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Jenny Holzer stellt im Düsseldorfer K21 aus

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Von: Achim Lettmann

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Mit Farbe und Blattmetall ist eine Info-Folie (2002) zum Irakkrieg von Jenny Holzer bearbeitet worden
Mit Farbe und Blattmetall ist eine Info-Folie (2002) zum Irakkrieg von Jenny Holzer bearbeitet worden: „Protect Protect Metal“ (2007–2023). Zu sehen im K21 in Düsseldorf. © Sveva Costa Sanseverino/© 2023 Jenny Holzer, member Artists Rights Society (ARS), NY

Ihre Binsenweisheiten („Truisms“) rüttelten die New Yorker Kunst in den 70er Jahren auf. Mittlerweile ist Jenny Holzer mit ihrer Wort-Kunst ein Star. In Düsseldorf wird eine Werkübersicht geboten.

Düsseldorf – „Starkes Pflichtbewusstsein macht unfrei“, schrieb Jenny Holzer, „ohne Opfer keine Lebensqualität“. Ende des 70er Jahre tauchten solche Zeilen im New Yorker Stadtraum auf. Schwarz auf Weiß gedruckt, waren die Blätter plakatiert, wo eigentlich Werbung und Kommerz herrschten. „Truisms“ (Binsenweisheiten) nennt die US-Künstlerin ihre Aussagen. In der Hektik der Großstadt fordern sie auf, ihren Wahrheitswert zu prüfen, nachzudenken. Das Überraschungsmoment der minimalistischen Kunst im öffentlichen Raum lässt sich im K21 der NRW-Kunstsammlung kaum nachstellen. Aber eine Fotografie zum 42. Street Art Projekt Times Square, New York, von 1993 macht Holzers Textkunst auf Infotafeln hinter einem posenden Kurt Cobain augenfällig.

Das Museum in Düsseldorf schafft dagegen eine installative Totale aus 5000 Holzer- Plakaten. Mit den „Truism“-Blättern (1977 – 1979) sind Holzers Aussagen der „Inflammatory Essays“ (1979 – 1982) in wechselnden Farben wandhoch ausgebreitet. In jeweils 100 Worten thematisierte Holzer Intoleranz, Gewalt, Konsum, Aktivismus, Machtmissbrauch, Mann gegen Frau. Ihre gesellschaftlichen Themen sind heute so aktuell wie damals. Holzer äußert sich nicht politisch, eher pointiert, witzig und einprägsam: „Humor ist ein Ventil“, „Automatisierung ist tödlich“.

Die Künstlerin hat das Ausstellungsprojekt im Untergeschoss des K21 über zwei Jahre begleitet. Das Team um Kuratorin Vivien Trommer präsentiert eine umfangreiche Werkübersicht. Die flirrende Optik im Holzer-Space des K21 ist vereinnahmend. Eine Robotiktechnik steuert Spotlichter auf verschiedene Arbeiten aus der frühen Schaffensphase. Mit ihren LED-Laufbändern transportiert Holzer ab 1983 Aphorismen, Maximen und Klischees wie aktuelle Nachrichten. Auch Bruce Nauman griff als Bildhauer auf mediale Techniken für seine Kunst zurück – auf Videos.

Ab 1986 verleiht Holzer ihren Texten einen Ewigkeitsanspruch. Steinbänke mit eingravierten Worten erinnern an Skulpturen aus Marmor. In Düsseldorf ist der „Survival“-Sitzkreis mit 17 Bänken in rotem Granit platziert. Er gehörte zu Holzers erster großen Einzelausstellung im Guggenheim Museum 1989. Eine Inschrift lautet: „You are trapped on the earth so you will explode“ (Die Erde hält dich gefangen, dann wirst du explodieren).

Zu dem Zeitpunkt hatte sich Holzer in der Männer dominierten US-Kunst einen Namen gemacht. Sie arbeitete mit New Yorks erster Graffiti-Künstlerin Lady Pink zusammen. In Düsseldorf sind über Holzers „Truisms“ in einem separaten Raum vier Vintage Spray Paintings nach Lady Pink realisiert. Die Übermalung der Plakate erinnert an die künstlerischen Interventionen im Stadtraum, ein Teil der Street Art, den Holzer sehr schätzt. Zu sehen sind Revolutionsmotive aus Nicaragua 1983: ein Sandinist mit Granatwerfer und ein Gewehrschütze in orangefarbenen Hosen. Figuren, die an die Alltagskunst der Muralisten erinnern.

