Das hat auch damit zu tun, dass die Spritze für Dicke in den USA bereits reißenden Absatz findet. Dort sind Ozempic, Wegovy & Co. längst in aller Munde. Promis wie Tesla-Milliardär Elon Musk werben dafür, Hollywood-Stars wie Kim Kardashian schwärmen davon, und in sozialen Netzwerken preisen Influncer (Meinungsmacher) das Medikament als eine Art Türöffner zur Traumfigur an. Allein auf Tiktok sind Hashtags wie #wegovy oder #ozempic inzwischen bereits über 600 Millionen Mal aufgerufen worden.
Auch Wissenschaftler halten mit ihrer Begeisterung nicht hinterm Berg. „Sogenannte GLP-1-Agonisten zügeln den Appetit und vermitteln den Patienten ein Sättigungsgefühl. Dadurch gelingt es ihnen, erheblich abzunehmen. Sie können ihr Körpergewicht um bis zu 20 Prozent reduzieren“, berichtet Reincke. Sein Patient Helmut R. bestätigt den erstaunlichen Effekt von Ozempic: „Bei mir wirkt die Behandlung bislang sehr gut. Ich habe bereits 13 Kilo abgenommen und wiege jetzt noch 92 Kilo“, erzählt der 59-jährige Münchner. „Ich kann andere Patienten nur ermutigen, sich zu der Therapie beraten zu lassen. Es kann ein guter Weg sein, wenn man beim Abnehmen ein bisserl Unterstützung braucht.“
In klinischen Studien kristallisierten sich ähnlich große Effekte heraus. Dabei verloren Übergewichtige, die sich einmal wöchentlich selbst Ozempic spritzten, in etwa eineinhalb Jahren 15 bis 17 Kilogramm. Dies entsprach etwa 16 Prozent ihres früheren Körpergewichts.
Von solchen Erfolgen konnten auch die Mediziner bis vor wenigen Jahren nur träumen. Damals galten fünf Prozent weniger auf den Rippen als Richtschnur für eine medikamentöse Behandlung. Um stärker abzunehmen, mussten sich Adipositas-Patienten oft unters Messer legen. „Durch chirurgische Therapien wie Magenverkleinerungen lässt sich das Gewicht um bis zu 30 Prozent verringern“, weiß Reincke. Allerdings muss der Patient dafür eine OP in Kauf nehmen.
Beim verschreibungspflichtigen Medikament Ozempic scheinen die Risiken nach Experteneinschätzungen überschaubar zu sein – jedenfalls dann, wenn es unter ärztlicher Anleitung eingesetzt wird. „Im Gegensatz zu vielen anderen Medikamenten in der Adipositashistorie ist das ein relativ sicheres Medikament, weil es einfach aufhört zu wirken, wenn man es nicht mehr braucht“, sagte der Münchner Pharmaforscher PD Dr. Timo Müller vom Helmholtz-Zentrum dem TV-Sender MDR. Sein Wissenschaftler-Kollege Reincke gibt allerdings zu bedenken: „Auch wenn wir bislang keine gravierenden und irreversiblen Nebenwirkungen beobachtet haben, sind die Erfahrungen noch relativ begrenzt – wie bei jedem neuen Medikament.“
Auch die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie warnt vor einer unkontrollierten Einnahme – insbesondere von Menschen, die gar kein starkes Übergewicht haben. Neben Übelkeit und Erbrechen könnten Erkrankungen der Gallenblase und der Bauchspeicheldrüse die Folge sein. In Tierversuchen sei zudem ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Arten von Schilddrüsenkrebs entdeckt worden, berichtet die Fachgesellschaft. Auch sei nichts über Langzeitwirkungen bekannt.
Auf der anderen Seite gilt Adipositas als hoher Risikofaktor für die Gesundheit, der unbedingt bekämpft werden sollte. Denn starkes Übergewicht kann im Körper eine Kettenreaktion in Gang setzen und dramatische Folgeerkrankungen wie Gefäßschäden, Herzinfarkt oder Schlaganfall auslösen. „Deshalb ist es auch für Adipositas-Patienten ohne Diabetes relevant, ihr Körpergewicht in den Griff zu bekommen. Hier bieten die neuen Medikamente eine sehr gute Hilfestellung“, betont Reincke. Allerdings müssen die erheblichen Kosten in Deutschland von gesetzlich versicherten Patienten selber getragen werden. Eine Online-Apotheke bot am Freitag drei Ozempic- Fertigpens mit je 1 mg Injektionslösung für 220 Euro an. In vielen anderen war Ozempic ausverkauft.
Und: „Die Fettwegspritze wirkt nur so lange, wie man sie spritzt, was im Prinzip eine lebenslange Therapie bedeuten könnte“, betont Reincke. Deshalb müssen die Patienten oft ihre Ernährung umstellen und Sport treiben, um ihr Gewicht langfristig unter Kontrolle zu halten.