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Martha Jungwirth stellt in der Kunsthalle Düsseldorf aus

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Von: Achim Lettmann

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Empfindungen und Farben treffen sich im Gemälde „Ohne Titel“ (1993, Aquarell auf Papier) von Martha Jungwirth.
Empfindungen und Farben treffen sich im Gemälde „Ohne Titel“ (1993, Aquarell auf Papier) von Martha Jungwirth. Das Bild zählt zur Serie „Spittelauer Lände“ und ist in Düsseldorf zu sehen. © LISA RASTL

Die österreichische Künstlerin Martha Jungwirth (82) ist spät entdeckt worden. Nun ist ihr malerisches Werk in der Düsseldorfer Kunsthalle ausgestellt. Ihr abstrakter Expressionismus überzeugt.

Düsseldorf – Sie zählt zu den spät entdeckten Künstlerinnen: Martha Jungwirth aus Wien. Albert Oehlen, Künstler und ehemaliger Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie (2000–2009), stellte sie 2010 in Klosterneuburg bei Wien aus und erinnerte Österreich an seine expressive Künstlerin. Jungwirth war damals 70 Jahre alt. Wer sie allerdings zu Maria Lassnig (1919–2014) – auch aus der Alpenrepublik – sortieren will, findet wenig Verständnis bei der taffen Wienerin. Lassnig war 2008 in London wegen ihrer Fähigkeit gefeiert worden, das eigene Körperbewusstsein in Farben auszudrücken. Sie zählte seinerzeit schon 89 Jahre, malte zeitlebens an diesem Thema und erhielt viel Anerkennung in der Kunstwelt.

Nun ist Martha Jungwirth mit 80 Werken in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen. Das ist tatsächlich ein Ereignis, will sich doch das Haus mit malerischen Positionen ein Profil geben. Gregor Jansen hatte Jungwirths abstrakte Werke beim Galerie-Hoping in New York eher zufällig gesehen. Der Kunsthallendirektor war begeistert und lernte die Wienerin in der Galerie Fergus McCaffrey auch gleich kennen. Das geschah im Jahr 2019.

In Düsseldorf stellte die 82-Jährige ihre Kunst nun ganz unprätentiös vor. Konsequenz und Zuversicht in die eigene Arbeitsweise trugen zu ihrem Erfolg bei. Sie ist eine abstrakte Expressionistin. Diese Malweise hatte bereits in den 1950/60er Jahren ihre große Zeit in der Kunstwelt. Jackson Pollock, Mark Rothko und Willem de Kooning machten Farbmassen auf großen Formaten zum wuchtigen Erlebnis. Solche Bilder gibt es in der Kunsthalle aber nicht zu sehen.

Jungwirth ist reduzierter, konzentrierter und vielleicht auch feinsinniger. Sie vermittelt ihr innerstes Gefühl mit Farben – oft punktuell. Dem Malrausch auf der Bildfläche erliegt sie nicht. Wenn der Spannungsbogen nachlasse, höre sie auf, sagte die Künstlerin in Düsseldorf. Jungwirth kann Empfindungen konzentrieren: hier ein Tupfer, dort einen Wisch, Übermalungen folgen, verschiedene Berührungen mit dem Pinsel und Farben kulminieren.

Zudem liebt sie das Aquarell, wenn die Töne verlaufen, der Bildgrund nass wird und der Zufall zum Gelingen beiträgt. Aus der Serie „Spittelauer Lände“ ist eine herrliche Arbeit von 1993 zu sehen. Lände bezieht sich auf das Wort Anlandung, wenn Schiffe am Kanal ihre Fracht löschen. Beim Blick auf die Straße in Wien drückt die Künstlerin den Verkehrsfluss mit seinen Impulsen aus. Es sind Momente, die zur gestischen Malerei werden und die Abstraktion im Bildraum schwebend, ja luftig erscheinen lässt. Die Leichtigkeit, die ein Bild als eine Fassung von Möglichkeiten definiert, findet sich in Jungwirths Werk. „Was mich interessiert, ist das Offene, nicht zuzumachen“, sagte die Malerin, die Begriffe für ihr Schaffen findet, wie „malerisches Fleisch“.

Auf dem Triptychon „Memorial I“ (2021) ist viel Freiraum. Jungwirth reagierte auf Alice Oswalds Gedicht über Soldaten des Trojanischen Kriegs, die in jeder Heldengeschichte fehlen. Drei Figuren erscheinen skizzenhaft, nur fragmentarisch auf braunem Papier. Sie lassen sich einzeln deuten: gestürzt und verletzt, aufrecht und angreifend, getroffen und vernichtet.

Jungwirth setzt sich mit Klassikern auseinander, ohne Ehrfurcht. „Als Maler muss man sich andere Maler anschauen“, sagte Jungwirth. Der Spanier Goya gehört dazu. Sie hat kunsthistorische Abhandlungen gelesen, Bilder von ihm studiert. Und „außerdem liebe ich Hunde“, sagt die Künstlerin mit Blick auf ihr Bild „Francisco de Goya, Der Hund“ (2022. Auch das Bild „Die Regentinnen des Altmännerwohnheims, Frans Hals, 1664“ geben Jungwirths Intuition wieder. Sie löst die fünf Frauen aus der Ordnung und gibt zur gestischen Verdichtung etwas Spott hinzu. Denn Frans Hals malte die „Regentinnen des Altfrauenhospizes in Haarlem“.

Die Themen sind auch aktuell. Oder zeitlos, wie das Bild „Kommen zwei Arschlöcher zur Tür herein (Doppelporträt)“ von 2021. Neben einer Figuration ist noch ein grau-schwarzes Bündel aus Farbe zu sehen. „Wut ist ein guter Motor“, sagte Jungwirth. „Lady Gaga“ ist bei ihr ein Hochformat in Öl auf Leinwand und Karton mit vielen Rosatönen geworden. Immer wieder arbeitet sie auf Karton. „Weil es rascher geht“, so Jungwirth.

In Düsseldorf sind Werke aus allen Schaffensphasen ausgestellt. Ein Selbstporträt von 1965 ist die früheste Arbeit. Jungwirth studierte von 1956 bis 1963 an der Universität für angewandte Kunst in Wien, stellte mit der Künstlergruppe „Wirklichkeiten“ aus und war 1977 zur documenta 6 nach Kassel eingeladen.

Neben ihrem Überschwang ist Furcht ein persönliches Motiv der Martha Jungwirth zu malen. Die Serie „Das Trojanische Pferd“ versinnbildlicht ein Tier, das das Unheil bringt. Ein fieser Klepper. „Der Corona-Hund“ (2020) ist ein Gewölk aus Lila, das an Virus-Modelle erinnert. Jungwirth reagiert auf die Gegenwart, weil es immer ihre Zeit ist – gestern wie heute.

Im November 2021 erhielt sie den Großen Österreichischen Staatspreis.

Bis 20.11.; di – so 11 – 18 Uhr; Tel. 0211/5423 7710; Katalog im November; www.kunsthalle-

duesseldorf.de

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