Kay Voges inszeniert Bernhards „Theatermacher“ mit Andreas Beck

DORTMUND - Eine Stunde lang ist Andreas Beck... Nein, kein Naturereignis. Obwohl die Wucht, mit der er sich diese trostlose Bühne aneignet, diese nackten Betonwände, den Schutthaufen hinten, die schäbigen Rolltore, das alles hat etwas von einem Wintersturm. Aber Andreas Beck ist am Schauspiel Dortmund einfach eine Stunde lang, was der Titel von Thomas Bernhards Komödie verspricht: „Der Theatermacher“.
Er ist der „Staatsschauspieler Bruscon“, der im kleinen Utzbach, 280 Einwohner, gelandet ist wie in einer Falle. Und er gibt den arroganten, selbstgefälligen, menschenfeindlichen Schwadroneur mit allen Facetten. Sein Gerede kreist einzig um ihn selbst, seine Assoziationen tragen ihn von der Frittatensuppe, mit der er sich vor dem Gastspiel stärken will, über die Forderung, dass am Ende das Licht komplett erlöschen muss, bis zu Frauen, die das Theater ruinieren, seiner unfähigen Familie und großen Diktatoren. Bedeutungsschwanger lässt er sich den „Blutwursttag“ des Dorfs auf der Zunge zergehen. Wenn er erzählt, wie er Churchill von der Bühne trug, tänzelt er mit erhobenen Armnen, als lasse er eine Primaballerina schweben, um dann ernüchtert einzuräumen, dass es eher ein Schleppen war. Und vor dem zugestaubten Hitler-Bild an der Wand verfällt er verlässlich in den schnarrenden Führer-Ton. Wie er brutal seiner Tochter die Hand quetscht, bis sie schmerzerfüllt ruft, er sei der größte Schauspieler der Welt, und wie er ihr kurz darauf den Hintern tätschelt, dass man die Polizei rufen möchte, aber da ist der Moment auch schon wieder vorbei. Wie er sich im Glanz großer Namen suhlt, die seiner Komödie „Das Rad der Geschichte“ Bedeutung geben: Cäsar, Schopenhauer, Kierkegaard, Voltaire, Hitler... Wie er Westfalen schmäht, die „Eiterbeule Europas“. Und wie er unvermittelt ein paar vermeintlich harmlose Sprechübungen ausführt, in denen man verstört Wörter wie „Intendantenpimmel“ erkennt.
Das ist große, klassische Schauspielkunst, mit der Dortmunds Schauspiel-Intendant Kay Voges Bernhards Stück inszeniert. Und Beck kann hier brillieren, weil er kongeniale Mitspieler hat wie den schmächtigen Uwe Rohbeck, der den Wirt der Kaschemme verkörpert. Er kommentiert die Textflut mit Augenaufschlägen und Kopfschütteln, mit Lippen, die manchmal stumm nachsprechen, mit kurzen trockenen Antworten.
Und als man gerade denkt, dass Voges also auch traditionelles Sprechtheater beherrscht, ohne Videomätzchen und Verfremdungen, als Beck sich heiter zu Verdis Gefangenenchor hin- und herwiegt, da kommt ein Schnitt. Und das Spiel beginnt noch einmal, als Stück im Stück. Nur dass Bruscon/Beck den Hass jetzt noch stärker aufträgt, seine am Husten leidende Frau als „Fotze, vegane“ angiftet und seinen Sohn als „Vollspacko“.
Dann wechselt er die Rolle mit Rohbeck. Er bekommt eine Schürze und eine schmuddelige Afroperücke, der Kollege macht aus dem Staatsschauspieler eine affektiert schwuchtelige Karikatur. Und nun grüßt minütlich das Murmeltier, das Theater steckt in einer Zeitschleife und spielt das selbe Fragment aus Bernhards Stück in fast zweidreiviertel Stunden immer neu, immer kürzer, immer vergröberter, und jedes Mal tauschen die Darsteller die Rollen. Christian Freund, gerade noch geschurigelter Sohn mit Gips an beiden Armen und einem Bein, springt jetzt auf die Bühne und singt ein schauerliches „Theatermacher“-Musical mit Refrains wie „Blutwursttag“. Später ätzt Janine Kreß darüber, dass man Männer für das Theater nicht gebrauchen könne. Und am Ende kondensiert Xenia Snagowski die Hetz-Suada zu einer furiosen Aktionskunst-Nummer im Pussy-Riot-Stil.
Schon den eher traditionellen Anfang hat Voges dazu genutzt, die Situation seines Hauses mitzuspielen, das erzwungene Klarkommen mit Baustellen, das Provisorium der Ausweichspielstätte Megastore. Aber er greift auch in die Struktur des Stücks ein. Er lässt weite Teile des Originaltextes weg und findet erneut zu einer Zirkelform wie im „Goldenen Zeitalter“ oder der „Borderline Prozession“. Hier eben formt er Bernhards genialen Text in eine Folge immer knapperer, immer grellerer szenischer Loops um. Es ist eine Abstraktion, die mehr bietet als nur die Selbstreflexion der Theatermacher. Die Hassansprache Bruscons wird zum Medium, um sowohl die Ausbrüche von Wutbürgern nachhallen zu lassen als auch zur „Meetoo“-Bewegung Stellung zu beziehen: Der Theatermacher mit seiner Frauenfeindlich- und Übergriffigkeit ist da ein treffliches Bild.
Diese Inszenierung handelt nicht nur von dem, was auf der Bühne passiert. Sie bildet tatsächlich nach, was im Netz und auf der Straße passiert. Die Wut, die Vorurteile, die Selbstgefälligkeit.
7., 31.3., 11., 14., 15.4., 7., 24.6., 6., 13.7.,
Tel. 0231/ 50 27 222,
www.theaterdo.de