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Kolonialismus in Westfalen wird im Industriemuseum Zeche Zollern in Dortmund thematisiert

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Von: Achim Lettmann

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Fatuma ist auf dem Foto mit Schwester Lina Diekmann in Bethel bei Bielefeld zu sehen.
Fatuma ist auf dem Foto mit Schwester Lina Diekmann in Bethel bei Bielefeld zu sehen. Ein Missionar brachte sie 1891 aus Ostafrika ins Deutsche Reich. © Hauptarchiv Bethel

Kolonialismus fand nicht in der großen weiten Welt statt, sondern auch in Westfalen. Wo und wie wir davon beeinflusst werden, fragt ein Werkstattprojekt im Industriemuseum Zeche Zollern: „Das ist kolonial“.

Dortmund – Kolonialismus hat in der großen weiten Welt stattgefunden. Vielleicht gab es Profiteure in Hamburg, Bremen, Berlin oder München, ist eine unspezifische Vorstellung. Aber was hat Westfalen mit Kolonialismus zu tun? Diese Frage wird im Industriemuseum des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) in Dortmund gestellt. Auf der Zeche Zollern weiß Jana Golombek, dass unsere koloniale Geschichte nicht auf Kaffee, Tee, Kakao und seltene Erden beschränkt ist. „Es hat etwas mit uns zu tun“, sagte die LWL-Referentin in Dortmund. Das Projekt der „Ausstellungswerkstatt“ führt in ein Thema ein, das nicht auf historische Objekte in Vitrinen reduziert wird. Vielmehr ist jeder Besucher auf besondere Weise angesprochen.

Zum Auftakt grüßen Emmanuel Ednoror (Nigeria) und Gifty Wiafe (Ghana) mit ihrem Video. Für den Künstler Emmanuel ist es wichtig, dass Menschen hierzulande bewusst wird, Deutschland war am Kolonialismus beteiligt. Ednoror bringt Erfahrungen aus seiner Heimat mit, wo lange Zeit Jesus als weißer Mann dargestellt wurde, an den Nigerianer glaubten. Hat das „Weiße“ durch diese Festschreibung etwas Göttliches erhalten? Umgekehrt lässt sich fragen, ob sich Deutsche überlegen fühlen, weil Schwarze als zivilisatorisch „primitiv“ galten. Müssen wir eine vom Kolonialismus angestiftete Haltung gegenüber Schwarzen verlernen, um ihnen offen zu begegnen? Es geht um Bewusstwerdung.

In der Ausstellungswerkstatt „Das ist kolonial“ werden auch Fragen direkt beantwortet. Wo gibt es Hinweise auf eine koloniale Geschichte in Westfalen? Eine große Karte zeigt solche Orte. In Stephanopel (Märkischer Kreis) erinnert ein Relief an den Reeder und Bankier Friedrich von Romberg (1729–1819) aus Hemer, der am transatlantischen Menschenhandel verdiente. Im Haus Dassel in Allagen (Kreis Soest) ist eine kleine völkerkundliche Sammlung zu finden, die auf Joseph Loag zurückgeht. Der Landwirt verwaltete Plantagen in Kamerun und Deutsch-Neuguinea. Vor dem Rathaus in Kierspe erinnert eine Skulptur daran, dass der sogenannte „Afrika“-Spaten im Volmetal geschmiedet wurde und als Exportware neben Schüppen, Speerspitzen und Macheten der heimischen Wirtschaft im 19./20. Jahrhundert half. Dortmund erhielt 1894 den Dortmund-Ems-Kanal, um Kolonialwaren und Rohstoffe über den Wasserweg zu importieren. Es gibt mehr Beispiele, als man denkt.

Zu den Angeboten in der Ausstellungswerkstatt zählt das Aufnahmestudio. Hörbar ist die Aktivistin Phyllis Quartey, die „schwarzes Wissen“ weitergibt und weiße Schönheitsideale vergessen will. Was Schwarze in diesem Land erlebten, berichten May Ayim (1960–1996) und Audre Lord (1934–1992). Während die eine als Pädagogin und Dichterin Teil der afrodeutschen Bewegung war und in Münster aufwuchs, war die andere eine Dichterin und Feministin aus New York, die von 1984 bis 1992 auch in Berlin lebte.

Neben einer kleinen Bibliothek gibt es eine Reihe Buchempfehlungen, wie Fechner/Schneider: Koloniale Vergangenheit der Stadt Hagen (Hagen 2019) und Gründer/Hiery: Die Deutschen und ihre Kolonien (Berlin 2022).

Die Kuratorinnen Katarzyna Nogueira, Barbara Frey und Julia Bursa suchen nach Lösungen, wie sich Kolonialismus ausstellen lässt. Es gibt sechs Biografien zu Schwarzen in Westfalen. Beispielsweise kam Fatuma 1891 aus Ostafrika nach Bethel, wo die Fünfjährige auf den Namen Elisabeth getauft wurde und in einem Kinderheim lebte. Ein Missionar hatte sie mitgebracht. Sie starb neunjährig. Außerdem gibt es ambivalente Bilder zu sehen. Eine Werbefigur für Rauchwaren trägt ein Röckchen aus Tabakblättern und zeigt viel schwarze Haut. Ein exotisches Menschenbild. Wirkt das Stereotyp heute nach?

Eine Reihe an Speeren zeigt, dass afrikanische Waffen gesammelt wurden. Weil sie Gewehren unterlegen waren? Und ein Beleg für rückständige Technik und Kultur sind? Rund 15 ethnografische Objekte werden ausgestellt.

Im kollektiven Gedächnis sind deutsche Kolonien fast vergessen. Dabei haben deutsche Museen Benin-Bronzen an Nigeria zurückgegeben. Um den Völkermord an Herrero und Nama von 1904 zu sühnen, hatte die deutsche Regierung 1,1 Milliarden Euro an Aufbauhilfe für Namibia 2021 zugesichert.

Die Werkstatt „Das ist kolonial“ bietet Bildmaterial und Infokarten, die man mitnehmen kann. Vereine, Schulen („Schulen ohne Rassismus“) und die Universitäten Paderborn, Bielefeld und Hagen wollen mitarbeiten. Der freie Theatermacher Stefan Mohr ist dabei. Der Künstler Emmanuel Ednoror will eine Choreografie für die Werkstattbühne entwickeln. Die LWL-Stiftung wird mit mindestens einer Million Euro den Sschwerpunkt Kolonialismus 2024 unterstützen. Und die Ergebnisse sollen in eine große Sonderausstellung zum (Post)Kolonialismus von April 2024 bis Oktober 2025 auf der Zeche Zollern eingehen.

Mit dem Arbeitsbereich in der Werkstatt hat das Prozesshafte der Präsentation einen Ort. Für Kirsten Baumann ist es sogar die Zukunft der Industriemuseen. Die Direktorin der acht LWL-Industriemuseen hebt „Das ist kolonial“ hervor: „Dortmund hat eine Vorreiterrolle für ganz Westfalen.“ Es werde künftig kein klassisches Ausstellungsgeschehen mehr in den Industriemuseen geben.

So wird das Museum zum Platz und Partner für wechselnde Fragestellungen gesellschaftlicher Gruppen.

Bis 15.10.; di – so 10 – 18 Uhr; Tel. 0231/6961 211; www.zeche-zollern.lwl.org

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