So wie ich stehen auch andere Kunden irritiert vor den leeren Regalen und blicken sich suchend um. Vor allem preiswerte Hausmarken und gängige Markenprodukte sind teilweise seit Wochen nicht erhältlich. Neben dem teuren Gourmet-Feigensenf zum Beispiel fehlen die preiswerteren gewohnten Standardmarken. „Haben die umgeräumt, dass ich das nicht finde, oder gibt es die Produkte nicht mehr? Hamstern die Leute jetzt Senf?“, fragt mich eine ratlose Kundin. „Das erinnert mich ein bisschen an die DDR. Da musste man das nehmen, was es gerade gab“, sagt eine andere Frau, die Tomatenpaprika im Glas sucht – vergeblich. Steuern wir auf eine Mangelwirtschaft zu?
Der Inhaber eines Bönener Lebensmittelmarktes, der namentlich nicht genannt werden möchte, bestätigt die Beobachtung, dass derzeit Produkte im Regal fehlen. Ein ungewohnter Anblick für Verbraucher, die gewohnt sind, dass immer alles verfügbar ist, und Regale sofort aufgefüllt werden.
Ursache für die meisten Lücken im Regal, bestätigt der Marktleiter, seien aber weniger Lieferkettenprobleme als Preisverhandlungen, die sogenannten Jahresgespräche, die die Handelsriesen wie Rewe, Edeka, Lidl, Aldi und andere derzeit mit den Global Playern, den großen Lebensmittelkonzernen wie Nestlé und Unilever führen. Die haben längst unzählige beliebte Marken aufgekauft und unter einem Dach vereinigt. Sie zögen, so der Marktleiter, derzeit die Preisschraube kräftig an.
„Durch die Energiekrise verteuern sich viele Produkte in der Herstellung“, sagt er. „Dass sich das auf die Preise auswirkt, ist nachvollziehbar. Aber die Frage ist, um wie viel sich ein Produkt tatsächlich verteuert. Da werden teilweise so unverschämte Preiserhöhungen angesagt, das ist nicht akzeptabel. Das können wir nicht an den Kunden weitergeben.“ Preispoker der Giganten auf dem Rücken der Verbraucher. Die zahlen am Ende, was auf dem Kassenzettel steht.
Die Alternative? „Wenn es keine Einigung gibt zwischen Hersteller und Handelsketten, dann kommt es erst mal zu einem Lieferstopp.“ Das sind offensichtlich die Lücken in den Regalen, die wir zur Zeit sehen. Gibt es auf Dauer keine Einigung mit dem Hersteller, könne es passieren, dass ein Produkt oder alle Produkte einer Marke aus dem Sortiment genommen werden. „Vor zwei Jahren konnte sich eine große Handelskette nicht mit einer Brauerei einig werden, da wurde die Biersorte kurzerhand ausgelistet“, berichtet er.
Auf die WA-Anfrage zu den Ursachen für die aktuellen Lücken im Warenangebot nimmt einzig der Edeka-Konzern Stellung:
„Aktuell können wir in enger Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten eine ausreichende Versorgung mit allen Produkten des täglichen Bedarfs sicherstellen. In Einzelfällen kann es allerdings bei bestimmten Produkten zu kurzzeitigen Lieferengpässen kommen. Dies liegt unter anderem daran, dass aufgrund des Kriegs in der Ukraine und der gegen Russland verhängten Sanktionen Produktionsländer für Getreide und Ölsaaten wegfallen.
Hinzu kommen Preiserhöhungsforderungen wie im Fall von Coca Cola. Gerade in Zeiten der steigenden Inflation ist es ein wichtiges Anliegen von Edeka, die privaten Haushalte zu entlasten. Daher stehen wir seit Monaten in harten Verhandlungen mit der Markenartikelindustrie. Wir werden auch weiterhin jede Preiserhöhungsforderung sehr genau prüfen. Nicht vermeidbare Preissteigerungen dürfen nicht allein den Verbrauchern aufgebürdet werden, sondern müssen in der gesamten Wertschöpfungskette verteilt werden. Der Edeka-Verbund investiert in erheblichem Umfang, um die Verkaufspreise möglichst stabil zu halten – auch zulasten der eigenen Marge. Wir erwarten auch von unseren Industriepartnern, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden.“
„Als Einzelhändler vor Ort sind wir die letzten in der Kette, die etwas ändern können“, sagt der Brancheninsider. Allerdings sei er der erste, der von den Kunden angesprochen wird, wenn etwas fehlt und wenn die Preise steigen. Er könne nicht selbst entscheiden, Produkte aus dem Sortiment zu nehmen, oder Preise ändern, weil sie ihm zu hoch erscheinen. „Auf der anderen Seite muss ich dem Kunden ein umfangreiches Sortiment anbieten und auch Umsatz machen.“ Letztlich entscheide der Verbraucher, welche Preiserhöhungen er für seine bevorzugten Produkte bereit ist zu akzeptieren.