Jenny Holzer, 1950 in Gallipolis im US-Bundesstaat Ohio geboren, studierte an der Universität Ohio Malerei und startete mit abstrakten Bildern. Sie orientierte sich an Morris Louis, Mark Rothko und Kenneth Noland. Ab 1977 arbeitete sie dann in New York vor allem konzeptuell mit Texten. 1990 stellte sie als erste Künstlerin für die USA auf der Biennale in Venedig aus. Ihre Installation „Mother and Child“ wurde mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

In den 90er Jahren erweiterte die US-Künstlerin ihre Arbeitsweise. Sie reagierte auf den Bosnienkrieg, als Mädchen und Frauen systematisch sexuelle Gewalt angetan wurde. Eine Kriegswaffe. Für Holzer begann eine neue Phase ihrer Kunst. „Ich wollte, dass die Folgen von Krieg, Mord und Missbrauch als real wahrgenommen werden“, sagte sie anlässlich der Düsseldorfer Schau. Knochen sind in der Bel Etage des K21 aufgeschichtet. Sie stammen von Menschen, die ihre Gebeine für medizinische Lehrzwecke freigegeben hatten. Um einige Knochen, die keine Verwendung mehr fanden, sind nun Silberbänder befestigt mit Auszügen aus Holzers „Lustmord“-Text (1993–1995). Die Künstlerin formulierte Erfahrungen von Opfern, Tätern und Beobachtern sexuellen Missbrauchs im Krieg. Holzer bezieht die Installation auf Körperverletzungen und Ermordungen vom Zweiten Weltkrieg bis zur Invasion in der Ukraine.

Museen sind seit 2004 für Holzer zum bevorzugten Ort geworden, um Kriegsverbrechen, Mord, Folter und Vergewaltigungen anzuprangern. Das US-Zentralkommando informierte US-Präsident Bush und Verteidigungsminister Rumsfeld 2002 über Pläne zum Irakkrieg, Codename Polo-Step. Holzer übertrug die Vorlage auf Leinen, malte Konturen nach und brachte Blatt-Metalle auf. Die Serie aus fünf ehemaligen Planskizzen vom Angriffskrieg bis zum Truppenabzug bezieht sich auf Historienmalerei. Das Genre schafft Bilder fürs geschichtliche Selbstverständnis von Staaten.

Auch zensierte US-Dokumente von 2007 über die Misshandlung irakischer Gefangener durch US-Soldaten überlässt Holzer nicht der Zeitgeschichte, sondern macht sie mit ihren künstlerischen Strategien in Museumshäusern öffentlich. Mit Leinen und Blattmetall („Jaws Broken Metal 2007–2023“) erhält sie den politisch-ethischen Diskurs. Verurteilt wurde kein US-Soldat. Wie Behörden Vorgänge vertuschten, wird neben den Opferstimmen im Werk sichtbar.

Auf Holzers Bildtafel „Wish List Metal“ (2007–2022) ist das vergrößerte Dokument mit silbrigem Blatt-Palladium überzogen. Ein Militäroffizier hatte 2003 Verhörmethoden vorgeschlagen, die nicht als Folter gelten sollten: Schlafentzug, Elektroschocks, Geräusch-Beschallung, Schläge mit offener Hand und einem Telefonbuch. Die Folgen wurden 2004 und 2006 öffentlich. Im Militärgefängnis von Abu Ghraib misshandelten und folterten US-Soldaten Iraker. Holzer abstrahiert erneut und ist den malerischen Techniken ihrer frühen Jahre näher als der Wort-Kunst, mit der sie international bekannt wurde – „Du hast immer die Wahl“.

Bis 6.8.; di – fr 10 – 18 Uhr, sa/so 11 – 18 Uhr;

Tel. 0211/ 8381 204;

www.kunstsammlung.de

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