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Schwabs „Eskalation ordinär“ am Theater Dortmund

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Hupfeld
Mal demütiges Opfer, mal nationales Monster: Szene aus „Eskalation ordinär“ in Dortmund mit Uwe Rohbeck. ▪

DORTMUND–Es gibt Szenen in Werner Schwabs Schwitzkastenschwank „Eskalation ordinär“, die schmerzen. Wenn zum Beispiel der Sparkassenangestellte im Café den arbeitslosen Helmut Brennwert zwingt, Spülwasser aus einem Hundenapf zu schlürfen. Uwe Rohbeck kriecht auf allen Vieren zum Napf und schlabbert und schlabbert. Da leidet der Beobachter mit dem Erniedrigten.

Von Ralf Stiftel

Das Theater Dortmund schickt seine Besucher nicht unvorbereitet ins Studio. Sie geben weiße Overalls aus, damit man den Senf- und Wasserspritzereien nicht ungeschützt ausgesetzt ist. Man sitzt auf Brettern um die Spielfläche aus Metallgittern, könnte sich auch auf Plastikmatratzen darunter legen. Aber wer will das schon? Suchen Sie Sicherheit! Und stärken Sie sich mit einer Bratwurst, die Ihnen am Eingang angeboten wird! Sie können eine Stärkung brauchen.

Das Stück des 1994 gestorbenen österreichischen Dramatikers, posthum 1995 uraufgeführt, lohnt den neuen Blick. Visionär rührte Schwab an gesellschaftliche Wundstellen mit seiner Passionsgeschichte eines Kleinbürgers, der mit der Arbeit alles verliert: die Verlobte, die Würde, die bloße Existenz. In sieben „Affekten“ wird ein hiobmäßiger Niedergang beschrieben. Am Anfang bekommt Brennwert nur „scharfen balkanesischen“ Senf auf seinen Anzug, in dem er sich um eine Stelle bei der Sparkasse bewerben will. Mit der Beschmutzung aber wird er untragbar, bis er seinem Namen alle Ehre machen wird.

In seiner einzigartigen Sprache spitzte Schwab die Denkdeformationen des Kapitalismus zu, zum Beispiel in der Warnung des Sparkassenangestellten: „Der eiskalte Genozid an den warmblütigen Sparkassen wird grauenerregende Wunden in unseren Kulturlandschaftskörper reißen...“ Der Regisseur Martin Nimz bringt Schwabs Stück prägnant auf die Bühne. Da versucht Brennwert einen Banküberfall mit einer Sprengstoffweste, deren Ladungen aus Bratwürsten bestehen. Das zitiert, ohne dass es spekulativ wirkte, Medienbilder von Amoklauf und Selbstmordattentat. Und wie die braven Bürger, angetrieben vom kasperpuppenhaften Polizisten, mit Schlagstöcken die Würste aus der Weste prügeln, das lässt ikonenhafte Gewaltszenen aufblitzen, von Demonstrationen in Kairo, GIs in Afghanistan, Polizisten bei Demos – und es zeigt Verführbarkeit.

Das Ensemble, in grellen Anzügen und mit rot gefärbten Haaren wie eine groteske Hanswurst-Truppe, geht mit Gewalt- und Sexdarstellungen an Grenzen. Der großartige Rohbeck als Brennwert wühlt minutenlang wie ein Tier in Blumenerde, später zeigt er noch eine Hitlerparodie, und die leitet sich wirklich aus dem Text ab. Das Opfer mutiert zum Hetzer – und zurück. Andreas Beck als Nieroster, die omnipräsente Staatsinstanz, die als Wurstbudenbesitzer, als Polizist, als TV-Moderator auftritt, macht wilde Dinge mit Wasserflaschen. Caroline Hanke ist eine schön korrupte und willige Verlobte, Sebastian Kuschmann glänzt als Sparkassenangestellter mit ironischen Momenten wie dem Auftrumpfen der Fotos aus der TV-Reklame: Mein Haus, mein Auto... Sie alle meistern das „Schwabisch“, das Gemisch aus Poesie und Zote, zum Beispiel die immer wiederkehrende Beschreibung von Brennwerts Besudelungsgeruch als „Straßenköterkot, Erbrochenes, ein eigenmenschliches Exkrement und Senf“.

Ein wilder, schmutziger Abend, dessen hellsichtige Wut inzwischen von den Zuständen eingeholt wurde.

29.1., 17.2., 17.3., Tel. 0231/ 50 27 222, http://www.theaterdo.de

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