Überfüllte Kinderarztpraxen und Kind wird krank: Was Eltern beachten sollten
Die Lage in den Kinderarztpraxen ist mehr als angespannt. Was Eltern beachten sollten, wenn das Kind krank wird, erklärt ein Kinderarzt aus NRW.
Plettenberg (NRW) - Die Kinderarztpraxen stehen vor dem Kollaps. Die aktuell enorme Krankheitswelle trifft auch die Kleinsten — unter anderem mit teils sehr schweren RS-Virus-Infektionen. Vor den Praxen stehen Eltern mit ihren Kindern Schlange. Zwischen den Feiertagen werde sich die Lage weiter anspannen, sagt Michael Achenbach, Kinderarzt aus Plettenberg. Eltern könnten allerdings mithelfen, die Kinderarztpraxen zu entlasten.
Kinderarztpraxen am Limit — Lage wird sich zu Weihnachten verschärfen
„Eltern müssen beim Kinderarzt aktuell zwei Sachen mitbringen: Zeit und Geduld“, sagt Michael Achenbach, der auch Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe ist, im Gespräch mit wa.de. Als der Kinderarzt jüngst zwei Kollegen in der Nachbarschaft vertreten musste, gingen in den ersten zwei Stunden an einem Montagmorgen über 350 Anrufe in seiner Praxis in Plettenberg ein. „Da haben wir kapituliert.“
Die Lage in den Kinderarztpraxen ist angespannt. Das RS-Virus, das bei Babys und Kleinkindern zu schweren Atemwegserkrankungen führen kann, greift um sich. Aber auch Erkältungen und andere Infektionskrankheiten lassen den Krankenstand bei Kindern explodieren.
In der Praxis von Michael Achenbach kam es schon zu Beleidigungen und Bedrohungen, die den Frust auch im Team erhöhen. Und die Lage scheint sich weiter zu verschärfen, vor allem mit Blick auf Weihnachten und die Tage „zwischen den Jahren“.
Überfüllte Kinderarztpraxen: Was Eltern beachten sollten, wenn ihr Kind krank wird
Kinderarzt Michael Achenbach hat einige Tipps für Eltern, um die Situation für alle Beteiligten zu entschärfen:
- Eltern sollten sich vor einem Besuch beim Kinderarzt immer anrufen. Das erspart in der Regel stundenlange Wartezeit mit einem kranken Kind vor der Praxis. Eltern sollten die Praxis nicht „überfallen“, wenn es kein akuter Notfall ist.
- Schon am Telefon sollten Eltern so genau wie möglich die Symptome des Kindes schildern. Das hat laut Michael Achenbach zwei Gründe: Zum einen kann die Praxis so Termine nach medizinischer Wichtigkeit sortieren. Zum anderen kann das Praxisteam auch am Telefon Tipps geben, wenn zum Beispiel die Symptome des Kindes nicht akut sind und erst einmal kein Arztbesuch erforderlich ist.
- Ohne Kind reinkommen, rät Michael Achenbach den Eltern, die die Arztpraxis partout telefonisch nicht erreichen. „Es könnten Kinder mit hochansteckenden Krankheiten im Wartezimmer sitzen“, erklärt der Kinderarzt. Um zu verhindern, dass ein ggf. gesundes Kind angesteckt wird, sollte es der Praxis ohne Ankündigung zunächst fern bleiben.
- Eltern werden gebeten, nicht ständig zu fragen, wie lange es noch dauert. Das hält laut Achenbach den Betrieb auf. Um die Abläufe in der Praxis zu unterstützen, können Eltern auch auf vermeintliche Kleinigkeiten achten, wie zum Beispiel das schnelle Aus- und Anziehen des Kindes. „Das hilft vor allem denen, die noch im Wartezimmer sitzen“, so Achenbach.
„Eltern müssen in Kauf nehmen, dass wir nach medizinischer Wichtigkeit sortieren“, betont Michael Achenbach. Man habe nichts dagegen, wenn viele kommen, „aber Eltern sollten uns die Chance geben, zu sortieren.“ Deshalb sei die telefonische Anmeldung und Beschreibung der Symptome so wichtig. „Je mehr Infos wir bekommen, desto besser können wir sortieren“, so Achenbach.

Mein Kind ist krank — wann zum Arzt?
Wann müssen Kinder überhaupt zum Arzt? Die Frage lässt sich nicht allgemein beantworten, sagt Michael Achenbach. So sei Fieber bei einem Baby unter drei Monaten ein „absolutes Alarmzeichen. Damit geht man sofort zum Arzt.“ Habe ein zweijähriges Kind leichtes Fieber, sei das nicht immer ein Fall für den Kinderarzt. „Das ist ein Alter, bei dem fast jede Erkältung mit Fieber einhergeht. Da hat das Fieber eine ganz andere Bedeutung.“
Laut Achenbach ist das Allgemeinbefinden ausschlaggebend. Habe das Kind leicht erhöhte Temperatur, turne aber noch durch die Gegend, müssten Eltern nicht sofort den Kinderarzt aufsuchen. Gebe es allerdings Begleitbeschwerden wie Atemnot oder ein schnell nachlassendes Allgemeinbefinden, sollte gehandelt werden.
Auch hier ist laut Achenbach wichtig: „Mein Kind hat Fieber“ ist keine genaue Schilderung der Symptomatik. Es sollte eine genaue Temperatur genannt werden. Der Goldstandard beim Fiebermessen sei mit einem digitalen Thermometer im Po. Bei korrekter Anwendung sei auch ein Ohr-Thermometer verhältnismäßig genau.
Nach der überfüllten Kinderarztpraxis stehen Eltern vor dem nächsten Problem: Medikamente für Kinder sind knapp. Das betrifft vor allem Fiebersäft und -zäpfchen.
Kontakt zu Kinderarzt über Weihnachten: Videosprechstunde für Eltern
Um die Notdienste an Weihnachten zu entlasten, richtet die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein eine Videosprechstunde ein. Eltern können darüber direkt und unkompliziert mit einem Kinderarzt sprechen, um eine erste medizinische Einschätzung zu erhalten, teilte die KVNO mit. Dabei solle auch geklärt werden, ob der Besuch einer Kinder-Notdienstpraxis erforderlich sei.
Eltern können sich an den Weihnachtsfeiertagen zwischen 10 und 22 Uhr unter 0211/59707284 an den Kindernotdienst wenden, wie das NRW-Gesundheitsministerium mitteilte. Sie bekommen dann einen Link zur Videosprechstunde. Für diese benötigen sie ein Handy, ein Tablet oder einen Computer mit Kamera und Mikrofon. Eine zusätzliche Software muss nicht installiert werden.
Das Angebot wird bis Ende Januar 2023 aufrechterhalten: Mittwochnachmittags ist die Rufnummer von 16 bis 22 Uhr erreichbar, an Wochenenden und Feiertagen von 10 bis 22 Uhr.
Dazu werden bis zum 11. Januar 2023 werden an einzelnen Tagen kinder- und jugendmedizinische sowie hausärztliche Praxen außerplanmäßige Sprechzeiten anbieten, wie die KVWL auf ihrer Homepage mitteilt.