Bildhauer Norbert Kricke wird für seine dynamisierten Skulpturen gefeiert

Am 30. November wäre Norbert Kricke 100 Jahre alt geworden. Der Erneuerer der plastischen Form wird von drei Kunstmuseen in Duisburg geehrt. Es gibt großartige Werke zu sehen.
Duisburg – Seine Raumplastiken stehen vor Firmenzentralen, Theaterhäusern und Museen. Norbert Kricke ist präsent. In Düsseldorf, Gelsenkirchen, Münster, Bonn und Bottrop, um nur fünf Beispiele aus NRW zu nennen. Sowie in Arnsberg, wo der Künstler 1980 zwei Metallröhren auf der Betonwand einer Autobahnbrücke anbringen ließ. Es ist nicht das auffälligste Werk eines Mannes, der den Skulpturenbegriff in der Nachkriegszeit erweiterte und international bekannt wurde. Bereits 1965 platzierte das County Museum of Art in Los Angeles eine große Raumplastik Krickes ins Zentrum des neuen Kunsthauses. Kricke überwand die traditionell geschlossene Form. Er entwarf eine Dynamik im offenen Raum durch Linienführungen. Kricke richtete Stahldrähte aus, entschied sich für Dichte, Richtung und Proportion. Ein bisschen Spektakel war auch dabei.
Norbert Kricke (1922–1984) zählt zu jenen Künstlern, deren Werke viele Menschen gesehen haben, ohne gleichzeitig an seinen Namen zu denken. Kunst im öffentlichen Raum gerät schnell in die Kategorie: Ist schon immer dagewesen. Dieser Routine widersetzen sich drei Kunstmuseen in Duisburg. Sie feiern mit ihren Ausstellungen den Geburtstag des gebürtigen Düsseldorfers, der am 30. November 100 Jahre alt geworden wäre.
Das Wilhelm Lehmbruck Museum, das sich der dreidimensionalen Kunst verschrieben hat, kümmert sich um Kricke wie um einen Sohn des Namensgebers. Wer Wilhelm Lembrucks Skulptur „Der Gestürzte“ (1915) kennt, wird auf Krickes „Kriechender“ (1948/49, Bronze) besonders aufmerksam. Konzentriert Lehmbruck das Elend einer Kriegsgeneration im Körperbild, streckt Kricke die schlanke Jungenfigur und hebt den Kopf mit einem Gefühl für Weite. Die Oberfläche des Materials ist rau. Ein Hinweis darauf, dass der junge Künstler die Skulpturenauffassung aus der Antike vor allem als Studienphase ernst nahm. Richard Scheibe unterrichtete ihn 1946/47 in Berlin. Den „Liegenden Jüngling (Porträt Alfred Kricke)“ von 1949 hatte Kricke noch klassisch und glatt ausgearbeitet.
Die Studioausstellung des Lehmbruck Museums ist der spannendste Ort in der dreiteiligen Hommage Norbert Kricke. Wie es nach der Skulptur „Kriechender“ nur drei Jahre später zur Raumplastik „Tempel“ (1952) kommen konnte, kann keine didaktische Reihe veranschaulichen. Schmal, hoch und ein wenig ausladend steht „Tempel“ ungerührt von den 13 anderen Skulpturen da. Der weiß gestrichene Stahldraht definiert ein offenes Volumen, indem er durch den Raum geführt wird und sich am Ende zu einem Kreislauf schließt, der auf einem Sockel Halt findet. Norbert Kricke hatte begonnen, den Raum zu dynamisieren. Diese fundamentale Entwicklung der Plastik geschah parallel zu seiner klassischen Bildhauerarbeit. Auch die Raumplastik „Hornisse“ (1955/56) verdrehte lose gebündelte Stahldrähte zu einem offenen Knoten – auch denkbare Flugbahnen eines Insekts.
Norbert Kricke war mit seiner Frau Hertha Schottky 1947 nach Düsseldorf zurückgekehrt. Als Lehrer für Aktzeichnen verdiente er Geld. Unter den 20 Papierarbeiten im Lehmbruck Museum sind „Jüngling“ (1949) mit breitem Strich und drei späte Zeichnungen mit Linierstift auf weißem Karton zu sehen. 1983 zeigte Kricke drei Varianten einer gekrümmten Linie. Mit diesem minimalistischen Ausdruck streicht Kricke das Hauptelement seiner plastischen Arbeit heraus. Er materialisiert damit den Raum, den die Linie beansprucht, und die Zeit, die es braucht, ihr mit den Augen zu folgen. Es sind die Momente, in denen die konstruktive Kunst ganz bei sich ist. „Vielleicht ist die Kunst nur ein Gespräch der Welt mit sich selbst, durch das Medium Künstler“, sagte Kricke 1950.
