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„Katzenjammer Kids“: In Dortmund ist der älteste Comic der Welt ausgestellt

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Von: Ralf Stiftel

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Detail aus der Folge der „Katzenjammer Kids“ vom 16.5.1909
Kaktusstacheln statt Prügel für Hans und Fritz vom Captain: Detail aus der Folge der „Katzenjammer Kids“ vom 16.5.1909. © Museum für Kunst und Kultur / Stadt Dortmund

Dortmund - Sie sägen an Mammas Stuhl die Beine an. Sie binden Hund und Katze aneinander, zerschneiden den Hut des Captains, sie färben anderen Kindern die Gesichter blau. Und besonders gern zünden sie eine Sprengladung. Hans und Fritz, die Katzenjammer Kids, plagen ihre Mitmenschen. Einfach so. Und jeden Sonntag wieder, selbst wenn die meisten ihrer Übeltaten damit endeten, dass der Captain und Mamma ihnen eine Tracht Prügel verabreichten. Das machte die Lausbuben zu frühen Medienstars: The Katzenjammer Kids waren die Helden des ältesten Comics der Welt. Der Schauraum Comic + Cartoon in Dortmund feiert sie mit einer prächtigen Ausstellung.

Anlass der Schau ist das Jubiläum des ältesten noch erscheinenden Comic Strips der Welt. 1897 kam die erste Folge heraus. In den USA wurde die Reihe zwar 2006 eingestellt. In Skandinavien aber sind „Knoll och Tott“ auch im 125. Jahr noch populär. Kurator Alexander Braun greift damit ein bisher vernachlässigtes Thema auf. Andere Figuren aus der Frühzeit des Mediums fanden eher Beachtung, bei Winsor McCays Geschichten um den träumenden „Little Nemo“ und George Herrimans Abenteuern der „Krazy Kat“ konnten Kunsthistoriker überlegen, ob und wie hier die Surrealisten Inspirationen fanden. Die Katzenjammer Kids von Rudolph Dirks waren schlichter gestrickt: Immer neu wiederholten sie das Muster aus Streichen und (meistens) finaler Prügelstrafe. Ihnen fehlt die ästhetische Überhöhung, die moralische Rechtfertigung, der pädagogische Unterbau. Dieser Comic bot Quatsch um des Quatsches willen, oder, mit einem neueren Fachbegriff: Slapstick. Dass genau das so ganz einfach eben nicht ist, belegt die aktuelle Ausstellung, für die Braun Grundlagenforschung leistete. Das Problem, so Braun, ist die schlechte Quellenlage. Viel Material ging verloren. Dirks schätzte seine Originale nicht hoch, sie blieben in den Verlagen und wurden irgendwann einfach entsorgt. Ähnlich sei die Situation mit Blick auf Dirks’ Biografie. Da gebe es nicht ein umfangreiches Interview, keine Selbstaussagen, keine Autobiografie.

An den Kids lassen sich einige wichtige Entwicklungen aus der Frühzeit der Massenmedien nachvollziehen. Braun sieht die Comics an einer Schlüsselstelle der Unterhaltungskultur, noch vor dem Film und dem Radio. Die Sonntagsausgaben der Zeitungen brachten die farbigen Geschichten als Titelseiten heraus. Erstmals konnte die breite Masse Bilder besitzen, nicht nur in besonderen Räumen anschauen. Die Comics waren ein niedrigschwelliges Unterhaltungsangebot. Und sie etablierten etwas, das später die Populärkultur bestimmte: Serienhelden. Erstmals gab es vertraute Figuren, denen der Leser verlässlich wieder begegnete, jeden Sonntag in der Comicbeilage der Zeitung.

Rudolph Dirks (1877-1968), in Heide (Schleswig-Holstein) geboren, war mit seinen Eltern in die USA ausgewandert. Schon als 16-Jähriger zeichnete er in Chicago, wo die Familie lebte, Werbeanzeigen und Illustrationen. 1896 zog er nach New York, und dort kam er in die Humor-Redaktion des New York Journal, der führenden Boulevardzeitung im Medienkonzern von William Randolph Hearst. Es heißt, der leitende Redakteur habe Dirks aufgefordert, so etwas wie „Max und Moritz“ zu zeichnen. Braun fand keinen Beleg dafür, aber es passt, wenn man die ersten Folgen der „Katzenjammer Kids“ betrachtet, die noch wie Plagiate der Bilderzählungen von Wilhelm Busch wirken. Anfangs kamen sie ohne Sprechblasen aus, auch das umfangreiche Personal führte Dirks erst nach und nach ein.

