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Museum Küppersmühle würdigt Ernst Wilhelm Nay mit einer Retrospektive

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Von: Ralf Stiftel

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E.W. Nays Gemälde „Afrikanisch“ (1954) Ausstellung Museum Küppersmühle Duisburg
Im Banne von Wassily Kandinsky stehen Arbeiten wie E.W. Nays Gemälde „Afrikanisch“ (1954). © Bernd Ficker / © Ernst Wilhelm Nay Stiftung/VG Bild-Kunst, Bonn

Duisburg – Es blitzt eine wilde Dynamik durch dieses große Gemälde. Ernst Wilhelm Nay hat mit kräftigen Komplementärfarben den größtmöglichen Kontrast erzeugt in seinem Gemälde „Gelb – Orange – Kobalt“ von 1967. Einen Gegenstand erkennt man hier nicht, der Künstler setzte einfach ein strahlendes Zeichen. Und doch ist das Werk in seiner Entstehungszeit zu verorten, da klingt die pointierte Abstraktion der amerikanischen Hard-Edge-Malerei an, aber auch der zu Farbe materialisierte Optimismus der Pop Art.

Zu sehen ist das Bild im Museum Küppersmühle in Duisburg. Das Haus zeigt in Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle und dem Museum Wiesbaden „E.W. Nay – Retrospektive“, eine umfassende Werkübersicht, wie sie seit gut 20 Jahren nicht mehr zu sehen war. Rund 70 Gemälde dokumentieren Nays Schaffen von seiner Studienzeit in den 1920er Jahren bis zu letzten Werken wie eben „Gelb – Orange – Kobalt“.

Ernst Wilhelm Nay (1902–1968) ist kein einfacher Fall. Die NS-Diktatur beraubte den in Berlin geborenen Künstler, der bei Karl Hofer studierte, vieler Möglichkeiten. Mehrere seiner Bilder wurden in der Schandausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Eins sieht man in Duisburg, die „Fischerboote an der Hafenmole“ (1930) weichen eigentlich kaum von den Konventionen figurativer Malerei ab. Nay war durchaus anpassungswillig, er war Mitglied des NS-Künstlerbunds und durfte weiterarbeiten. Er fand auch Förderer, die Kontakte schufen zum Beispiel zu Edvard Munch, der mit einem Stipendium ermöglichte, dass Nay mehrere Monate nach Norwegen und auf die Lofoten-Inseln kam.

Andererseits knüpfte Nay künstlerisch beim Expressionismus an, beim Blauen Reiter ebenso wie beim Spätwerk Ernst Ludwig Kirchners. Und nach dem Krieg galt er gar als ein Stellvertreter, der Deutschland die moderne Kunst bringen könnte, solange dort Picasso-Ausstellungen nicht möglich sind. Gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit war Nay ein Repräsentant der lange verpönten Avantgarde und überaus erfolgreich. Er war bei den ersten drei Ausgaben der documenta in Kassel vertreten und bei den Biennalen in São Paulo und Venedig.

Er bemühte sich auch, stets auf der Höhe der Zeit zu sein. Noch im Krieg hatte er als Soldat in Frankreich Kontakt mit Jawlensky und Kandinsky. Und in vielen Werkphasen, alle in Duisburg mit Beispielen vertreten, sieht man, wie Nay sich von surrealen und expressiven Anfängen immer wieder neu orientierte. Er selbst hat sein Werk einsortiert in Schubladen: Lofotenbilder, Hekate-Bilder, Fugale Bilder, Scheibenbilder, Augenbilder... Diese ständige Entwicklung macht die Ausstellung so spannend für den heutigen Besucher. Langweilig wird Nay nie.