Norbert Kricke schuf keine Vorzeichnungen für sein plastisches Werk. Es fehlen Beispiele aus seinen frühen Jahren. Deshalb gilt, dass er zuerst Raumplastiken entwickelte und dann zum Zeichner wurde. 1977 war er mit seinen Zeichnungen zur documenta eingeladen. Seine Skulpturen hatte er bereits 1959 und 1964 in Kassel ausgestellt. 1964 gestaltete Kricke auch den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig mit dem Maler Joseph Fassbender zusammen.
Ausladend und überschwenglich wird Norbert Kricke dann im Museum Küppersmühle (MKM) gefeiert. „Bewegung im Raum“ ist der Titel der Schau. Die 42 Raumplastiken und 30 Zeichnungen aus drei Jahrzehnten sind in einer aufwendigen Schauarchitektur in Weiß herrlich präsentiert. Gleichzeitig transportiert das MKM die Liebe Krickes zur Linie. „Kleine weiße Architektonische“ nennt er einen Stahldraht von 1950, der im rechten Winkel geführt und einmal gewendet ist – zu sehen unter einer Plexiglashaube. Ähnlich filigran ist die „Raumplastik Blau“ von 1976, als Kricke solche Arbeiten durchgehend „Raumplastik“ nannte. Norbert Kricke reduzierte sich. Die Zeichnung „76/046, 1976“ (Tusche auf Papier) steht dafür, wie die Raumplastik Weiß 1975/38, 1975 (Stahlrohr, gestrichen), die sich vom Boden schlicht und klar erhebt. Die Linie als Raum-Zeit-Kontinuum.
Vor allem aber sind seine Linienbündel aus Drähten ein proportioniertes Ereignis. Mal verdichten sich die Materialgespinste in der Höhe wiebei der Raumplastik „Chi“ (1961), mal bildet der vernickelte Draht in „Raumplastik“ (1959) konkurrierende Schwerpunkte. Norbert Kricke schafft mit seiner Kunst eine Gegenwelt, die nichts Erzählerisches aufgreift. Vor allem der einfallslosen Nachkriegsarchitektur, mit der zerbombte Altstädte oft überbaut wurden, wollte er etwas Impulsives entgegensetzten.
Mit dem Lötkolben verband Norbert Kricke die Stahldrähte. Besonders ausladend gelang ihm das bei den „Flächenbahnen“ von 1956 und 1960, die in entgegengesetzte Richtungen stoßen. Man ist an die Lineamente des Künstlers Hann Trier erinnert. Norbert Kricke hat zur Zeit der gestischen Malerei, des Informel und des Minimalismus gearbeitet. Es gibt Bezüge zu den Stilrichtungen, am Ende aber bleibt seine plastische Arbeit autonom und wiedererkennbar.
Die Hommage an Norbert Kricke führt erstmals die drei Kunstmuseen in Duisburg zu einer Kooperation zusammen. Das Museum DKM, das Kunst ab den 1960er Jahren und Alte Kunst auch aus Asien präsentiert, bietet seit seiner Eröffnung 2009 zwei Kricke-Räume. Die 20 Zeichnungen und zwei Bildhauermodelle sind nun um eine frühe figürliche Plastik aus Berlin und um noch nie ausgestellte Zeichnungen ergänzt worden.
Der in diesem Jahr gegründete Freundeskreis Norbert Kricke e.V. hat die Ausstellungen ermöglicht. Vorsitzender ist Robert Rademacher (84) aus Köln, der seit 1983 die Freunde der Kunstsammlung NRW e.V. in Düsseldorf führt. Seine Initiative hilft der Kunst in Duisburg.
Museum Küppersmühle bis 31.3.2023; mi 14 – 18 Uhr, do – so 11 – 18 Uhr;
Tel. 0203/301 948 11; Katalog, Verlag Walther und Franz König, 30 Euro; www.museum-kueppersmuehle.de
Wilhelm Lehmbruck Museum bis 7.5.2023; di – fr 12 – 17 Uhr, sa/so 11 – 17 Uhr;
Tel. 0203/283 3294; www.
lehmbruckmuseum.de
Museum DKM bis 7.5.2023; sa/so 12 – 16 Uhr, di – fr nach Anfrage mail@museum-dkm.de oder Tel. 0203/93 555 470;
www.museum-dkm.de