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Fiebersaft gibt‘s wieder, aber Hustenlöser nicht mehr: Rünther Apotheker spricht von „Katastophe“

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Von: Kira Presch

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Nicht alle Regale in der Alten Apotheke kann Johannes Hermes so lückenlos füllen wie es hier erscheint. Der Medikamentenmangel nimmt zu, wie der Apotheker-Sprecher berichtet.
Nicht alle Regale in der Alten Apotheke kann Johannes Hermes so lückenlos füllen wie es hier erscheint. Der Medikamentenmangel nimmt zu, wie der Apotheker-Sprecher berichtet. © Dalley, Jan-Niklas

Schubladen in der Apotheke sind immer häufiger leer. 300 Medikamente gelten als Mangelware. Apotheker Ludger Hermes berichtet, wie er da Patienten versorgt.

Bergkamen – Gefühlt jeder Zweite schlägt sich aktuell mit Erkältungs- oder Grippesymptomen herum. Wem der Hausarzt ein Antibiotikum verschreibt oder einen Fiebersaft für Kinder, dem könnte das passieren, was viele Patienten zurzeit in der Apotheke erleben müssen: Der Computer meldet den Mangel – nicht lieferbar.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) spricht mittlerweile von Lieferengpässen bei rund 300 Medikamenten. Auch Johannes Hermes von der Alten Apotheke in Rünthe und Sprecher der Apothekenkammer im Südkreis Unna, bestätigt den Mangel zahlreicher Arzneimittel: „Es ist eine Katastrophe.“

Schon im Sommer 2022 hatten Ärzte und Apotheker Alarm geschlagen und auf Engpässe bei Fieber- und Schmerzsäften für Kinder aufmerksam gemacht. In der Zwischenzeit habe sich der Arzneimittelmangel noch ausgeweitet, bestätigt der Rünther Apotheker.

Es betrifft immer mehr Präparate

Fiebersäfte und Schmerztabletten, Antibiotika und Blutdrucksenker – immer öfter hören Apothekenkunden, die ein Rezept einlösen möchten, „das Mittel ist leider nicht vorrätig und zurzeit auch nicht lieferbar“. Die Lieferengpässe betreffen laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aktuell mehr als 300 Medikamente.

Was ist besonders knapp?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erhält Meldungen über Lieferschwierigkeiten von Pharmaunternehmen und veröffentlicht diese in einer Liste. Das Institut ist auch für die Klärung der Ursachen zuständig und ermittelte für 2022 einen höheren Bedarf an manchen Medikamenten, die aktuell knapp sind. Einen kompletten Lieferausfall eines Medikamentes hat es bisher laut Institut aber noch nicht gegeben.

Vom BfArM gelistete Medikamentengruppen mit Lieferengpässen:

- Antibiotika

- Asthmaspray

- Augentropfen

- Blutdrucksenkende Mittel

-Diabetes-Medikamente (bestimmte Insuline sowie Blutzuckerspiegel-Senker)

- Neuroleptika

„Der Mangel hat sich definitiv ausgeweitet“, beobachtet Johannes Hermes, „von den Schmerzsäften für Kinder mittlerweile auch auf eine ganze Reihe von Medikamenten für Erwachsene.“ Codein sei zur Zeit in keiner Form zu kriegen, nennt Hermes ein Beispiel aus seiner täglichen Praxis. „Fieber- und Schmerzsäfte haben wir zur Zeit mal vorrätig, aber Hustenlöser wie Mucosolvan sind seit Wochen weder für Erwachsene noch für Kinder lieferbar.“ Viele Erkältungsmitttel, aber auch einige Dauermedikamente für Diabetiker und Krebspatienten machten Probleme. Apothekerverbände melden, dass ausgerechnet viele Medikamente knapp seien, die oft verschrieben und häufig gekauft werden.

Viel Arbeit mit Suche nach Ersatz

Wer Glück hat, bekommt sein verschriebenes Mittel immerhin noch in einer anderen Darreichungsform als vom Arzt festgelegt. „Wir versuchen dann, dem Patienten eine andere Konzentration zu geben – statt dreimal täglich beispielsweise morgens und abends eine Tablette“, so Hermes. Manchmal sei nur ein bestimmtes Medikament von einem Hersteller nicht lieferbar, manchmal ist aber auch eine ganze Wirkstoffgruppe nicht auf dem Markt erhältlich. „Wir suchen dann Alternativen. Das ist erst mal ein Versuch, ob der Patient damit klarkommt.“ Der Wechsel berge immer auch Risiken, das erfordere die Rücksprache mit dem behandelnden Arzt. „Das bindet viel Arbeitszeit – fünf bis sechs Stunden gehen pro Woche dafür drauf, dass meine Mitarbeiter mit Ärzten sprechen und Alternativen suchen für nicht lieferbare Arzneimittel.“

Patienten die Sorge nehmen

Es komme auch vor, dass ein Patient, der etwa durch eine chronische Erkrankung langfristig auf ein Medikament angewiesen ist, auf ein anderes Präparat, einen anderen Wirkstoff umgestellt werden muss. „Denen müssen wir die Angst nehmen, dass sie Versuchskaninchen sind und das Alternativmedikament schlechter ist als das gewohnte.“ Auch das brauche viel Zeit für Aufklärung und psychologisches Fingerspitzengefühl.

Deshalb rät er besonders Kunden, die dauerhaft auf Medikamente angewiesen sind, ihr Rezept nicht auf den letzten Drücker in der Apotheke einzureichen. „Wir müssen ausreichend Zeit haben, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen und eventuell noch Rücksprache mit dem Arzt zu halten. Gerade bei Krebspatienten ist das oft schwierig, wenn es keine Alternativen gibt.“

Appell: Nicht horten wie einst Klopapier

Als Ursachen des Mangels nennt er unterschiedliche Gründe: „Kunden haben Hamsterkäufe etwa bei Erkältungsmitteln gemacht, als sie Engpässe feststellten.“ Das Bevorraten mit Medikamenten verschärfe die Engpässe aber noch weiter. Das Prinzip Klopapier – ein Phänomen, das wir alle aus dem ersten Coronajahr kennen. Zum anderen veranlasse die freie Marktwirtschaft manchen Hersteller dazu, die Produktion von Medikamenten einzustellen, wenn der Erlös zu gering erscheint, weil die deutschen Krankenkassen keine höheren Preise für das Produkt akzeptieren, berichtet Hermes. So seien beispielsweise Paracetamol-Zäpfchen vom Markt verschwunden. Im Zweifel werde solch ein Produkt in andere Länder verkauft.

Schattenseite der Globalisierung

Aber auch Logistikprobleme seien eine Ursache für den Mangel. „Wir haben uns sehr abhängig gemacht von der Wirkstoffproduktion in Indien und China, jetzt bekommen wir die Quittung, wenn die Lieferungen in Containern in irgendwelchen Häfen feststecken.“

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