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„Last Paradise Lost“ uraufgeführt

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Von: Achim Lettmann

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Szene aus der Rockoper „Last Paradise Lost“ am Theater Münster
Vereint sind Adam (Frank Kühfuß) und Eva (Amber-Chiara Eul) in „Last Paradise Lost“. © Berg

Bombastische Rockmusik und prächtige Bilder: „Last Paradise Lost“ mit der Gruppe Vanden Plas wird am Theater Münster vom Publikum gefeiert

Münster – Luzifer schiebt die roten Seile beiseite, die eben noch unter Strom standen. Schritt für Schritt unterstützt ihn seine schwarzgekleidete, gierige Meute dabei, die Hölle zu verlassen. Die Torwächter werden bestochen, und das Böse will nun die Schöpfung verderben. Mit kolossaler Wucht und skrupelloser Machtfülle ist in Münsters Großem Haus letztlich ein Endkampf um die Welt inszeniert. Adam und Eva schweben in Gefahr.

Solche präzise inszenierten Massenszenen sind die Stärke der Uraufführung „Last Paradise Lost“. Die Rockoper wird von Günter Werno (Musik), Andy Kuntz, Johannes Reitmeier (beide Libretto, Szenenfolge) und Stephan Lill verantwortet. Die Geschichte fußt auf John Miltons epischem Gedicht „Paradise Lost“ (1667). Eine frühneuzeitliche Fassung zur Genesis, die über 10 000 Verse lang ist und in Jamben gedichtet wurde. Milton war am englischen Hof beschäftigt. Er kannte die politischen Mittel Oliver Cromwells und hatte Shakespeares Königsdramen gelesen. Vor allem Luzifer wurde von Milton mit dieser kalten Gewalt ausgestattet, die jede perfide Strategie gut heißt, um das Ziel der Herrschaft durchzusetzen. Randy Diamond glänzt als Luzifer in Münster mit großartiger Bühnenpräsenz. Seine teuflischen Hörner, die Nietenkappe, der weite schwarze Mantel und die Fingernägel aus Stahl bieten einen gruseligen Chic. Der Fantasy-Mode, die an Comic- und Filmvorbilder erinnert, hat Michael D. Zimmermann eine stylische Linie verpasst, die auch ironische Momente zulässt.

Gegenspieler ist Andy Kuntz als Erzengel, der sich emphatische Gesangsduelle mit Diamond liefert. Ein hochtönendes Gitarrensolo kündigt ihn als Helfer Gottes an. Auf einer transparent verkleideten Spielinsel akzentuiert die Band Vanden Plas den voluminösen Sound aus dem Orchestergraben. Dirigent Andreas Kowalewitz setzt mit Münsters Sinfonikern immer wieder einen hymnischen Grundton, der klar macht, dass es um nichts weniger geht, als das Leben an sich. Mit galoppierenden Gitarren, Keyboard-Effekten und Schlagzeugbombast profiliert Vanden Plas das Klangbild mit Rockmusik der 70/80er Jahre. Die vierköpfige ProgMetal-Band um Günter Werno (Tasteninstrumente) und Stephan Lill (Gitarre) hatte bereits das Rockoratorium „Ludus Daniels“ (2008) und das Rockmysterium „Everyman“ (2015) vorgelegt. Wieder erinnert die Darstellung an die Erzählpräsentation eines mittelalterlichen Moritatenspiels, wenn die Hauptszenen als einzelne Kapitel funktionieren und aufs Publikum frontal zugespielt wird.

Regisseur Johannes Reitmeier setzt auf visuell ausgefeilte Theaterbilder. Adam und Eva hocken wie Prototypen oder Labormäuse in verschleierten Röhren, die bis in den Bühnenhimmel ragen. Sie sind Spielbälle der Mächtigen, unterscheiden sich allerdings von den Figuren der biblischen Genesis-Geschichte. Während Erzengel und Luzifer ein typisiertes Personal um sich versammeln, sind Frank Kühfuß (Adam) und Amber-Chiara Eul (Eva) jugendlich frisch und nach dem Sündenfall in modisches Grau gekleidet. Das Paar ist für die sinnlichen und einfühlenden Momente zuständig. Stimmlich haben beide Darsteller allerdings mit der Lautstärke der Rockmusik zu kämpfen. Die Antipoden Erzengel und Luzifer zerren an den weißen Tüchern, die Adam und Eva anfangs wie Babys schützten. Es sind diese sprechenden Bilder, die das Publikum immer wieder zu Szenenapplaus hinreißt und einigen Bravorufen.

Für den Sturm auf das Paradies verkleidet sich Belial als Engel mit Glitzerumhang. Edward Roland Serban legt den fiesen Ideengeber aus Luzifers Attacketruppe als spleenigen Sidestep an. Dagegen macht sich Milica Jovanovic als Beelzebub breit. Ihr Lederbustier und die schwarz schimmernden Hörner spielen mit Sadomaso-Erotik. Bisweilen knistert es in Münster.

Der Opernchor komplettiert die Szenen mit viel Raumgespür. Von Anton Tremmel eingestimmt wird diesmal choreografisch sehr viel geleistet.

Herrlich verspielt ist die Szene, als Luzifer die Äpfel aus seinem Mantel an die gefallenen Engel vergibt, die die Wirkmacht dieses Hilfsmittels jubelnd vorwegnehmen: Eva wird zubeißen, nachdem ihr eine elegante Schlange im Netzhemd (Fabiana Locke) den Sündenfall anbietet. Nun steht der Erzengel mit glänzendem Schwert da. Das Paradies ist verloren.

Und mit gestreuten Lichtstrahlen wird die Vertikale im Großen Haus verstärkt, als ob etwas Göttliches dazukommt wie in einer gothischen Kathedrale. Thomas Dörfler (Bühne) hat für Gut und Böse gefühlige, stimmige und meistens randvolle Bilder geschaffen.

Am Ende sind Videosequenzen vom Krieg, einem Atomplitz und dem einstürzenden World Trade Center (9.11.) zu sehen. Fern vom verlorenen Paradies zeigt uns „Last Paradise Lost“, das wir noch eine Chance haben unser Paradies zu retten: die Erde. Adam und Eva haben von Gott die Möglichkeit erhalten, zu entscheiden, was man tut. Welche Erkenntnis legen wir zugrunde? In Münster scheinen alle verstanden zu haben. Tosender Applaus und Standing Ovations.

17., 22.12.; 6., 20., 22.1.; 15., 20.2., 12., 25.3.; 1., 10.4.;

Tel. 0251/59 09 100; www.theater-muenster.de Englisch mit deutschen Übertiteln

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