„Nein! Für mich ist es kein Kinderersatz“, betont Jennifer Joppich. Aber in der Szene gebe es tatsächlich Menschen, die so denken und agieren. „Es gibt auch Sammlerinnen mit Sternenkindern und solche die keine Kinder haben wollen oder können, zum Beispiel weil sie im Rollstuhl sitzen. Ich sehe das Sammeln der Reborns als Hobby“, erklärt die 35-Jährige. „Es sind auch Mütter dabei.“
Sie selbst habe sich bewusst gegen eigene Kinder entschieden. „Dazu habe ich nicht die Nerven. Ich sehe an meiner zweijährigen Nichte, welche Geduld man für Kinder aufbringen muss.“ Ihr Mann Sascha hege gleichfalls keinen Kinderwunsch. „Er ist Lkw-Fahrer, also oft nicht zuhause.“ Sascha Joppich sammelt übrigens auch, Lego-Bausätze, und sie eben Puppen. „Wir akzeptieren unsere Hobbys. Das passt“, bestätigt die Bergkamenerin die gegenseitige Akzeptanz.
Jennifer Joppich kam erst spät auf die Puppe. „Beim Schauen von Youtube-Videos habe ich die Reborns entdeckt“, erzählt sie. 2017 kaufte sie die erste Reborn-Puppe. „Man bekommt sie im Internet, bei Ebay-Kleinanzeigen oder über Facebook-Gruppen“, nennt die Bergkamenerin die Quellen. „Die Puppen kommen praktisch weiß an“, schildert sie. Eine Reborn-Künstlerin versieht sie dann mit mehreren Schichten Farbe, die nacheinander in den Kunststoff eingebrannt werden. Haare und Wimpern werden gerootet, also eingestochen. Gliedmaßen und Kopf bestehen aus Vinyl oder Silikon. Letzteres ist gefühlsecht, aber auch teurer. „Die Körper sind in der Regel aus Stoff, es gibt aber auch Puppen komplett aus Silikon, die kosten so um die 1000 Euro“, weiß die Sammlerin.
Sie hat inzwischen sieben Reborns von unterschiedlichen Modellierern und Artisten. „Es gibt auch Bausätze. Man kann sich sein Wunschbaby oder Kleinkind zusammenstellen.“ Die Strampler kauft Jennifer Joppich unter anderem auf den beliebten Kita-Flohmärkten. Ihre Puppen liegen zu Hause auch im Kinderbettchen, Spielzeug wie Rasseln haben ihre Babys ebenfalls.
Die Reaktionen der Betrachter gingen von Bewunderung nach dem Motto: „Ach, ist die süß! Kann ich die mal auf den Arm nehmen?“ bis hin zu totaler Ablehnung. „Sie sind doch nicht normal und sollten in die Psychiatrie“, hat die Einzelhandelskauffrau schon gehört. „Bei diesem Hobby braucht man ein dickes Fell.“
Mit Babyborn und Co. haben die Reborn-Puppen nichts gemein. Die Körper der „Wiedergeborenen“ werden aus Vinyl oder dem weichen Silikon individuell modelliert, auf Wunsch auch nach Fotos von realen Babys. Sogenannte Reborn-Artists bemalen die Rohlinge, versehen sie auch mit Hautrötungen oder Kratzern. Sie lebensecht, nicht makellos, erscheinen zu lassen ist dabei das Ziel. „Es gibt tatsächlich auch elektronische Module, die Atem und Herzklopfen simulieren“, erzählt Jennifer Joppich, Bergkamener Sammlerin. Das sei ihr aber zu gruselig.
Es gibt die Puppen nicht nur als Baby, sondern auch als Kleinkinder. „Diese Toddler werden zum Beispiel in Kindertagesstätten zu Rollenspielen genutzt“, weiß Jennifer Joppich. Der Trend zur Babypuppe für Erwachsene kommt aus Amerika und hat sich in den vergangenen zehn Jahren weltweit entwickelt.
Dabei haben die Puppen durchaus einen therapeutischen Wert. „Ich gehe mit ihnen ins Haus am Nordberg und auch ins Sophia“, berichtet die 35-Jährige von Besuchen in hiesigen Senioreneinrichtungen. „Demenzkranke reagieren erkennbar positiv, wenn sie eine Reborn hochnehmen. Sie bekommen ein Strahlen in den Augen. Vielleicht erinnern sie sich an die eigenen Kinder“, vermutet Jennifer Joppich. Manchmal würden die Seniorinnen die Puppen gar nicht mehr abgeben wollen.
Emilia sieht mit ein wenig Schorf und kleinen Pickeln im Gesicht tatsächlich nicht nur täuschend echt aus, sie hat zudem Gewicht. Nimmt man sie auf den Arm, geht die Hand automatisch zum Hinterkopf, um ihn abzustützen.
Die Fans der Reborn-Puppen sind vernetzt. Joppichs Gruppe trifft sich etwa alle vier Wochen zum gemeinsamen Spaziergang. 30 Sammlerinnen waren es zuletzt im Grugapark in Essen.
Mit etwa dieser Anzahl rechnet die Bergkamenerin auch beim Treffen im Hammer Maximilianpark am Samstag, 17. September. „Wir werden dort ab 13 Uhr spazieren gehen und die Puppen auch zeigen und das Hobby erklären, wenn jemand Interesse hat.“