Der Verein Deathcare Embalmingteam ist eine auf der Welt einzigartige humanitäre, ehrenamtliche Hilfsorganisation, in der sich Bestatter, Thanatopraktiker, Mediziner, Forensiker und Psychologen zusammengeschlossen haben, um bei Katastropheneinsätzen ihre kompetente Hilfe weltweit direkt vor Ort anzubieten. Sie stellen ihre Expertise zur Verfügung, um die würdevolle und professionelle Versorgung verstorbener Menschen sowie den sensiblen und respektvollen Umgang mit den trauernden Hinterbliebenen zu gewährleisten. Mit ihrer Unterstützung wollen die Deathcare-Mitglieder die Rettungskräfte vor Ort entlasten.
Sie unterstützen bei der Bergung der Opfer, Desinfektion und Konservierung (Embalming) sowie Rekonstruktion und Identifikation der Opfer, beraten bezüglich Hygiene, Aufbewahrung und Transport der Verstorbenen und der Planung von Massengräbern. Zwei Gruppen mit insgesamt 28 Helfern waren jetzt im Erdbebengebiet in Kahramanmaras im Einsatz. Bisher waren die Mitglieder bei Katastrophen in der Türkei, in Taiwan, Thailand und Frankreich im Einsatz.
Gegründet wurde die Hilfsorganisation 2005 und hat aktuell über 70 aktive Mitglieder. Die Organisation finanziert sich über Spenden. Infos: www.deathcare.de.
„Mittlerweile spricht man von über 50.000 Opfern, Genaues weiß niemand, wahrscheinlich ist die Zahl noch viel höher, weil manche Dörfer immer noch abgeschlossen und auf sich gestellt sind“, vermutet Schulte. Die Überlebenden harren aus vor den Schuttbergen, wo ihre Angehörigen gewohnt haben und nachts von dem Beben im Schlaf überrascht wurden. Sie hatten keine Chance zu entkommen. Mit Farbe haben Überlebende Markierungen an die Häuser gesprüht, um den Helfern den Weg zu weisen, wo Tote vermutet werden.
Jeden einzelnen Körper – oder was noch davon übrig ist – behutsam freizulegen, das ist die Aufgabe des Deathcare-Teams. „Überall arbeiten sich riesige Bagger ganz vorsichtig durch die Schuttberge“, erklärt Martin Schulte die Vorgehensweise. „Wenn wir einen Toten entdecken, legen wir ihn frei. Die Bauarbeiter und Helfer sind jedes Mal sehr dankbar, dass sie das nicht machen müssen, sondern wir das übernehmen.“ Selbst für die Profis geht das an die Grenzen, denn es ist zwar kalt, das hält den Verwesungsprozess etwas auf, dennoch sind die Körper seit Tagen verschüttet. Die Bilder machen allen zu schaffen, aber es muss getan werden.
Anschließend werden die Toten in die Sporthalle, den zentralen Sammelort, gebracht. Dort sind auch die Helfer von Deathcare in einem Nebenraum untergebracht, wo sie sich nachts wenigstens ein paar Stunden ausruhen können von den Strapazen. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft haben sich hier eingerichtet, um die zahllosen Toten zu erfassen und irgendwie Ordnung ins Chaos zu bringen. Manchmal können Angehörige die Körper noch identifizieren, dann hat der Tote einen Namen, eine Identität. Für die Überlebenden eine traumatische Erfahrung.
Die, die nicht identifiziert werden können, werden von Martin Schulte und seinen Kollegen erkennungsdienstlich behandelt. „Wir spritzen die Finger mit Flüssigkeit auf, sodass man Fingerabdrücke nehmen kann. DNA- und Zahnproben werden genommen, um später einen Abgleich machen zu können. Dann erhalten die Toten eine Nummer und werden beerdigt auf Grabfeldern in langen Reihen. Oft liegen ganze Familien nebeneinander.“ Da bleibt dann niemand mehr zum Trauern.
Die Masse der Toten, das ganze menschliche Leid, das unvorstellbare Ausmaß der Zerstörung, das macht auch Martin Schulte zu schaffen. „Ich habe als Bestatter und und als Rettungsassistent beim DRK in meinem Leben viele Tote und viel Leid gesehen, aber das übertrifft alles – wir sind ja nicht nur Profis, wir sind in erster Linie Menschen.“
Beeindruckt ist er in all dem Leid und dem Chaos, wie gut die türkischen Hilfskräfte organisiert sind und wie pragmatisch jeder mit anfasst. Bagger aus dem ganzen Land haben bereits viel abgetragen und Wege geebnet. „Überall werden Feuertonnen aufgestellt, an denen man sich wärmen kann, auf denen Tee und Suppe gekocht wird“, berichtet Martin Schulte. „Wagen tauchen auf und bieten Essen an. Wir wundern uns, wo das herkommt. Und immer wieder bieten uns Menschen in den Straßen einen heißen Tee an oder etwas zu Essen und danken uns für unsere Hilfe. Das berührt uns.“
Er erinnert sich an zwei kleine Kinder, die auf einer Mauer vor der Sporthalle aneinandergelehnt schlafen. „An den Füßen nur offene Schlappen und das in der Kälte. Ich habe meine Decke geholt und sie den beiden gegeben. Sie haben mich verwundert angeschaut und sich dann in die warme Decke gekuschelt. Das sind Momente, die kann man nicht in Worte fassen.“
Am Montag, 20. Februar, bekommen die Helfer hautnah zu spüren, wie sich ein Erdbeben anfühlt. „Wir waren gerade auf dem Gelände der Feuerwehr, als alles anfängt zu wackeln und selbst die schweren Einsatzfahrzeuge sich plötzlich bewegen“, berichtet Martin Schulte. Ein zweites, heftiges Beben der Stärke 7,3 auf der Richterskala erschüttert das Gebiet. Danach ist auch ihre Unterkunft in der Sporthalle nicht mehr sicher. „Unser Zelt hatten wir einer Familie geschenkt, wir kommen für eine Nacht in der Feuerwache unter.“ Danach müssen die Helfer ihren Einsatz vorzeitig abbrechen. Noch immer finden täglich kleinere Beben statt.
Wie dankbar die Menschen im ganzen Land sind für jeden, der hilft im Erdbebengebiet, erfährt das Deathcare-Team auf der Rückreise. „Vor dem Rückflug auf dem Flughafen Istanbul wurden wir am Gate mit Applaus verabschiedet“, berichtet Martin Schulte.
Inzwischen ist er wieder zu Hause. „In der ersten Nacht war ich alle zwei Stunden wach.“ Die schrecklichen Bilder verfolgen ihn. „Man muss sich eingestehen, dass man bei einem Einsatz nicht alle ,retten’ kann, dass man nur seinen kleinen Teil beitragen kann“, sagt Martin Schulte. Und: „Man kommt demütig zurück.“