Volker Lösch inszeniert „Der Prinz, der Bettelknabe und das Kapital“

ESSEN - „Gönn dir!“ rufen die Jugendlichen auf der Bühne und werfen die Banknoten mit vollen Händen in den zuschauerraum. 39,5 Milliarden Euro im Besitz einer Familie, damit kann man doch alle Schulden der Stadt Essen ablösen. Kunstrasen für alle Sportplätze der Stadt. Rot-Weiß Essen in der Bundesliga. Nahverkehr kostenlos. Internet für alle. Gönn dir!
So einfach ist die Welt-Rettung im Grillo-Theater Essen. Volker Lösch hat hier das Stück „Der Prinz, der Bettelknabe und das Kapital“ erarbeitet. Der Regisseur ist Spezialist für Produktionen, die Laiendarsteller einbeziehen, um soziale Gruppen authentisch zu Wort kommen zu lassen. Mark Twains Märchen vom Prinzen und dem Bettelknaben, die die Rollen tauschen und dabei fürs Leben lernen, wird hier auf die Zustände der Ruhrgebietsstadt heruntergebrochen. Lösch präsentiert dokumentarisch zugespitzte Thesen in der Gestalt eines sozialen Experiments.
Der Spielraum, den Carola Reuther schuf, überträgt die Topografie der Stadt auf das Theater. So wie die Autobahn 40 Essen in den reichen Süden und den armen Norden teilt, so durchschneidet eine hohe Mauer den Zuschauerraum. Links vor der Bühne sitzt das Publikum auf Polsterstühlen. Rechts hockt es auf dem nackten Boden. Was auf der anderen Seite geschieht, sehen die Nordler auf Bildschirmen, die Südler auf einer Kinoleinwand. Die Zuschauer vollziehen in der zweieinhalbstündigen Produktion die Bewegung der Jugendlichen nach, in der Pause tauschen sie ihre Plätze.
Es gibt nicht einen Prinzen, einen Bettelknaben, sondern jeweils acht Jugendliche aus Nord- und Südstadt, die als Chor von ihrem Alltag erzählen. Da werden Lebensentwürfe gegeneinander gestellt: Im Norden jobbt die alleinerziehende Mutter beim Discounter, man wurde beim Überfall auf einen Kiosk erwischt, ein Höhepunkt ist der Ausflug zum Movie Park. Im Süden werden die Autos gezählt, da gibt es die Putzhilfe, und Rom, Paris, New York hat man schon gesehen. Das ist ein Thesen- und Vortragstheater, das die Zuschauer mit Zahlen, Daten, Details flutet, dass ihnen Hören und Sehen vergeht. Zumal noch eine Schulleiterin aus dem Norden fragt, wohin das alles führen soll, und eine Mutter aus dem Süden mit dem Slogan von gestern kontert: „Wir in NRW lassen kein Kind zurück.“ Lösch lässt alles lieber zweimal erklären.
Von dieser Bestandsaufnahme gleitet der Abend in Ansätze einer Handlung. Der Prinz ist hier Unternehmer-Spross, seinem Vater gehört eine der größten Discounter-Ketten Deutschlands, in Essen bis zur Unkenntlichkeit verschlüsselt als „DIAL“. Das harte Aufwachsen in einer ganz der Profitmehrung gewidmeten Existenz liefert einige hübsche Szenen, zum Beispiel wenn die Familie bei Tisch ein Menü aus DIAL-Konservendosen löffelt, und alle bewegen sich im Takt zu den Kommandos von Papa (Jan Pröhl). Währenddessen wird in der Filiale auf der anderen Seite der Mauer die jobbende Mutter vom Filialleiter gemobbt. Bis die Jugendlichen dann die Freiheit auf der jeweils anderen Seite erkunden und mit Leitern über die Mauer klettern.
Glaubwürdig wirkt das nicht, wenn die DIAL-Mutter ihre acht „neuen“ Kinder umarmt und abbusselt, die dabei sichtlich und hörbar fremdeln. Und dass die Nordler nach dem Ableben des Patriarchen alles erben, ohne dass irgendeiner etwas merkt. Aber wir sind ja im Märchen, da stört zu viel Logik nur.
Nach der Pause geben sich Lösch und sein engagiertes Ensemble ganz dem Idealismus hin. Die Jugend entdeckt den Gutmenschen in sich. Die Prinzen aus dem Norden werfen das Geld unters Volk, die Bettelknaben aus dem Süden rebellieren gegen die Ausbeutermethoden im Discounter und versprechen bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld. Die Erzählerin (Lisan Lantin) steigt auf die Mauer und mahnt zur Mäßigung, indem sie herausstreicht, wie viel die SPD schon erreicht habe, da klingt eine gute Portion Nahles mit.
Dann ziehen alle noch einmal um auf die Bühne und sammeln Ideen zur Verbesserung der Welt, die vor allem darauf abzielen, den Reichen den Reichtum abzunehmen. So sympathisch das utopische Denken ist: Diese Debatten sind auf Parteitagen unterhaltsamer als im Theater. Zu schade, dass so ein spannendes Spielkonzept gedanklich so schlicht gefüllt wird.
22.2., 15., 17., 23.3., 13.4.,
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