„Auf Dauer ausgerichtetes Täuschungssystem“: Prozess beginnt im Pflegeskandal

Mit der stundenlangen Verlesung der Anklageschrift hat in Dortmund der Prozess um den Bönener Pflegeskandal begonnen. Und schon am ersten Verhandlungstag wurde deutlich, dass sich alle Beteiligten auf einen langen und zähen Prozess einstellen müssen.
Dortmund/Bönen – Der Angeklagte wirkte müde und erschöpft, als er von zwei Wachtmeistern in den Verhandlungssaal geführt wurde. Der 51-Jährige setzte sich zwischen seine Verteidiger und senkte den Blick. Erst, als er kurz darauf sah, wie viele Zuschauer zu „seiner“ Verhandlung gekommen waren, huschte doch noch ein Lächeln über sein Gesicht.
Der Geschäftsmann ist tief gefallen und hart gelandet. Seit Juli sitzt er in Untersuchungshaft, weil die Staatsanwaltschaft ihn für einen Millionenbetrüger hält. Als faktischer Geschäftsführer eines Bönener Pflegedienstes soll er bei den Krankenkassen regelmäßig Höchstsätze abgerechnet haben, obwohl die Leistungen angeblich nicht von ausreichend geschultem Personal erbracht wurden.
Insbesondere für die Nachtdienste verfügte das Unternehmen über völlig unzureichendes Personal.
„Insbesondere für die Nachtdienste verfügte das Unternehmen über völlig unzureichendes Personal“, sagt Staatsanwalt Ralph Steinert. Stellenweise seien die Pflegeleistungen sogar von den Angehörigen der Patienten erbracht, aber dennoch bei der Krankenkasse abgerechnet worden.
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Um den mutmaßlichen Betrug zu verschleiern, soll der 51-Jährige außerdem mehrere Mitarbeiterinnen dazu angestiftet haben, die Personalakten zu frisieren. Ein „auf Dauer ausgerichtetes Täuschungssystem“ nannte Steinert das. Leider habe man bisher nicht ermitteln können, wer die gefälschten Qualifikationsbescheinigungen für die einzelnen Angestellten hergestellt habe.
Rund 8,1 Millionen Euro Schaden
Insgesamt soll das Unternehmen mehr als 200 Patienten betreut haben. Hinsichtlich zwölf Betroffener hat Staatsanwalt Steinert jetzt Anklage erhoben. Den Schaden, der insgesamt bei den Krankenkassen entstanden sein soll, beziffert er auf rund 8,1 Millionen Euro.
Der Angeklagte ist jedoch weit davon entfernt, diese Vorwürfe einfach abzunicken und dafür eine Strafe zu akzeptieren. Der 51-Jährige werde keine Aussage machen, hieß es am Freitag. Stattdessen wollten die Verteidiger sogar den ganzen Prozess erst einmal wieder platzen lassen.
Richter sehen faires Verfahren
Weil ihnen die gewaltigen Fallakten bisher nicht in digitaler Form zur Verfügung gestellt worden seien, beantragten die Anwälte, das Verfahren auszusetzen. Doch da machten die Richter nicht mit. Das Recht auf ein faires Verfahren sei keineswegs verletzt worden, lautete ihr Beschluss. Die Verteidiger könnten die Fallakten jederzeit einsehen, um sich auf die einzelnen Verhandlungstage vorzubereiten.
Der Prozess soll nun Ende März fortgesetzt werden. 41 weitere Termine sind am Landgericht Dortmund angesetzt.