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Giftige Chemikalien in der Seseke nachgewiesen

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Von: Sabine Pinger

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In der Seseke wurden giftige Substanzen entdeckt.
Munter und klar schlängelt sich die Seseke durch die Landschaft. Ganz so sauber ist sie aber offenbar nicht. © Wiggermann

Die Seseke schlängelt sich durch eine idyllische Landschaft zwischen Kamen und Bergkamen. Ganz so sauber ist so wohl nicht. Es wurden giftige Chemikalien gefunden.

Kamen/Bergkamen - In der Seseke entlang zu radeln oder zu spazieren, ist bei vielen Menschen beliebt. Rund 25 Kilometer können sie dem Fluss folgen, der sich munter durch eine idyllische Landschaft schlängelt. Das war nicht immer so. Erst die rund 500 Millionen Euro teure Renaturierung hat den Fluss wieder zu einem natürlichen und sauberen Gewässer gemacht. Doch der Schein trügt. Journalisten von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung haben an mehr als 1500 Orten in Deutschland hochgiftige per- und polyfluorierte Chemikalien, kurz PFAS, entdeckt. Auch in der Seseke.

Nach ihrer Recherche wurde vor drei Jahren in Proben des Wassers in Kamen 282 Nanogramm PFAS pro Liter Wasser entdeckt. Ein paar Kilometer weiter in Bergkamen waren es 15 Nanogramm, genauso viel wie in der Körne in Kamen.

Wie das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) nun auf Nachfrage angibt, gab es 2020 in der Seseke unterhalb des Kuhbachs insgesamt 67 Untersuchungen auf diese Giftstoffe. Die maximale PFAS-Belastung habe dabei im September des Jahres 36 Nanogramm pro Liter betragen. Oberhalb von Kamen wurden in 41 von 50 Wasseranalysen hingegen keine PFAS nachgewiesen. Allerdings gab es dort einen Höchstwert von 321 Nanogramm pro Liter im August 2020.

Alle Flüsse im Kreis untersucht

„Vor der Mündung in die Lippe haben wir von 2015 bis 2020 insgesamt 75 Analysen von Wasserproben aus der Seseke auf PFAS untersucht. Der höchste Gesamtgehalt für die Summe der untersuchten PFAS betrug 111 Nanogramm pro Liter. Der Wert wurde im August 2020 festgestellt“, teilt das Landesamt mit. In Bergkamen wurden demnach von 2017 bis 2020 232 Tests durchgeführt. In 196 Fällen wurden keine PFAS nachgewiesen. Für den Datteln-Hamm-Kanal waren es im selben Zeitraum 122 Untersuchungen. Die höchste Konzentration PFAS wurde dort im November 2020 mit 45 Nanogramm pro Liter gemessen. Von den 165 Proben die dem Kuhbach in Oberaden entnommen wurden, ergab keine einen PFAS-Befund.

In Kamen wurde damals neben der Seseke auch die Körne oberhalb des Massener Baches unter die Lupe genommen. In 42 von 51 Proben seien ebenfalls keine PFAS nachgewiesen worden, so die Behörde. Die höchste PFAS-Konzentration sei an dieser Stelle im Januar 2020 mit sechs Nanogramm pro Liter gefunden worden. Alle erhobenen Werte stellten die Fachleute beim Lanuv ebenso wie die Messstellen auf der Internetseite www.elwasweb.nrw.de/elwas-web/index. xhtml# zur Einsicht zur Verfügung. Sie gehen davon aus, dass auch die Messwerte, die das Recherchekollektiv veröffentlicht hat, aus dieser Datenbank stammen. „Welche einzelnen Messstellen verwendet worden sind und welcher Wert zu welchem Zweck in dieser Karte zu finden ist, kann von uns nicht ohne weitere Recherchen nachvollzogen werden“, erklärt eine Sprecherin des Landesamtes dazu.

