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Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ am Schauspielhaus Bochum

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Von: Achim Lettmann

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Nick (Victor IJdens, von links), Martha (Jele Brückner),  George (Konstantin Bühler) und Honey (Anne Rietmeijer) auf dem Sofa.
Nick (Victor IJdens, von links), Martha (Jele Brückner), George (Konstantin Bühler) und Honey (Anne Rietmeijer) auf dem Sofa. Szene aus „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ in Bochum. © Birgit Hupfeld Rottstr.5 44793 B

Seit 60 Jahren machen sich Martha und George lauthals was vor. Nun bietet das Schauspielhaus Bochum eine packende Inszenierung zu „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ von Edward Albee.

Bochum – Das Fest am College ist vorbei, aber die Party geht weiter. Martha ist zuhause immer noch durstig, ihr Mann nur müde. Doch George weiß, wenn seine Frau den Befehlston anschlägt, fährt sie langsam hoch. „Wenn Du existieren würdest, würde ich mich von Dir scheiden lassen“, ranzt sie den Historiker an, „fick Dich, Wichser“. George legt später nach.

So geht das nun schon seit 60 Jahren. Edward Albee hat mit seinen Figuren Martha (52) und George (46) ein Paar auf die Theaterbühne gestellt, das die Ehehölle zu einem Schaukampf stilisiert. Der US-Dramatiker rüttelt mit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ am bürgerlichen Selbstverständnis des Establishments. Mit einer privaten Krise wird das Glücksversprechen einer fortschrittsoptimistischen Zeit kassiert.

Nachdem die Eheleute Elizabeth Taylor und Richard Burton die Verfilmung von Mike Nichols 1966 zum Kassenschlager machten, ist das bissige Psychospiel der Gescheiterten ein Klassiker im Dramenkanon. Nun bietet das Schauspielhaus Bochum Albees Stück, wohl auch um die Pandemie-Delle in der Statistik hinter sich zu lassen. Neben neuer Spielformen und Zielgruppenanalysen gilt, dass das Stammpublikum bedient wird und zurückkommen soll.

Mit Guy Clemens‘ Inszenierung dürfte das kein Problem sein. Der Schauspieler, seit 2018/19 Ensemblemitglied des Hauses, richtet mit seiner zweiten Inszenierungsarbeit eine saftige Auseinandersetzung mit kuriosen Schauwerten und seelischen Untiefen ein. Nach den ersten Wortgefechten bleibt es nicht bei verletzenden Tiraden. Das können auch andere. „Fang nicht mit dem Kinderquatsch an!“, mahnt George seine Frau. Regisseur Clemens signalisiert so, dass es um Spielregeln geht, die verhandelbar sind. Die Tragödie hat Eskalationsstufen, die schrittweise forciert werden. Dass der böse Spaß der Eheleute von einem Monstrum an Lebenslüge ablenken soll, ist nicht humorig verkleistert. Die Wunden sind offen.

Als Brandbeschleuniger werden Nick und Honey, ein junger Wissenschaftler und seine Frau, von Martha eingeschleust. Beide Frauen singen im weiten Wohnsalon den Party-Brüller „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Die beiden Partygirls kreischen.

Dorothee Curio (Bühne/Kostüme) hat viel Platz gelassen für die Sause. Die Betonfassade des Hauses wirkt wie aufgesprengt. Ein Dreisitzer und Sessel stehen da, ein Schallplattenspieler in der Zimmernische. Hinter Spiegelflächen verbergen sich Räume, eine Barklappe wird zum Ausstiegskanal, den George einmal nutzt. Eigentlich will jeder mal den Platz räumen, der ihm im Leben zugeteilt wurde. Vor allem krankt George daran, nur Hilfsprofessor am College seines Schwiegervaters zu sein. Konstantin Bühler spielt ihn als Gescheiterten, der nur noch in Abwehrschlachten zu sich findet. Sein Auslaufmodell eines Geisteswissenschaftlers mit Schlaghosen und fusseliger Haarmähne ist stilbildend. Als ihm Konkurrent Nick erklärt, dass am Invitro-Menschen geforscht wird, monologisiert George über normierte Wesen und betreibt Eigenwerbung, die vor dem Forschungsstand der aktuellen KI-Entwicklung noch anachronistischer wirkt. Als ihn Martha wegen eines unveröffentlichen Romans verhöhnt, rastet er aus und geht ihr an die Gurgel. Später wird er zum eiskalten Spielleiter („Totaler Krieg“) des Abends, als er die Schmach kontert, die ihm sein Frau mit Nick zufügt: Ehebruch mit Gestöhne. George hat eine böse Idee.

Victor IJdens gibt den Biologen Nick nicht als strahlenden Karrieristen, sondern lässt ihn etwas hüftsteif mit Zweireiher und Schlips auf die Gastgeber treffen. Nach zuviel Alkohol spricht er von der Scheinschwangerschaft seiner Honey, dem Geld ihres Vaters und liefert George die Munition zur Abrechnung („Gib‘s dem Gast“). Dass Nick plötzlich ein glitzerndes Röckchen trägt, verunklart sein Selbstbild.

Honey flattert dagegen im Glitzerkleid am Rande der Konfliktzone. Herrlich absurd ist es, wenn Anne Rietmeijer am Boden liegt und tanzt. Sie erweckt eine Figur, die an Rollenzuschreibungen zerbricht („Ich will kein Kind“) und nicht zu sich findet, wo andere ihre expressiven Verdrängungsstrategien ausleben. Vor George verdreht sie sich, als ob ihr Körperflimmern eine Chance ist, das vulgäre Geschiebe von Martha und Nick zu überformen. Übersprungshandlungen signalisieren, wie sehr sich die Akteure entblößen.

Martha wird in Bochum von Jele Brückner zum Mittelpunkt eines packenden Ehedramas. Brückner trägt die selbstgerechte Furie vor sich her. Mal motzig und gewissenlos, mal dreist und beschränkt, mal kaltherzig und ängstlich. Mit ihrer skrupellosen Selbsttäuschung steigt sie über Ehemann und Gäste hinweg, um die Illusion zu nähren, ein Kind, einen Sohn zu haben. Diese Lebenslüge entfremdet Martha, und Jele Brückner lässt das Begehren der Frau, eine Familie zu haben, schmerzhaft implodieren. Dieses Verlusts immer wieder gewahr zu werden, dagegen hilft kein Alkohol sondern nur einer: George. Beide hocken entkräftet auf dem Sofa. Hoffnung haben sie keine mehr, aber einander.

Viel Applaus im Bochumer Schauspielhaus.

1., 9., 21.2.; 12., 24.3.;

Tel. 0234/3333 5555; www.

schauspielhausbochum.de

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