Eine Strahlen- oder Chemotherapie bekam der Rentner nicht. Das schien nicht vonnöten. Dafür bekam er aber den dringenden Rat, alle zwei bis drei Monate Kontrolluntersuchungen durchführen zu lassen. Bei diesen Terminen wurde jeweils der PSA-Wert überprüft – und der stieg von Mal zu Mal weiter an. Dabei sollte er bei null liegen, wenn die Prostata nicht mehr vorhanden ist.
Der Urologe befürchtete, dass sich bei Diekmann entweder neue Metastasen gebildet haben oder bei der Operation nicht alle Krebszellen entdeckt und entnommen wurden. Das altgriechische Wort Metastase leitet sich schließlich nicht von ungefähr von den Begriffen „Wanderung“ oder „Verlagerung“ ab. Die Suche nach solchen Tochtergeschwülsten kann somit durchaus mit der nach der berühmten Nadel im Heuhaufen vergleichbar sein.
Zum Glück gibt es Hilfsmittel, die das Aufspüren vereinfachen. Im Fall von Günter Diekmann ist das die PET/CT. Das jedenfalls hielten der Urologe und die Klinikärzte für die sicherste Methode, um selbst versteckte Metastasen auszumachen. Bei dieser Untersuchung wird die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), ein spezielles Untersuchungsverfahren der Nuklearmedizin, mit einer Computertomografie (CT) kombiniert.
„Das ist so, als ob man im Dunklen spazieren geht und sich in 100 Meter Entfernung ein Wald befindet. Darin steht ein Mann, der mit einer LED-Lampe leuchtet“, hat Diekmann eine bildhafte Beschreibung dafür bekommen. Der Mann mit der Lampe symbolisiert die Metastase. So bekommt der Patient also Gewissheit, ob sich da etwas Neues gebildet hat oder nicht.
Die Krankenkasse von Günter Diekmann, beziehungsweise der Medizinische Dienst hielt diese Art der Diagnostik aber nicht für erforderlich. Die Barmer-Ersatzkasse hat die Kostenübernahme dafür abgelehnt. „Dabei handelt es sich um eine sogenannte Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Dies sind Methoden, die der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss bislang nicht als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen hat. Sie dürfen deshalb nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden“, teilt ein Sprecher der Barmer mit.
Dass Günter Diekmann damit unzufrieden ist, darüber bestehe in seinem Haus nichtsdestotrotz großes Verständnis. „Unsere Mitarbeiter haben sich intensiv mit dem Fall befasst. Aus den dargelegten Gründen ist leider keine andere Entscheidung möglich“, bedauert der Barmer-Sprecher. In den USA und in vielen europäischen Ländern ist das Verfahren indessen längst anerkannt und wird von den Versicherungen getragen.
Das hätte die Barmer ebenso getan, wenn der Bönener Lungenkrebs hätte. Gleichfalls bezahlt sie die PET/CT-Diagnostik bei einem Verdacht auf Lymphdrüsenkrebs bei Kindern und Jugendlichen. Da beides nicht auf ihn zutrifft, soll Diekmann die Kostenübernahme – lauft Kostenplan rund 1500 Euro – nicht zustehen. Angst um sein Leben hat er dennoch.
Er hat Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt und dem die Schreiben die dringenden Empfehlungen seines Urologens und der Mediziner aus der Fachklinik beigefügt. Die Barmer ließ daraufhin den Medizinischen Dienst (MD) urteilen. Dessen Fachleute sollten unter anderem prüfen, ob bei dem 65-Jährigen eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt, es dafür keine anerkannte Behandlung gibt oder eine Chance auf Heilung durch die Anwendung der „Neuen Behandlungsmethode“ besteht. Das sind Voraussetzungen, unter denen die Krankenkasse doch bezahlt.
Die MD-Mitarbeiter kamen aber zum Ergebnis, dass diese Kriterien bei dem Bönener nicht allesamt erfüllt sind. Das beträfe beispielsweise den zweiten Punkt. Laut Gutachten gebe es alternative Untersuchungsmethoden, nämlich eine CT- und/oder eine MRT-Untersuchung des Beckens. Die hielten hingegen weder Diekmanns Urologe noch die behandelnden Ärzte in der Fachklinik für sinnvoll. „Da sieht man gar nichts“, hat der 65-Jährige erfahren. „Das wäre so, als ob der Mann im Wald kein Licht angeschaltet hat“, bezieht er sich auf das bereits genannte Bild.
Auf der neunseitigen Ablehnungsbegründung der Barmer beziehungsweise des MD wird zudem ausgeführt, dass bei ihm lediglich das Krebsstadium eins von vier (unheilbar) möglichen vorliegt. Damit sei die Krankheit derzeit nicht lebensbedrohlich. Tatsächlich steht das Prostatakarzinom mit einem Anteil von rund zwölf Prozent an zweiter Stelle bei den zum Tode führenden Krebserkrankungen bei Männern, gibt die Deutsche Krebsgesellschaft an. Bei frühzeitiger Diagnose gibt es allerdings gute Heilungschancen. Das ist möglicherweise der Grund dafür, warum die meisten privaten Krankenkassen eine PET/CT-Untersuchung übernehmen.
Ganz so früh ist es bei dem Bönener nicht mehr. Die Operation wurde im Sommer 2021 durchgeführt, seit Januar raten die Ärzte zur Untersuchung. Seither kämpft Diekmann für die Kostenübernahme. Jetzt wollte er nicht mehr warten. Er hat sie in einem medizinischen Versorgungszentrum in Dortmund durchführen lassen und aus eigener Tasche bezahlt. Dabei wurden zwei neue Metastasen entdeckt: eine am Mastdarm, eine am vierten Lendenwirbel.
„Die wären bei den von der Krankenkasse vorgeschlagenen Untersuchungen gar nicht zu sehen gewesen“, hat der 65-Jährige erfahren. Das Tragische: Weil sich das Verfahren mit der Krankenkasse so lange hingezogen hat – immerhin zehn Monate – befürchtet sein Facharzt, dass die Tumore weiter gestreut haben. Für Diekmann beginnt nun eine strapaziöse Krebstherapie.
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