Belastung hat verschiedene Ursachen


Dass eine Belastung vorliegt, darin sind sich jedoch alle einig. Ursachen für die Verseuchung können beispielsweise kontaminierter Klärschlamm, Abwassereinleitungen, Altlasten in Böden oder schädliche Bodenveränderungen aufgrund von Galvanikbetrieben, Altablagerungen oder der Umgang mit PFAS-haltigen Löschmitteln sein. Die Giftstoffe werden daher nicht nur in Gewässern gefunden, sondern ebenso im Boden. Von dort gelangen sie dann ins Grundwasser. In einigen Bereichen sind die Werte so hoch, dass dort kein Grundwasser mehr entnommen werden darf. Das betrifft zum Beispiel Köln und Düsseldorf.

Das Lanuv erfasst aber nicht nur betroffene Gewässer, sondern gleichfalls belastete Böden, zuletzt 2021. Die Ergebnisse der Erhebung sind auf der Internetseite www.lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuv/boden/uploads/PFAS-Bestandsaufnahme_Bericht_f%C3%BCr_Homepage.pdf zu finden.

Trinkwasser ist sicher

Für das Trinkwasser in NRW gibt das Landesamt indes Entwarnung. Das sei sicher. „Die PFAS-Vorsorgewerte gelten bereits für das Rohwasser, welches entnommen wird, um daraus Trinkwasser zu generieren. Trinkwasser wird durch aufwendige Filtration aufbereitet und durch stetige Laboranalysen geprüft.“ Die deutsche Trinkwasserverordnung sieht dabei keine Grenzwerte für PFAS vor. Das Umweltbundesamt hat immerhin 0,1 Mikrogramm (ein Tausendstel Mikrogramm ist ein Nanogramm) als gesundheitlichen Orientierungswert empfohlen. Gleichwohl warnt das Lanuv derzeit vor dem Verzehr von Fischen, die aus besonders belasteten Gewässern geangelt wurden. Welche das sind, steht im Netz unter www.lanuv.nrw.de.

PFAS - ein Jahrhundertgift

Die Stoffgruppe PFAS umfasst mehrere Tausend Verbindungen und war früher auch unter der Bezeichnung „PFC“ (perfluorierte Chemikalien) oder „PFT“ (perfluorierte Tenside) bekannt. Wegen ihrer besonderen Eigenschaften – sie sind etwa wasser-, schmutz- und fettabweisend – werden sie in etlichen Produkten verwendet, in Farben, Kleidung, Schuhen, Verpackungen, Putzmitteln, Kosmetik und vielem mehr. Sie sind unsichtbar, geruchs- und geschmacklos. Weder durch Wasser noch durch Licht oder Bakterien werden PFAS zeitnah abgebaut – sie sind also extrem beständig. In die Umwelt gelangen sie durch die Herstellung und Verwendung. Wie das Lanuv NRW und das Umweltbundesamt berichten, führten unter anderem kontaminierte Klärschlämme, die als Dünger aufgebracht wurden, zu großflächigen Verunreinigungen. Die Stoffe reichern sich in landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Salat und Früchten an und gelangen so in die Nahrungskette. Flüchtige PFAS können zudem über die Luft aufgenommen werden. Einmal im Organismus bleiben sie sehr lange dort. Sie gelten als krebserregend, können unfruchtbar machen, den Cholesterinspiegel beeinträchtigen und das Immunsystem schwächen. Experten bezeichnen PFAS als das Jahrhundertgift. Sie gehen davon aus, dass jeder Mensch mit PFAS belastet ist.


Die einzige wirksame Maßnahme um weitere Belastungen zu vermeiden, sehen nicht nur die Spezialisten beim Lanuv im Verbot von weiteren PFAS-Verbindungen „Wir als Umwelt- und Verbraucherschutzbehörde begrüßen daher die Bestrebungen der EU, genau an solchen Verboten anzusetzen.“

Immense Kosten

Um die längst vorhandene Verseuchung zu beseitigen, müssten immense Summen aufgebracht werden. Schon jetzt werden im europäischen Wirtschaftsraum jährlich für Umweltscreening, Überwachung, Wasseraufbereitung, Bodensanierung und Gesundheitsbewertung bis zu 170 Milliarden Euro ausgegeben. Die gesundheitlichen Folgen zu behandeln, sei andererseits noch deutlich teurer.

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