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Pflege-Skandal: Pflegedirektor will von angeblichen Mauscheleien nichts gewusst haben

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Von: Jürgen Menke, Martin von Braunschweig

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Im Landgericht Dortmund ging der dritte von 42 angesetzten Verhandlungsterminen über die Bühne.
Im Landgericht Dortmund ging der dritte von 42 angesetzten Verhandlungsterminen über die Bühne. © dpa (Symbolbild)

Bei der juristischen Aufarbeitung des Bönener Pflege-Skandals spielt auch der langjährige Pflegedirektor des inzwischen insolventen Unternehmens eine entscheidende Rolle. Am Freitag sagte der 55-Jährige als Zeuge vor dem Dortmunder Landgericht aus.

Bönen/Dortmund – Der Pflegedirektor erschien in Pulli und bequemer Hose – und würdigte den Angeklagten keines Blickes. Seit 2012 hatte er mit dem Unternehmer zusammengearbeitet. Doch zuletzt soll es immer wieder zu Spannungen zwischen den beiden Männern gekommen sein.

Lücken beim Personal

Der Zeuge beschrieb den Angeklagten als „enthusiastischen, freundlichen und sympathischen Mann“, der ihn von Anfang an fasziniert habe. Aus dem Nichts habe der Unternehmer es geschafft, den größten Kinderintensivpflegedienst in Deutschland aufzubauen – mit Patienten in Kassel, in Frankfurt, im Ruhrgebiet und in Bremen.

Der Fall

In dem Wirtschaftsprozess vor der 55. Großen Strafkammer am Landgericht Dortmund wird dem Angeklagten banden- und gewerbsmäßiger Betrug in 423 Fällen vorgeworfen. Der 51-Jährige, der seit Mitte 2022 in Untersuchungshaft sitzt, soll als Entscheidungsträger eines bundesweit tätigen Pflegedienstes in Bönen gegenüber Krankenkassen falsch abgerechnet und sich so unzulässig bereichert haben. Den Schaden beziffert die Staatsanwaltschaft auf rund 8,1 Mio. Euro. Die Summe bezieht sich auf zwölf Verträge über häusliche Intensivpflege. Insgesamt soll das mittlerweile insolvente Unternehmen mehr als 200 Patienten betreut haben. Der Fall sorgte auch für Aufsehen, weil Patienten kurzfristig gekündigt worden war und Intensivpflege-WGs mangels Personal von der Aufsichtsbehörde geschlossen  wurden. Der Ehefrau des Angeklagten wird Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen vorgeworfen. Die 45-Jährige leitete den Pflegedienst offiziell. Ihr Verfahren wurde abgetrennt. Der Pflegedienst mit einst bis zu 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meldete im Juli 2022 Insolvenz an, zum 1. September stellte der Insolvenzverwalter den Betrieb ein. Mitte 2021 hatte es eine Durchsuchung der Pflegedienst-Räume gegeben. Dabei entdeckten die Ermittler eine Schusswaffe samt Munition. Beides wird dem 51-Jährigen zugeordnet. Er muss sich wegen des Vorwurfs des illegalen Besitzes einer Schusswaffe samt Munition noch gesondert verantworten.

An neue Patienten zu gelangen, sei dabei nie das Problem gewesen, sagte der Pflegedirektor. Dramatisch sei irgendwann allerdings die Lage beim Personal gewesen. „Ab einem bestimmten Punkt hatten wir eigentlich keine Möglichkeit mehr, weitere Patienten aufzunehmen“, so der Zeuge. „Doch wenn ich das gesagt habe und erklärt habe, dass unser Personal hinten und vorne nicht reicht, hat er das oft revidiert und trotzdem die Aufnahme angeordnet.“

„Das waren immer lange Tage“

Dass der Angeklagte auf dem Papier lediglich eine Art Berater des Pflegedienstes war, während seine Frau offiziell die Geschäfte führte, nannte der 55-Jährige schlicht „Fake“. Es habe ein Organigramm gegeben, in dem allen Mitarbeitern Aufgaben zugeschrieben wurden. „Aber letztendlich war es so, dass der Angeklagte alle relevanten Entscheidungen selbst getroffen hat.“

Von den angeblichen Mauscheleien auf den Leistungsnachweisen, von gefälschten Arbeitszeugnissen und Zusatzqualifikationen, die es tatsächlich gar nicht gab, will der Pflegedirektor dagegen nie etwas mitbekommen haben. „Ich habe 16 Stunden am Tag gearbeitet, das waren immer lange Tage für mich“, sagte er. Seine Aufgaben in der Dienstplanung habe er immer gewissenhaft erledigt.

Höhnisches Gelächter

Gleich mehrmals ging bei solchen Sätzen aus dem Mund des Zeugen ein Raunen durch den wie immer vollständig gefüllten Zuschauerbereich des Verhandlungssaals. Auch höhnisches Gelächter war zu hören, als der Zeuge seine vollständige Unschuld an den Vorkommnissen in dem Unternehmen beteuerte.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, die Pflege von mindestens zwölf Intensivpatienten mit nicht ausreichend ausgebildeten Kräften durchgeführt und die Krankenkassen auf diese Weise um mehr als acht Millionen Euro betrogen zu haben.

Der Prozess wird am Donnerstag, 6. April, mit dem vierten von insgesamt 42 anberaumten Verhandlungsterminen fortgesetzt.

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