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Rikki Henry inszeniert Tschechows Tragikomödie „Onkel Wanja“ in Dortmund

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Von: Ralf Stiftel

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Szene aus „Onkel Wanja“ in Dortmund mit Lola Fuchs, Linus Ebner, Sarah Quarshie, Ekkehard Freye, Antje Prust und Adi Hrustemovic (von links)
Verfolgungsjagd quer durchs Büro: Szene aus „Onkel Wanja“ in Dortmund mit Lola Fuchs, Linus Ebner, Sarah Quarshie, Ekkehard Freye, Antje Prust und Adi Hrustemovic (von links). © Birgit Hupfeld Rottstr.5 44793 B

Dortmund – Onkel Wanja steht am Aktenschrank, zieht eine Mappe aus einer Schublade, trägt sie zur anderen Seite, legt sie ab. Unentwegt bewegt er Papier, ohne dass man einen Plan erkennen könnte. Papier füllt die Bühne des Schauspiels Dortmund wie ein Naturstoff. Ein altes Büro mit Fotokopierer, Fax, einem klobigen Computer und Schnurtelefon. Hinten erheben sich Säulen aus Papier, abgelegte Blätter sind um den Aktenschrank zu einem Berg sedimentiert. Die Arbeit ist hier schlecht gealtert, sinnentleert. Man kann sich Wanja wie Sisyphos vorstellen, ohne Felsbrocken, aber mit eben so viel Papiermühsal.

In Dortmund mutiert das Landgut aus Anton Tschechows Tragikomödie zur historischen Fabrik mit dem schön absurden Bühnenbild von Emma Bailey. Das rhythmische Stampfen und Zischen lässt an eine Druckerei denken, die endlosen Regale samt Gabelstapler erinnern an Logistik, ein Versandlager. Hier wird geschuftet. Bis die Tür aufgeht und Serebrjakow eintritt, eskortiert von einer Feiergesellschaft mit Girlanden und Ballons. Die Arbeit entschläft. Die Wirrungen beginnen. Der britische Regisseur Rikki Henry inszeniert „Onkel Wanja“ eigentlich textgetreu. Er erzählt die Geschichte einer Enttäuschung. Das Landgut gehörte Wanjas verstorbener Schwester. Mit ihrer Mutter Maria und ihrer Tochter Sonja hat Wanja jahrelang geschuftet, um die Schulden abzutragen und das Gut zu erhalten. Der Ertrag ging an seinen Schwager, den Kunstprofessor Serebrjakow, den Wanja verehrte, inzwischen aber für seine Egozentrik und seine Hohlheit verachtet. Jetzt besucht Serebrjakow die Firma mit seiner zweiten, jungen, schönen Frau Jelena. Wanja und sein Freund, der Landarzt Astrow, verlieben sich in Jelena. Serebrjakow, der seine Stelle verloren hat, will die Firma verkaufen, um sein Stadtleben zu finanzieren. Wanja fühlt sich verraten.

Schon dadurch, dass er das Geschehen in ein anachronistisches Büro versetzt, verändert Henry die Tonlage. Er folgt zwar dem Text, fokussiert aber auf einige Handlungsstränge und Figuren. Man ist eigentlich gewöhnt, Tschechows Dramen als fein gezeichnete, atmosphärisch verunklarte Stimmungsbilder zu erleben. Henry spitzt zu, geht klar von A zu B. Die Komik orientiert sich am Well-Made-Play. So fühlt man sich zuweilen wie in einer Sitcom. Immer wieder gehen Leute an den Kühlschrank, um sich einen Wodka einzuschütten. Mitten in Unterhaltungen hinein lässt Faktotum Waffel (Adi Hrustemovic) den Akkuschrauber surren oder hämmert in den Kulissen. Zwischendurch rockt die Gesellschaft zu einer Büroparty. Marina (Lola Fuchs) spendiert eine Trostzigarette. Und dann läuft auch noch Maria (Antje Prust) ständig herum auf der Suche nach der verschwundenen Katze.

Henry geht Tschechow ungewöhnlich direkt an. Die Charaktere werden zugespitzt. Ekkehard Freye in der Titelrolle profitiert davon, er bekommt Zeit und Raum für das klare Porträt eines Mannes, der erkennen muss, dass er sein Leben verfehlt hat in der Pflichterfüllung. Der Hohn auf den einst verehrten Schwager, der gerechte Zorn über den Verkauf, der ihn um seine Existenz brächte, die aussichtslose Liebe zu Jelena, das alles spielt er facettenreich und präzise. Wunderbar sein Wutlauf mit Pistole, sein resignierender Satz: „Schon wieder daneben?“ Ebenso aufregend verkörpert Alexander Darkow den Landarzt Astrow einerseits als frustrierten Zyniker, der sich mit Alkohol betäubt, andererseits als Umweltaktivisten. Wie er vom Sterben der Wälder und dem Umgang der Menschen mit der Natur spricht, das führt zu Klimadebatten von heute. Einer mit Wut im Bauch, der auf den Tisch steigt und blank zieht vor dem Bild des Professors auf dem „Time“-Titel. Auch Astrows Verliebtheit in Jelena wird schön ausgearbeitet.

Das Dortmunder Ensemble wirft sich mit sichtlicher Lust ins Geschehen. Da macht Linus Ebner selbst den Hypochonder und Egomanen Serebrjakow ansehnlich, obwohl die Regie da keine klare Linie findet. Am Anfang windet sich der Mann wie ein trotziges Kind auf dem Stuhl und lässt sich die Decke vom Boden anreichen. Später hat er einen Elon-Musk-Moment bei der Betriebsversammlung, wenn er seine Verkaufspläne verkündet. So richtig passt das nicht, aber Ebner überspielt die Logiklücken.

Schwierig ist auch die Auffassung von Jelena, die Sarah Quarshie zwar überzeugend als glanzvolle Diven-Erscheinung verkörpert, der sie aber kaum die psychischen Brüche der Figur mitgibt. Wenn sie mit Astrow knutscht und danach trotzdem bei Serebrjakow bleibt, dann wirkt das kapriziös, zufällig. Dass sie kaum weniger Sisyphos-Figur ist als Wanja, das aber sieht man nicht.

Da darf Nika Miskovic als Sonja mehr Profil zeigen. Anfangs das Mauerblümchen, offenbart sie immer neue Eigenschaften, nimmt Astrow penetrant die Öko-Erklärungen aus dem Mund, zeigt ihre Liebe und das Wissen um ihre Chancenlosigkeit, und am Ende lässt sie eine geradezu absurdistische Hoffnung in den Schlussworten an Wanja aufblitzen.

Das Publikum ließ sich jedenfalls von dem unkonventionellen Zugriff auf den Klassiker mitnehmen. Großer Beifall.

26.4., 20.5.,

Tel. 0231/ 50 27 222, www.theaterdo.de

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