Er geriet als Vertreter der Abstraktion in einen zentralen Konflikt der deutschen Kunstentwicklung, dem Streit um Abstraktion oder Figürlichkeit. Heute ist die Debatte kaum mehr nachvollziehbar. Aber Nay ging sogar auf Distanz zu seinem Lehrer Hofer, einem Protagonisten der Gegenständlichkeit. Dabei malte Nay bis in die frühen 1950er Jahre hinein nicht abstrakt. Bilder wie „Die Quelle“ (1947) lassen noch ahnen, dass sich in ihnen weibliche Figuren um ein Zentrum scharen. In „Leda“ (1948) sticht der Kopf des Schwans prägnant aus dem dichten Gewebe abstrahierter Formen hervor. Der „Pilgrim“ (1951) irrlichtert über die Fläche wie eine Miró-Figur und schwingt den Wanderstab.

Nay vollzieht hier eine Entwicklung nach, wie sie Kandinsky Jahrzehnte zuvor durchlief. Und die kleinteilige Mosaikstruktur aus dessen Bildern, das Spiel von runden und eckigen Elementen findet man auch in Nays Kunst wieder, in „Mit roten und schwarzen Punkten“ (1954) zum Beispiel. Nay lehnte das Informel ab, die malerische Geste. Er blieb in dieser Phase der Zwischenkriegs-Avantgarde nah. Seine Bilder arbeiten mit Stimmungen, durchaus im Wortsinn, denn Musik war eine wichtige Inspiration. Manchmal meint man, im sorgsam aufgebauten Gewebe geometrischer Felder und Verbindungslinien Noten und Schlüssel zu entdecken, wie in „Albaran“ (1951). Und das Querformat „Afrikanisch“ (1954), das dem Schwall knallbunter Felder noch ein haltgebendes Liniengerüst einzieht, verweist durch den Titel auf exotische Fernen. Aber es setzt eben auch eine rhythmische Formfolge in farbige Akkorde.

In der nächsten Entwicklungsphase gab Nay auch diese Formen auf. In den Scheibenbildern nahm er die Fläche als Spielfeld der Farbe, die er in unterschiedlich großen runden Gebilden verteilte zu einem All-Over, allerdings einem mit Tiefe, so dass man am besten von einer Wolke aus Farbflecken spricht, in die der Blick eintauchen kann. Das hat zwischenzeitlich eine duftige Leichtigkeit, die an impressionistische Nachtszenen erinnert, wie bei „Stellar chromatisch“ und „Symphonie in Weiß“ (beide 1955). Später verfestigt Nay die Farbe, lässt sie nicht mehr wie Aquarelle ineinanderfließen, sondern setzt pastose Pinselstriche, zum Beispiel in „Spuren in Blau“ (1957).

In der folgenden Werkphase ändert Nay wieder die Regeln, füllt die Fläche nicht mehr komplett, sondern lässt sogar Partien der Leinwand frei stehen. Nun kombiniert er unterschiedliche Arten des Auftrags. In „Astral“ (1964) gibt es Partien mit fetter, cremiger Farbe neben solchen, in denen Farben ineinander fließen oder sogar emulgieren. Er tropft sogar kleine Punktfelder. Aus seinen Bildern blicken nun Scheiben, die er mit wenigen Linien zu Augen veränderte. Die „Spirale in Blau“ (1964) scheint den Betrachter aus unzähligen Augen anzustarren.

Dabei bleibt Nay nicht stehen. „Rot in Rot I“ (1965) markiert einen Übergang zu klareren Kompositionen. Er greift die Impulse der US-Kunst auf für sein Spätwerk. Zuweilen findet er Zeichen in den großen farbstarken Gemälden. Dazu haben ihn asiatische Schriftzeichen inspiriert. Die „Drei Zeichen“ (1967) sind solche kalligrafischen Elemente, die Nay weiß in die umgebende Farbe setzt.

Bis 6.8., mi 14 – 18, do – so 11 – 18 Uhr,

Tel. 0203/ 301 948 11, www.museum-kueppersmuehle.de

Katalog, Wienand Verlag, Köln, 29 Euro

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