Möglich macht solche Vergleiche die Ausstellung „Kollwitz Kontext“. Sie bricht mit Gewohnheiten. Die scheidende Direktorin Hannelore Fischer hat für einen Werküberblick die wichtigsten Grafiken und Skulpturen von Käthe Kollwitz (1867–1945) in einem Prachtband versammelt. Hier findet man in einer Mischung aus Chronologie und Themenkapiteln wichtige Druckzyklen wie den „Weberaufstand“ (1893–97), den „Bauernkrieg“ (1902-1908), die Holzschnitte zum Krieg (1921/22), die eindringlichen Selbstporträts, die sozialkritischen Darstellungen, die politischen Plakate. Hier kann man nachlesen, wie die Tochter eines liberalen Theologen und Bauunternehmers in Königsberg den Weg zur Kunst findet, als eine der ersten Frauen in diesem Bereich. Man erfährt, wie sie sich autodidaktisch die Drucktechniken aneignet und wie sie ihre markante Bildsprache entwickelt, die bis heute nichts an Wirkkraft eingebüßt hat.
Dabei will die Expertin auch zeigen, dass Kollwitz zwar viele düstere Themen wählte, die Not der Armen, die Gewalt des Krieges, den Schmerz des Todes, dass sich ihr Werk aber nicht darin erschöpft und dass man darin eben auch Glück, Harmonie und Erotik findet. Die harmonische Darstellung der Eltern mit Kind ist ein Beispiel.
Die Ausstellung wiederum bricht mit der Erwartung. Hier findet der Besucher nicht einfach die Originale, die Hauptwerke aus der umfassenden Sammlung des Museums. Stattdessen umspielt sie diese Arbeiten, indem sie aus dem Fundus Vergleichswerke ausbreitet, rare Fundstücke, aussagekräftige Blätter, von denen viele bislang ungezeigt sind. Zugleich ermöglichen die knapp kommentierten Exponate auch Einblicke in die Museumsarbeit. So kann man die Kunst der Restaurateure bestaunen, die das vergilbte Papier der Lithografie „Kopf einer schlafenden Frau“ so reinigten, dass es wie frisch bedruckt aussieht. Ein Faksimile daneben zeigt den Zustand vorher. Man kann Erfolge nachvollziehen: Eine 1939 von der Gestapo beschlagnahmte Kreidezeichnung aus dem Motivkreis des Bauernkriegs („Losbruch“, 1901) im Besitz der Albertina in Wien wurde den Erben des jüdischen Sammlers Gustav Kirstein zurückgegeben. 2003 wurde das Blatt versteigert, Köln bekam den Zuschlag und kann das expressive Blatt nun zeigen.
Ein seltener Glücksfall: Dem Museum werden immer wieder Blätter vorgelegt, die irgendwo gefunden wurden. Meistens entpuppen sie sich als Reproduktionen oder Fälschungen. Nicht so die Zeichnung „Zwei Männer und ein Liebespaar auf einer Bank“ (1904), die das Museum gleich ankaufen konnte.
Man sieht, wie die Künstlerin sich einem Motiv annähert, bis sie die passende Formulierung findet. So zeigt sie im Bauernkriegs-Zyklus eine um ihren Sohn trauernde Mutter. Zunächst zeichnete sie eine bei der Leiche liegende Frau, gerahmt von Linien, was den Eindruck eines Sarges erweckt. Es folgen Darstellungen einer Frau, die ein Grab aushebt, und weitere Versuche. Am Ende steht die Radierung „Auf dem Schlachtfeld“ (1907), eine dramatische Nachtszene, in der die Mutter einem Gefallenen ins Gesicht leuchtet und ihren Sohn erkennt.
Oft spiegeln die Kunstwerke die Gefühle der Künstlerin, zum Beispiel ein Selbstporträt von 1915. Im Oktober 1914 war ihr jüngerer Sohn Peter an der Front in Flandern gefallen, und sie legte ihren Schmerz in das Bild. In Köln ist nun eine Fassung zu sehen, die die Widmung trägt: „Den amerikanischen Freunden“. Die Trauer führte nicht zum Hass.
Auf der Rückseite eines Porträts ihres Sohnes (um 1903) fanden sich grün aquarellierte Baumblätter. Da offenbart sich aber kein neues Motivfeld der Kollwitz: Offensichtlich war Hans im Atelier, während sie arbeitete, und vertiefte den Schulstoff.
Bis 19.6., di – so 11 – 18 Uhr, Tel. 0221/ 227 2899, www.kollwitz.de
Hannelore Fischer (Hg.): Käthe Kollwitz. Der Werküberblick. Hirmer Verlag, München. 304 S., während der Ausstellung 25 Euro