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„Phoenix des Lumières“ in Dortmund bietet immersive Blicke auf Klimt und Hundertwasser

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Von: Ralf Stiftel

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Blick in „Phoenix des Lumières“ in Dortmund
Der Jugendstil-Kuss von Gustav Klimt im Ambiente einer Industriehalle: Blick in „Phoenix des Lumières“ in Dortmund. © Culturespaces / Vincent Pinson

Dortmund – Die Farben berauschen. Gold zerstäubt in kleine Punkte und setzt sich neu zusammen. Florale Dreiecke, rote, blaue, grüne Tupfen flirren durch den Raum. Aus kleinen Ranken entfaltet sich der „Lebensbaum“, den Gustav Klimt um 1905 für ein Wandfries in Brüssel entwarf. Überall strömen Bilder um den Besucher, die bekannten Motive wie Judith (1901), das Porträt von Adele Bloch-Bauer (1907), der Kuss (1908/09), aber auch weniger berühmte. Die Motive des berühmten Wiener Jugendstil-Meisters umgeben die Menschen in der ehemaligen Gasgebläsehalle des Hochofens Phoenix West in Dortmund. Für das Projekt „Phoenix des Lumières“ wurde das Industriemonument zum Schauraum für digitale Projektionen.

Getragen wird die Schau vom französischen Unternehmen „Culturespaces“, das in den Standort 10 Millionen Euro investierte. Dafür wurde die 2200 Quadratmeter große Halle, die zuvor mit Popkonzerten bespielt wurde, aufwendig umgerüstet. Boden und Wände werden von knapp 120 High-End-Projektoren mit hochaufgelösten Bildern bedeckt. Im Hintergrund arbeiten Rechner, um die Bewegungen zu steuern, um das Visuelle exakt mit dem Musik-Soundtrack zu synchronisieren. 5300 Quadratmeter Fläche werden so zur überwältigenden virtuellen Leinwand. Die Einbauten sehen zwar aus wie industrielle Elemente, Schlote für Gas zum Beispiel, aber sie sind nicht authentisch, sondern wurden eingebaut, um Info-Kabinen zu schaffen, in denen man etwas über die Geschichte des Hüttenwerks erfährt, einige Stichworte zum Programm bekommt oder wo man ein Selfie mit Klimt-Motiv machen kann. Ein Kabinett mit Spiegeln wird zum irritierenden Raumerlebnis.

Das Stichwort für diese Art Spektakel lautet immersive Ausstellung. Das bedeutet, dass der Besucher eintauchen soll in die Projektionen, es soll ein viele Sinne ansprechendes Erlebnis geboten werden. Es ist viel Bewegung in den Bildern. Wenn zum Beispiel im Hundertwasser-Programm die gemalten Architekturen an den Wänden nach unten fließen, als versänken sie im Boden, dann muss man schon sehr schwindelfrei sein. Solche massiven Projektionen wirken geradezu körperlich.

Ungefähr eine halbe Stunde dauert das Klimt-Programm, das längste in der Eröffnungsausstellung. Das Team um Kreativdirektor Gianfranco Ianuzzi hat dafür lange in Wien recherchiert und Bildmaterial zusammengetragen, das anschließend ungefähr ein Jahr lang bearbeitet wurde. Das Ergebnis ist eine Mischung aus gigantischer Fototapete, Dia-Schau und Animationsfilm. Und alles zielt auf maximale, unmittelbare Wirkung.

Anfangs wachsen weiße Lichtlinien aus dem Boden, wie Bleistiftstriche einer Skizze. Sie bilden Elemente einer Architektur, die Säulen und Portale des Wiener Fin de Siècle entstehen, die Kunstpaläste wie das Kunsthistorische Museum und das Burgtheaater. Da tanzen schon einmal Kronleuchter als bizarres Ballett durch den Raum. Und alte Fotografien liefern Zeitkolorit. Alles freilich ohne Text. Untermalt wird das von klassischer Musik, die vor allem Pathos und Ergriffenheit erzeugen soll, Wagner, Beethoven, Mahler. Wenn es um die Femmes fatales geht, die erotischen Akte und Halbakte Klimts, dann schluchzt Giuditta aus Franz Lehars Operette: „Meine Lippen, sie küssen so heiß“. Die geheimnisvollen Damen schlagen die Augen auf. Und der große Affe aus dem Beethoven-Fries, ein King-Kong-Vorläufer, reißt das Maul auf. Die Nixen schwimmen im leuchtend blauen Strom.

Was Klimts Kunst ausmacht, erfährt man hier nicht. Weil alles fließt und rauscht, sieht man von einzelnen Bildern nicht viel, nach Sekunden hat die Szene wieder gewechselt. Da kann man nicht auf Details achten. Selbst die Titel der Kunstwerke spielen hier keine Rolle. Ob ein Betrachter merkt, dass zwischendurch die Bilder nicht von Klimt stammen sondern von seinem Kollegen Egon Schiele? Manchmal wird die Szene zum virtuellen Museum und auf eine Wand sind Dutzende Bilder projiziert. Bevor man zwei oder drei erkennen kann, sind sie auch schon wieder weg. Hier zählt das All Over, der Gesamteindruck. Die Ausstellung dient nicht der Vermittlung von Wissen. Sie soll zerstreuen und präsentiert Kunst in Häppchen für die Aufmerksamkeitsspanne eines Tik-Tok-Films.

Für diese Art Jahrmarktspektakel taugt Klimt nur bedingt. Die Farbenfülle, das viele Gold haben Schauwert. Aber vieles ist doch recht fein nuanciert. Die grobschlächtigere Kunst von Friedensreich Hundertwasser im zweiten Programmteil lässt sich noch einfacher zum Animationsfilm beleben. Da fährt dann ein Dampfer hinter Bäumen, und der Betrachter wird aus großen Augen angeschaut. Da ist noch viel mehr Lametta. Und als Dessert gibt es die zeitgenössische Kreation „Journey“ von Deniz Kader und Candas Sisman.

Bruno Monnier, Chef von „Culturespaces“, betont, dass das Unternehmen langfristig plant für den Standort Dortmund, den bislang einzigen in Deutschland. Man hat seine Erfahrungen, in Paris besuchen jährlich eine Million Menschen die Schau. Im Revier hoffen sie auf 500 000 jährlich. Am Samstag um 9 Uhr geht es los.

Klimt und Hundertwasser bis 31.12.,

so – do 9 – 17, fr, sa bis 21 Uhr,

Tickets online, www.phoenix-lumieres.com

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