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Johan Simons inszeniert in Bochum „Macbeth“ als nihilistisches Clownstheater

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Von: Ralf Stiftel

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Szene aus „Macbeth“ in Bochum mit Jens Harzer, Stefan Hunstein und Marina Galic
Ein Kollektiv des Unheils mit XXL-Schwert: Szene aus „Macbeth“ in Bochum mit Jens Harzer, Stefan Hunstein und Marina Galic (von links). © Armin Smailovic / Agentur Focus

Bochum – Sie tun nichts allein. Wenn Macbeth seine intrigante Gattin umarmt, dann liegt die Hexe dabei, wie ein Kissen oder ein Möbelstück. Nur nicht so passiv. Mit Gesten, einem bestätigenden Lächeln, einem Schubs befördert sie den Ehrgeiz, die Mordlust, das unaufhörliche Begehren nach Mehr. Egal, worin dieses Mehr besteht.

Drei Schauspieler genügen Johan Simons für seine Inszenierung von Shakespeares böser Tragödie „Macbeth“. Mit ihnen erzählt er die Geschichte vom charismatischen, auf dem Schlachtfeld erfolgreichen Fürsten, dem Hexen weissagen, dass er König werde, und der alles wegmordet, was ihm auf dem Weg zum Thron unters Messer kommt. Bis auch ihn das Schicksal trifft.

Dabei leistet sich Simons sogar den Luxus, einen Schauspieler fast ganz aus Shakespeares üppigem Figurentableau zu entfernen. Die meiste Zeit der gut drei Stunden ist Stefan Hunstein eine stumme Assistenzfigur. Er eilt herbei und rückt einen Stuhl zurecht. Er reicht ein Schwert an, mixt Höllengebräu, oder eben stützt Häupter als Kissen. Ein dienstbarer Elf von Harry-Potter-Format. Zugleich aber sieht man, dass er stets eigene Absichten verfolgt. Jede böse Idee stützt er. Er spiegelt, ja er verkörpert die finsteren Triebe des Mordpaares. Diese Hexe lässt Macbeth keinen Augenblick allein.

Man weiß nicht exakt, was man auf der Bochumer Bühne sieht. Es könnte ein Albtraum, eine Art Fiebervision sein, ein kollektiver Wahn. Simons überführt das Politdrama über den Aufstieg eines Tyrannen in eine Art Jedermann-Stück. Die drei treten anfangs als Hexentrio gleich gewandet in eleganten Smokings auf, wie eine Gruppe Banker, die einen erfolgreichen Abschluss betrinken. Sie sind Stellvertreter für uns alle, für eine Gesellschaft, die haben will, am liebsten immer mehr, der die Gier zum Selbstzweck wird.

Dafür verwendet Simons die Spielform eines nihilistischen Clownstheaters. Hier wird das Schauern über die Abgründe menschlicher Schlechtigkeit begleitet von einer Fülle absurder Witze. Man lacht über die Morde, aber mit wachsendem schlechten Gewissen. Bühnenbildnerin Nadja Sofie Eller schuf eine Badehalle mit zwei Becken. Aber die Seelenreinigung misslingt.

Jens Harzer verkörpert Macbeth, zugleich aber auch dessen Opfer Duncan und seinen Sohn Malcolm und weitere Figuren. Beim Königsmord ist er das Opfer, wenn er die Krone trägt, und Täter, wenn er sie abnimmt. Ein Stück virtuoser Schizophrenie auf der Matratze, die mal Lotter-, mal Sterbebett ist. Im Hintergrund rührt Hunstein in einer Tasse Blut an, das die Wunde markiert.

In allen Wandlungen bleibt Harzer aber eine erkennbare Figur, ein irrlichternder Charakter, der ein Moment von Spiel-im-Spiel einfügt. Dieser Macbeth wirkt manchmal wie ein launisches Kind. Ein Feigling, der fragt: Und wenn‘s schiefgeht? Genau die Einstellung für einen Staatsstreich! Ein Lüstling, der die Lady auf den Hintern küsst, weil Gewalt aufgeilt. Ein Spielball von Momentimpulsen. Das ist hinreißend komisch.

Marina Galic steckt anfangs im Hexen-Anzug, trägt für die Lady Lippenstift auf und zieht die Hose aus. Für den Macduff klebt sie sich einen Bart an, spricht eine Etage tiefer, herrlich kerlig. Sie übernimmt noch mehr Rollen als Harzer, und sie ist kongenial. Schon wie sie die Lady den aufkommenden Wahn Macbeths dem Publikum wegmoderiert, ein Parlando wie ein Beruhigungspille, mit einem Unterton anschwellender Panik.

Es ist viel Physisches in der Inszenierung. Mal setzt Macbeth die Clownsnase auf, mal pappen sie Bärte ins Gesicht, sie bestäuben sich mit Kreide. Sie stürzen eklige Flüssigkeiten hinunter, sie wälzen sich. Ein Eiswürfel wird zum groß zelebrierten Instrument von Weissagungen. Und die drei Darsteller hängen aneinander als Einheit, nicht nur in der von Brutalität befeuerten Kopulation. Da halten Hunstein und Galic Harzer an den Händen, und er taumelt unsicher, als wäre er eine Marionette an Fäden. Es ist eben ein Kollektiv, das zielstrebig in den Untergang stolpert. Ein Kraftakt, drei Stunden hochkonzentrierte, wunderbare Schauspielkunst.

Der einzelne Mord wird da zum Detail, das man fast schon vernachlässigen kann. Das Ganze zählt, eine allgemeine Neigung zur (Selbst-)Zerstörung. Die Figuren folgen nicht wirklich einem Plan. Aber sie nähern sich dem Abgrund. Man weiß zuweilen nicht, wer gerade spricht. Malcolm? Lady Macduff? Ein Diener? Die Unschärfe, die dadurch entsteht, stört nicht. In ihr werden die großen Linien eben deutlicher.

Man kann diese radikale Zuspitzung als Vereinfachung auffassen. Es wäre ungerecht. Simons projiziert neuere dramatische Ansätze zurück in den historischen Text. „Macbeth“ erscheint in Bochum wie ein Vorläufer von „Warten auf Godot“, mit viel von der Abstraktion und Absurdität des 20. (und 21.) Jahrhunderts. Schon Shakespeare meinte seine Stücke ja exemplarisch. Macbeth figuriert als Sinnbild von Verführbarkeit und Machthunger. In Bochum zappeln die Narren an den Fäden ihrer Momentseinfälle. Simons nimmt Macbeths Fazit beim Wort, dass das Leben nichts sei als ein Märchen, von einem Deppen erzählt, vollkommen bedeutungslos.

Am Ende projiziert ein Video Makroaufnahmen aus dem Unterholz, kopulierende Käfer. Egal, wie böse oder dumm die Menschen sich zugrunde richten, etwas oder jemand wird sie überleben.

Große Ovationen.

2., 11., 14.6.,

Tel. 0234/ 3333 5555, www. Schauspielhausbochum.de

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