei uns melden muss. Bei anderen Schulen gibt es dagegen eine Meldepflicht, die den Schülern auferlegt, sich zu melden, wenn sie etwas in dieser Richtung erfahren. Wir wollten diesen Druck nicht herstellen. Wir freuen uns und sind dankbar, für jeden, der zu uns kommt und uns vertraut, wenn es Probleme gibt. Wir gehen das Ganze dann anonym an. Das geht über das Drei-Ecken-Prinzip: Betroffene Schüler wenden sich an vertraute Personen. Die kommen wiederum zu uns, und ohne Namen zu nennen erzählen sie, was passiert ist. Da sind uns schon einige Dinge zu Ohren gekommen.
Was waren das für Dinge?
Konkret war das wirklich das Kleine, was ich schon angesprochen habe. Meistens sagen die Schüler dazu „der hat das nicht so gemeint, aber ich fühle mich trotzdem gekränkt“. Zum Beispiel, wenn Leute sehr unüberlegt über Themen reden wie Religion, Herkunft oder was es sonst noch gibt. Oder wenn ein Wort fällt wie eben ‘Du Jude’. Das ist übrigens erschreckenderweise mittlerweile ein etabliertes Schimpfwort geworden. Wenn so etwas fällt, sagen uns die Schüler, dass sie das kränkt und sie es nicht toll finden. Mit den Leuten zu sprechen, hilft dann oft schon.
Das MCG ist Mitglied des Netzwerks „Schule gegen Rassismus, Schule mit Courage“. In Ihrer Rede haben Sie kritisiert, dass die Aktionen dazu ziemlich eingeschlafen sind. Muss da nicht mehr passieren?
Wir haben 2018 die Schule ohne Rassismus gegründet – als Schülerinitiative. Das heißt, es sollte alles von uns kommen. Natürlich können wir Schüler nicht alles selber planen, deswegen haben wir unsere Vertrauenslehrer dabei. Diejenigen, die die Zertifizierung damals angestoßen haben und wussten, worum es geht, sind mittlerweile nicht mehr an der Schule. Wegen Corona hatten wir dann zwei Jahre Leerlauf, in denen wir nicht viel machen konnten. Interne Workshops waren schwierig, Leute von außen einzuladen noch schwieriger. Da ist alles so ein bisschen aus den Augen, aus dem Sinn gegangen – auch durch die Unruhe um unseren ehemaligen Schulleiter. Wir haben uns praktisch nur noch an die offiziellen Tage gehalten. Es gibt zum Beispiel die Woche für Schulen ohne Rassismus, in der wir etwas gemacht haben oder eben zum Holocaust-Gedenktag. Eigentlich war jedoch geplant, dass wir mindestens alle ein, zwei Monate ein Projekt machen. Wir laufen jeden Tag an dem Schild am Eingang vorbei, das uns als Schule ohne Rassismus auszeichnet, aber die Jüngeren wissen gar nicht, worum es geht. Sie waren 2018 noch nicht da und wissen nicht, dass die Initiative von uns ausging und dass das nicht einfach irgendetwas ist, was wir uns an die Wand gehängt haben. Wir sollten ihnen zeigen, was es heißt, eine Schule ohne Rassismus zu sein. Deshalb müssen wir das jetzt angehen.
Gibt es Ideen dazu?
Wir stehen im engen Kontakt mit Frau Kahraman-Brust vom Kommunalen Integrationszentrum des Kreises. Und wir hatten einen Schülervertretungstag vor den Ferien, bei dem das Thema war. Dabei sind gute Sachen herumgekommen. Wir haben viele Workshops geplant zum sozialen Umgang miteinander. Dabei geht es darum, das Gefüge wieder ein bisschen enger zu bekommen. Außerdem haben wir zwei Lesungen in Aussicht, die wir zu uns an die Schule holen – so wie jetzt Herrn Zacher am Holocaust-Gedenktag. Dann hoffen wir, dass das Ganze wieder in den Vordergrund gerückt wird.
Wie sehen das andere Schüler? Tragen sie das mit?
