In der vergangenen Woche hatte das NRW-Oberverwaltungsgericht ein Urteil mit weitreichenden Folgen für die Kommunen gefällt. Im konkreten Fall attestierte es der Stadt Oer-Erkenschwick, zu hohe Abwassergebühren von seinen Bürgern zu verlangen. Beanstandet wurde die Art der Abschreibung und die Berechnung der kalkulatorischen Zinsen.
Diese werden den Gebührenzahlern für die Investitionen in das Kanalnetz in Rechnung gestellt. Das ist als Eigenkapitalverzinsung recht und billig, allerdings darf nun nicht mehr ein Zinsdurchschnitt etwa der vergangenen 50 Jahre zugrunde gelegt werden. Zehn Jahre genügen, sagt das OVG.
In Bergkamen wurde der kalkulatorische Zinssatz zuletzt von 4,9 auf 4,5 gesenkt. Ein Wert, der für die CDU-Fraktion angesichts der Niedrigzinsphase immer noch zu hoch ist. Zuletzt hatte die größte Oppositionspartei im Stadtrat Jahr für Jahr ihren Unmut verkündet, wenn es um die Festsetzung der Gebührenhöhe ging.
Kämmerer Ulrich, zugleich Betriebsleiter des Stadtbetriebs Entwässerung (SEB), geht davon aus, dass die Gebühren in Bergkamen ab 2023 neu berechnet werden müssen. „Wir werden das Urteil natürlich umsetzen.“ Welche konkreten Auswirkungen es haben werde, darüber wolle er zunächst der Politik Bericht erstatten, betont er – am Mittwoch im Betriebsausschuss sowie am 8. Juni im Haupt- und Finanzausschuss.
Dabei soll es dann auch darum gehen, wie die zu erwartende finanzielle Lücke gestopft werden kann. 2020 flossen zuletzt knapp 5,3 Millionen Euro über den SEB in den städtischen Etat, auch davor ging’s um Millionen. Für 2021 wurde das, gemäß einer Empfehlung der Gemeindeprüfungsanstalt, geändert. Gewinne bleiben zunächst im SEB, um Reserven für die Weiterentwicklung aufzubauen und Kredite aus eigener Kraft zu tilgen.
„Uns brechen Einnahmen als Stadt weg, ohne dass die Aufgaben weniger werden“, beschreibt Ulrich das Problem. „Ich befürchte, dass strukturschwachen Ruhrgebietsstädten wie Bergkamen nichts anderes übrig bleibt, als über eine Grundsteuer-Erhöhung nachzudenken.“ Dies führe zu „nicht gewünschten Effekten“, sprich: zu neuen Ungerechtigkeiten.
Im Zweifel, so erläutert Ulrich, könnten demnächst Unternehmen und Haushalte mit hohen Abwasser-Mengen sehr viel Geld sparen. Im Gegenzug würde die mögliche Anhebung der Grundsteuer etwa auch Mieter mit geringem Einkommen treffen, darunter Rentner und Studierende. Der Bund der Steuerzahler (BdST), der in der Vergangenheit immer wieder zu hohe Abwassergebühren angemahnt und Gebührenzahler zu Widersprüchen gegen ihren Bescheid aufgefordert hat, hätte somit einen Pyrrhussieg erzielt.
In den Genuss möglicher Rückzahlungen kommen nur Gebührenzahler, deren Gebührenbescheide durch eingelegte Rechtsmittel (Widerspruch, Klage) noch nicht bestandskräftig sind. In Bergkamen, so Ulrich, habe es nur wenige Widersprüche gegeben. Der Forderung des BdST, rückwirkend für die vergangenen vier Jahre allen Bürgern zu viel verlangte Gebühren zu erstatten, erteilt Ulrich eine klare Absage.
„Das können wir gar nicht“, sagt der Kämmerer. Mehr noch: Man würde sich strafbar machen, weil die Gebührenbescheide aus der Vergangenheit schon rechtskräftig seien. Ulrich betont, dass sich der SEB sowohl bei der Höhe der kalkulatorischen Zinsen als auch bei der Art der Abschreibung (nach Wiederbeschaffungswert) an die Vorgaben der Gemeindeprüfungsanstalt gehalten habe. Von dieser Seite her habe es zuletzt auch keinerlei Beanstandungen gegeben.
Für die CDU ist das OVG-Urteil eine späte Genugtuung. „Es tut schon gut, wenn man von einem Dritten Recht bekommt, nachdem man gefühlt zehn Jahre lang immer wieder vor die Wand gelaufen ist“, räumt Fraktionsvorsitzender Thomas Heinzel ein. Man habe von der Klage in Münster gewusst, den Ausgang aber natürlich nicht absehen können.
Nach Meinung Heinzels muss der kalkulatorische Zinssatz nun auch in Bergkamen gesenkt werden – in Richtung der 2,42 Prozent, die das OVG der Stadt Oer-Erkenschwick im konkreten Fall aus dem Jahr 2017 vorgegeben hat. Bei der Berechnung sollte man sich an den faktischen Kosten orientieren, statt sich einen nächsten „Schluck aus der Pulle“ zu gönnen, sagt Heinzel.
„Die Verwaltung aufzufordern, Geld zurückzuzahlen“, dürfte schwierig werden“, ergänzt er. Eine Idee, wie sich eine künftige Etat-Lücke zumindest im ersten Jahr auffangen lässt, hat er aber schon. „Wir könnten auf die geplante Aufstockung der UKBS-Anteile verzichten.“ Rund 4,8 Millionen Euro an Investitionsmitteln sind dafür im laufenden Doppelhaushalt vorgesehen.
Kämmerer Ulrich will in diesen Tagen auch das Gespräch mit den Nachbarkommunen suchen, um zu erfragen, wie diese mit dem OVG-Urteil aus Münster umgehen. Konkrete Zahlen liegen spätestens Ende 2022 auf dem Tisch, wenn der Rat aufgerufen ist, die Gebühren für das Jahr 2023 zu beschließen.