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„Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen mit Ulrich Matthes

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Von: Achim Lettmann

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Richter Adam, stehend Ulrich Matthes, vor einem Bühnenbild nach Jan Davidsz.de Heem
Richter Adam, stehend Ulrich Matthes, vor einem Bühnenbild nach Jan Davidsz.de Heem bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. © Arno Declair

Die patriarchalen Finten des Richters Adam sind bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen zu sehen. Ulrich Matthes spielte eine ausgelaugten Mann, der es mit kühnen Frauen zu tun bekommt.

Recklinghausen – Der Richter Adam aus Huisum wirkt von Anbeginn in Anne Lenks Inszenierung derangiert. Ulrich Matthes spielt einen Mann, der in die Jahre gekommen ist, und beidem, Amt und Würden, nicht mehr gerecht wird. Ausgelaugt ist er und befingert die Wunden der vergangenen Nacht. Die Spuren seiner Flucht wirken wie Male des eigenen Verderbens. Schläge hatte der Richter von Eves Bräutigam erhalten, als er die Stube der jungen Frau verließ und dabei den Krug zerbrach. In der Fassung von Anne Lenk und David Heiligers, die am Deutschen Theater in Berlin erarbeitet wurde, wird aus Heinrich von Kleists analytischem Drama „Der zerbrochne Krug“ ein amüsantes Erklärstück. Das gesellschaftliche Gefüge der frühen Neuzeit scheint im Festspielhaus der Ruhrfestspiele Recklinghausen mit aktuellen Akzenten auf.

Judith Oswalds Bühne dominiert ein Abbild, das auf Jan Davidsz. de Heem zurückgeht. Sein „Prunkstillleben mit Papagei“ (um 1655) bildet die Schauwand mit kolonialen Produkten, die auf den Ostasienhandel der Niederlande verweist. Davor suchen Zeugen, Opfer und Beklagte auf einer Stuhlreihe ihre Positionen. Vor allem stehen Frauen für Recht und Gesetz. Gerichtsrätin Walter, unprätentiös und klar von Lorena Handschin gespielt, übernimmt alsbald die Verhandlung. Richter Adam droht, diskreditiert, lügt, trinkt und denkt an den „Rat“ des Bischofs, um sich zu retten. „Hat Beelzebub den Krug zerschlagen?“ Nein.

Kleists Stück wird von Typenfiguren getragen. Franziska Machens’ Marthe – sie hat die Scherben des Krugs in einer Plastikdose – kollert vor sich hin und lobt den „Herero-Krug“, den ihre Vorfahren als Erinnerung aus Namibia mitgebracht haben. Ein Erbstück. Ruprecht, den Tamer Tahan einfältig, aber nicht ohne Gefühl anlegt, steht als Leibeigener des Fürsten ein Kriegseinsatz in Batavia bevor, den seine Braut Eve verhindern will. Richter Adam hat ihr ein Attest versprochen, das Ruprecht den Militärdienst ersparen soll. Was bietet Eve an? Als am Ende die junge Frau ihre Aussage macht, verstummt das Missbrauchsopfer an dieser Stelle, die nun Raum lässt für Gedanken über all die patriarchalen Rechtsbrüche, die das Verhältnis Mann und Frau lange bestimmt haben. Auch wenn der Monolog die Dramaturgie Kleists versimpelt, punktet die Inszenierung mit einem sensiblen Problemmanagement. Und der Richter hat auch noch seinen Prozess in Aussicht. Viel Applaus.

11.5., Tel. 02361/92 180; www.ruhrfestspiele.de

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