Bei den Sitzungen der Bezirksschülervertretung mit alle Schülervertretern des Kreises ist mir aufgefallen, dass ein paar Leute schmunzeln, wenn das Thema „Schule ohne Rassismus“ angesprochen wird. Die Schüler unter sich sagen schon, dass das Schild da nur so zum Spaß hängt. Nach meiner Rede bei der Gedenkfeier sind aber mehrere zu mir gekommen und meinten, dass es gut ist, das mal pointiert anzusprechen und wir das klar angehen müssen. Wir müssen auch den Grund dahinter suchen, warum die Leute bei dem Thema schmunzeln. Das sind die, die wir erreichen wollen.
In der Aula haben Sie gefragt, was es Schlimmeres geben könnte, als Tag ein Tag aus mit Angst vor Ausgrenzung zur Schule zu kommen. Mobbing hat nicht unbedingt etwas mit Rassismus zu tun. Steht es ebenfalls auf der Agenda?
Das steht bei uns ganz groß auf der Agenda. Wir wollen den Opfern von Mobbing Hilfe geben, wollen die Mobber davon abbringen, so etwas zu machen. Unser Hauptfokus liegt allerdings darauf, eine aktive Positionierung bei allen anderen zu erreichen. Wir haben bei uns an der Schule nicht viele, die aktiv mobben. Ein, zwei gibt es aber natürlich immer. Einer macht den anderen fertig, und 20 Leute stehen drumherum. Diese 20 Leute wollen wir dazu kriegen, sich dagegen zu positionieren. Der Mobber hat schließlich nur daran Spaß, wenn alle anderen ihm zulachen und Unterstützung geben. Wenn wir die Leute, die zwar sagen, dagegen müsse man etwas machen, aber nicht handeln, dazu bekommen, sich zu positionieren, aktiv die Schule ohne Rassismus zu gestalten, dann haben wir etwas geschafft.
Unterstützen die Lehrer dabei?
Im Vergleich zu anderen Schulen sind wir sehr, sehr gut aufgestellt. Wir haben eine super Unterstützung von unseren SV-Lehrern und aus der Arbeitsgruppe Schule ohne Rassismus. Wir bekommen tolle Projekte hin, haben super Kommunikationsstrukturen, an die sich die Leute halten können. Und wenn wir als Schülerschaft versuchen, das gemeinsam zu lösen, haben wir da den Rückhalt. Wir sind ein sehr gutes Team.
Und die Schüler? Sind die älteren Vorbilder für die jüngeren?
Ja, wobei man sagen muss, dass für die Kleinen aus der Unterstufe das Thema schwer zu begreifen ist, wenn es zu abstrakt bleibt. Da wird zwar auch gelästert, werden mal Leute runtergemacht oder Späße über andere gemacht, aber das ist noch nicht das große Ausmaß. Was nicht heißen soll, dass die Unterstufe zu vernachlässigen ist – im Gegenteil. Die Mittelstufe bis untere Oberstufe: Das ist der Kern, an den wir aktuell herankommen wollen. Ich will nicht sagen, dass wir Großen als Vorbild dastehen, da nehme ich meine Stufe nicht aus. Da müssen wir auch etwas machen. Aber wenn wir es bei uns als Große schaffen, mit einem guten Beispiel voranzugehen und den Jüngeren zu zeigen, wie gut es sein kann, wenn man so etwas wie Rassismus, Antisemitismus oder Ausgrenzung erst gar nicht hat, dann erreichen wir etwas.
„Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ ist das größte Schulnetzwerk in Deutschland. Ins Leben gerufen wurde es 1995, erstes Mitglied war das Immanuel-Kant-Gymnasium in Dortmund. Inzwischen gehören über 3800 Schulen mit mehr als zwei Millionen Schülern dazu. Um den Titel zu bekommen, müssen mindestens 70 Prozent der Schulmitglieder in geheimer Abstimmung erklären, dass sie sich aktiv gegen Diskriminierungen, insbesondere Rassismus, einsetzen. In Bönen ist neben dem Marie-Curie-Gymnasium noch die Pestalozzi-Hauptschule (seit 2018) mit dabei.