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Neues Schaudepot in Essen eröffnet

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Von: Achim Lettmann

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Die Reklameschilder sind im neuen Schaudepot des Ruhrmuseums in Essen zu sehen.
Maggi, Wicküler, Overstolz – Reklameschilder aus dem 20. Jahrhundert werden im Schaudepot des Ruhrmuseums in Essen aufbewahrt. © Lettmann

In einem sanierten Gebäude auf dem Kokerei-Gelände des Unesco-Welterbe Zollverein in Essen werden 25000 Objekte des Ruhrmuseums präsentiert.

Essen – Eine Manufaktur für Schusswaffen gab es in Essen bereits im 16. Jahrhundert. Magdalena Drexl zeigt auf die Steinschlossgewehre in der Militaria-Abteilung des neuen Essener Schaudepots. Während des 30-jährigen Krieges wurde für katholische und protestantische Kriegsherren gearbeitet, weiß die Historikerin. Im Schaudepot des Ruhrmuseums sind die prächtigen Waffen zu sehen. Die Geschichten dazu kennt Magdalena Drexl. Die insgesamt 25 000 Objekte – Teil der Geologischen, Archäologischen und Historischen Sammlungen des Ruhrmuseums – liegen hier bereit, um in Ausstellungen andernorts präsentiert zu werden. Die Ausleihe an andere Häuser zählt zum Alltag der zwölf Fachwissenschaftler des Ruhrmuseums. Das Lager verwahrt die Grundlage musealer Arbeit – die Sammlungen.

Wer die Fülle dieses Schauapparats erleben will, der muss sich in Essen einer Gruppenführung anschließen oder eine selbst buchen. Das Gebäude auf dem Kokereigelände des Unesco-Weltkulturerbes bietet mit „Natur“, „Kultur“ und „Geschichte“ drei Schwerpunkte. In der oberen Etage finden sich Mineralien und Gesteine neben „Belebter Natur“, also Pflanzen- und Tierfossilien sowie dem großen Ammoniten-Bestand. Auch die Sammlung Helmut Vesters (1913–2001) ist hier untergekommen. Der Düsseldorfer hatte Feuchtpräparate (Wurzeln, Farne, Spargel...) angesetzt, um Pflanzen zu konservieren, die fürs Apothekerwesen wichtig sind.

In der zweiten Etage findet sich orientalisches und römisches Glas, Keramiken aus der Antike, aber auch Geräte aus der Landwirtschaft, Möbel des 19. Jahrhunderts und Werkzeuge von Handwerkern. Es ist erstaunlich, welche Lebenswelten und Zeitläufte sich hier auftun. Der gläserne Aufzug bietet interessante Einblicke ins mehrgeschossige Haus. Die zwei 18 Meter hohen Lichtschächte im Gebäude öffnen alle Etagen für Besucher. Hier ist ein Ort der Dinge entstanden, Kultur ist materialisiert.

Im ersten Geschoss finden sich Industrie- und Zeitgeschichte: das Geleucht des Bergmanns, Kindheit im Ruhrgebiet, Reklameschilder oder die Warenwelt der Nachkriegszeit. Für jeden findet sich ein Stück seiner persönlichen Geschichte.

Das Weltkulturerbe Zollverein bietet mit dem Schaudepot einen Bautypus, der in der Museumslandschaft wichtiger geworden ist. Museen besinnen sich auf ihre Sammlungen. Wechselausstellungen sind aufgrund steigender Versicherungskosten zu teuer geworden. Man schätzt nun mehr, was man hat. Und will es zeigen.

Und Essen hat die alte Salzfabrik von 1959 zu einem modernen Schaudepot umgebaut. Ab 2017 führte das Büro Planinghaus aus Darmstadt die Bauarbeiten aus. Der Bund förderte die Initiative als „Nationales Projekt des Städtebaus“ mit vier Millionen Euro. Die Stadt Essen als Eigentümer musste 400 000 Euro dazugeben. Wegen der Corona-Pandemie musste die Eröffnung um ein Jahr verschoben werden.

Das Haus ist denkmalgerecht saniert worden. Außen dominiert die Backsteinfassade, die an Fritz Schupps Gebäudereihe erinnert. Der Architekt der Zeche Zollverein (zusammen mit Martin Kremmer) plante auch Salzlager und Salzverladung. Bis in die 1970er Jahre wurden Abfallprodukte der Koksgewinnung für die Herstellung von Dünger und Sprengstoff sowie für Produkte der Lebensmittelindustrie genutzt. Danach war das Gebäude mit seinen „Industriebühnen“ (Etagen) nur noch Ersatzteil-Magazin. 1993 endete die Kokerei-Geschichte in Essen.

Heute stehen 1500 Quadratmeter und 2500 bis 3000 Kubikmeter als Museumslager zur Verfügung. Nun werden Kulturgüter im ehemaligen Industriegebäude präsentiert. „Man geht gemütlich von oben nach unten“, sagt Theodor Grütter, Direktor des Ruhrmuseums, und erinnert an die Besucherbewegung in seinem Haus, das über eine gigantische Rolltreppe erschlossen wird. Wie Museen die Vergangenheit ordnen, ist eine Kernfrage von Grütter, die im Schaudepot augenfällig wird.

Das Ruhrmuseum nimmt künftig auch archäologische Funde aus dem Rheinland auf. Milena Karabaic vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) wird den Zuschuss für Essen erhöhen. Bisher sind jährlich zwei Millionen Euro geflossen. Der Bestand solle weiter digitalisiert werden, um die Vermittlung zu verbessern, sagte Karabaic in Essen. Das neue Schaudepot wird vom Land, dem LVR und der Stadt Essen getragen.

Das Ruhrmuseum, größtes Museum in NRW, besitzt insgesamt 500 000 Objekte – auch sehr kleinteilige. Die 25 000 im neuen Schaudepot sind nur ein Teil davon. Einige Außendepots des Hauses in Dorsten, Oberhausen, Essen und Borbeck konnten geräumt werden. Die Chefkonservatorin des Ruhrmuseums, Melanie Dropmann, habe alle 25 000 Objekte in der Hand gehabt, sagte Theodor Grütter.

Für Hannes Bierkämper vom Architekturbüro HG Merz (Stuttgart), das bereits das Ruhrmuseum eingerichtet hatte, ist die Salzfabrik ein „Idealgebäude“. „Man könnte es heute besser nicht bauen“, sagte er in Essen. Jede Etage bietet zwischen den zwei Lichthöfen drei Quadranten-flächen, auf denen die Regalsysteme eingezogen wurden. „Eine maximale Kombination von Lagern und Ausstellen“, sagte Bierkämper. So fand sich noch Platz für die naturkundliche Fuhlrott-Sammlung aus Wuppertal. „Bochum wollte nichts mehr“, sagte Grütter. Die Kapazitäten des Bergbaumuseums dort seien erschöpft.

Gruppenführungen buchbar; jeden Samstag, Sonntag und an Feiertagen;

Tel. 0201/24681 444; www.ruhrmuseum.de

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