Die Besonderheit der Kids ist ihre Sprache, ein wilder Mischmasch aus Englisch und Deutsch. Die Serie sprach zunächst die Gruppe der Auswanderer an, die nicht klein war: Die Deutschen waren die größte Einwanderergruppe in den USA. Aber der Slang war offensichtlich auch für andere Leser attraktiv. Schon der Titel einer Folge hat diesen besonderen Sound wie in „Der School Commences Again Vunce More!“ Hans und Fritz zählen einen Streich schon mal deutsch an: „Ein, zwei, drei!“ Und der traktierte Onkel schimpft: „You haff vent too far mit me – vultures!“ Welche Bedeutung die Sprache hatte, sieht man an einem Vergleich. Eine Episode hängt in Dortmund zweifach. Für die Einwanderer gab es bis 1918 eine deutschsprachige Ausgabe des „Morgen-Journals“ für die Neubürger. Da zeigt sich, dass die Folge „But they didn’t get the fifty cents!“ in der hochdeutschen Version steif und unbeholfen daherkommt.

Dirks umgab Hans und Fritz mit einem umfangreichen Personal, neben der Mamma vor allem die Vaterfigur, die stets „der Captain“ heißt, mit dem deutschen Artikel. Hinzu kamen diverse Onkel, ein Mädchen, dazu drei Piraten (die Herring-Brothers) und John Silver, die mal Komplizen, mal Gegner sind. Einmal wollen sie die Jungs entführen, worauf der Captain mit der Kanone im Schiff „Schnitzel“ die Verfolgung aufnimmt und den Mast zerschießt: „Smack on der Mizzen!“ Von diesem Abenteuer ist in der Schau die Originalzeichnung neben der Druckfassung zu sehen, eine absolute Rarität. Es gab Gastauftritte von Figuren aus anderen Serien wie dem „Happy Hooligan“. Die „Katzies“ erleben Abenteuer in verschiedenen Weltgegenden. Beweise gibt es nicht, aber Braun vermutet, dass die Abenteuer im Grand Canyon, am Panama-Kanal, beim Stierkampf in Mexiko und auf Hawaii Reflexe sind einer Reise, die Dirks mit seiner zweiten Frau unternahm.

Dirks verdiente viel Geld mit den Kids, was ihn 1912 dazu verleitete, seinen Vertrag mit Hearst zu brechen, um eine einjährige Europareise zu unternehmen. Und er ging zur Konkurrenz, Pulitzers New York World. Das mündete in einen Prozess, mit der Einigung, dass es die Katzenjammer Kids zweimal gab, parallel in den beiden größten Zeitungen New Yorks. Einmal als „Original Katzenjammer Kids“ mit neuem Zeichner an gewohnter Stelle. Und von Dirks beim Journal, da allerdings erst als „Hans Und Fritz“, später als „The Captain And The Kids“. Eine Folge des Weltkriegs, in dem alles Deutsche unpopulär wurde.

Die Ausstellung bietet wieder eine Fülle an Material, neben Zeichnungen und Original-Zeitungsseiten auch Werbe-Objekte. Es gab Postkarten, sogar Theaterstücke und Musicals mit den Kids. Vitrinen enthalten alte Ausgaben von „Max and Maurice“, wie Buschs Geschichte in den USA hieß, eine lange Reservistenpfeife, mit der klischeehaft Deutsche gekennzeichnet wurden. Dokumente belegen die künstlerischen Ambitionen von Dirks und seinen Kollegen, die sich gern als Maler verwirklicht hätten. Und es fehlt auch nicht die tragische Geschichte von Rudolph Dirks’ jüngerem begabten Bruder Gus, der mit Käfer-Bildgeschichten bekannt war, aber sich mit nur 21 Jahren im Atelier erschoss. Nicht, wie offiziell kolportiert wurde, weil er an seinen Ambitionen verzweifelte. Sondern, wie Braun bei Nachfahren der Familie erfuhr, weil er eine Affäre mit seiner Schwägerin hatte, mit Rudolphs Frau.

Wieder einmal ist es eigentlich zu viel Stoff für das Studioformat des Schauraums. Die ganze faszinierende Geschichte, und viele Anekdoten um sie herum, erfährt man im Buch zur Ausstellung, der ersten Monografie über die Katzenjammer Kids, die im Dezember erscheint.

Bis 10.4.2023, di – so 11 – 18, do, fr bis 20 Uhr

Tel. 0231 / 502 9697

https://comic.dortmund.de

Die Monografie über die Katzenjammer Kids, avant-verlag, Berlin, wird am 11. Dezember, 18 Uhr in einem Kuratorengespräch präsentiert.

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