Die Frage ist: Spielt Markentreue eine große Rolle? Es wird sich zeigen, wie lange der Verbraucher seinem Lieblingsprodukt treu bleibt, wenn das nicht mehr im Regal liegt. Dabei ist entscheidend, ob er die Marke nur bei einer Handelskette vermisst oder ob auch die Konkurrenz das Produkt auslistet, wenn Hersteller ihrer Ansicht nach überzogene Preise fordern. Ein schwieriger Spagat auch für die Produzenten, die möglicherweise ihre über Jahrzehnte mit großen Werbeetats erreichte Marktposition verlieren, wenn sie zu hoch pokern.
Das Problem beschränkt sich nicht auf ein Einzelhandelsunternehmen. Fehlende Produkte und Lücken in den Regalen nehmen Verbraucher derzeit überall in den Läden der großen Handelsketten wahr. Auch Maximilian Sauer, Inhaber von vier Edeka-Märkten – unter anderem auch in Bönen – kennt das Problem, und sagt, dass die Branche aktuell mit mehreren Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Da seien nicht nur die Schwierigkeiten mit den Lieferketten, sondern auch die steigenden Energiepreise, die die Hersteller jetzt anteilig auf den Produktpreis schlagen. Auch er bestätigt, dass die Jahresgespräche mit den Lieferanten über die Preisgestaltung bisweilen auch für Lücken im Angebot sorgen.
So fehlen seit einiger Zeit die Produkte des Branchenriesen Coca Cola in den Regalen. Die höheren Preisforderungen des Softdrink-Giganten wollte Edeka nicht akzeptieren, also stoppte Coca Cola die Lieferungen. Der Streit ging vor Gericht und Coca Cola wurde zunächst dazu verdonnert, Edeka wieder zu den vertraglich festgelegten Höchsteinkaufspreisen zu beliefern. Ein zweites Urteil entschied zugunsten des Limonadenherstellers, der Lieferstopp sei rechtens . Inzwischen kommt es auch über andere Markenprodukte zum Preisstreit.
Wenn sich Handelsketten und Hersteller geeinigt haben, müssen nach den Jahresgesprächen viele Preise geändert werden. „Wir haben über 24 000 verschiedene Artikel, das ist ein großer Aufwand“, erläutert Maximilian Sauer. Vor allem, wenn das Personal fehlt. „Wir kommen nicht hinterher, die Regale mit Ware zu bestücken und sie neu auszupreisen, uns fehlt einfach das Personal.“ Das liege zum einen an Corona, aber auch daran, dass nur schwer Mitarbeiter zu bekommen seien.
„Der Personalmangel könnte in den nächsten Jahren noch ein Problem werden. Da müssen wir uns überlegen, welche Auswirkungen das künftig zum Beispiel auf die Öffnungszeiten hat. Die Branche ist derzeit stark im Umbruch“, sagt Sauer, dessen Unternehmen gerade sein 100-jähriges Bestehen feiert.
Das Problem leerer Regale in den Supermärkten ist auch der Verbraucherzentrale bekannt. Astrid Lindner, Leiterin der Verbraucherberatung in Kamen, räumt ein, dass die Ursachen schwer einzuschätzen sind. Sie geht davon aus, dass mehrere Faktoren dazu führen, dass einzelne Waren, zumindest temporär, nicht mehr in den Regalen zu finden sind.
„Wir lernen zurzeit: Wenn irgendwo an einem Rädchen gedreht wird, hat das weitreichende Auswirkungen. Es kann sein, dass die Lücken mit den verzögerten Lieferketten zu tun haben, ausgelöst durch die Corona-Pandemie und die Ukraine-Krise. Es kann aber auch daran liegen, dass viele Geschäfte Personalmangel beklagen und deshalb mit dem Einräumen der Ware nicht mehr hinterherkommen.“
Zudem gebe es wieder vermehrt das Phänomen, dass Kunden angesichts steigender Energiepreise und den Ankündigungen der Hersteller, dass Lebensmittel spürbar teurer werden, wieder zu Hamsterkäufen neigen, um sich jetzt mit den wichtigsten Lebensmitteln einzudecken. „Das haben wir in der Pandemie ja unter anderem mit Toilettenpapier und Mehl schon erlebt“, erinnert Lindner. „Aber das ist das Schlechteste, was Verbraucher jetzt tun können“, warnt Lindner eindringlich. „Denn Hamsterkäufe verstärken die Probleme noch und sorgen für weitere Lücken, weil die Hersteller nicht hinterherkommen. Der Preis steigt und die Spirale dreht sich weiter hoch.“
Die Verbraucherberaterin ist überzeugt: „Es besteht kein Grund zur Panik, die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln ist gesichert.“ Eine normale Vorratshaltung sei vollkommen ausreichend.
In der Preisgestaltung seien die Unternehmen aber erst einmal frei. „Das ist der Preis, den wir für eine freie Marktwirtschaft zahlen, in der Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen.“ Der Preis eines Produktes setze sich aus vielfältigen Faktoren zusammen. „Deshalb appellieren wir an die Kartellbehörden, sehr genau hinzuschauen. Allerdings: Nicht für alles haben wir Aufsichtsbehörden und nicht alles können wir so stark kontrollieren, wie das vielleicht sinnvoll wäre“, sagt die Verbraucherschützerin. Es bestehe immer der Verdacht, dass sich dann auch Leute an einer Krise bedienen, die sich nicht bedienen dürften.