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„Jankel Adler: Metamorphosen des Körpers“ im Von-der-Heydt-Museum

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Von: Ralf Stiftel

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Die Hand wird in Jankel Adlers Aquarell zur Schutzmauer, hinter der sich der Dargestellte versteckt. Aber er ist nicht komplett aus der Welt. Sein übergroßes Auge späht aufmerksam und verräterisch hervor. Der Künstler formulierte in dem Werk „Durch die Hand Schauender“ einen Gegensatz zwischen Absonderung und dem Wunsch nach Kontakt. Das um 1935 entstandene Bild spiegelt Adlers Lage im Exil, als Geflüchteter vor den Nazis. Zugleich drückt es allgemein Faszination und Erschrecken aus.

Wuppertal - Zu sehen ist es in der Ausstellung „Metamorphosen des Körpers“ im Von-der-Heydt-Museum Wuppertal. Das Institut knüpft darin an die große Werkschau zu Jankel Adler (1895–1949) an, die es vor vier Jahren zeigte. Danach bot sich die Chance, einen großen Werkkomplex des Künstlers anzukaufen, 548 Werke auf Papier und vier Gemälde. Der Erwerb wurde mit Hilfe der Von-der-Heydt-Stiftung, des Landesministeriums für Kultur, der Kulturstiftung der Länder und einer Spende realisiert. So präsentiert sich das Haus, das schon über eine Reihe zentraler Werke des Künstlers verfügte wie sein Selbstporträt von 1924 und das Porträt der Dichterin Else Lasker-Schüler, nun als Zentrum für Adler, wie Museumsdirektor Roland Mönig feststellt.

Nach dem Ankauf nutzte das Museum ein Landesprogramm und richtete ein Forschungsvolontariat ein. Kateryna Kostiuchenko bearbeitete anderthalb Jahre lang das Konvolut, fotografierte und digitalisierte die Bilder zum Beispiel. Und sie kuratierte die aktuelle Ausstellung, die mit 72 Werken einen durchaus repräsentativen Querschnitt durch Adlers grafisches Schaffen bietet. Sie stellte den Blättern Adlers Arbeiten von Zeitgenossen wie Picasso, Chagall, Klee gegenüber. So umfasst die Schau 112 Exponate. Mönig bezeichnet sie als „Rechenschaftsbericht“. Dabei gibt Adlers sich wandelnde Form der Darstellung des menschlichen Körpers den Leitfaden ab.

Im Zwiespalt der Gefühle: Jankel Adlers Aquarell „Durch die Hand Schauender“ (um 1935) wird im Von-der-Heydt-Museum Wuppertal ausgestellt.
Im Zwiespalt der Gefühle: Jankel Adlers Aquarell „Durch die Hand Schauender“ (um 1935) wird im Von-der-Heydt-Museum Wuppertal ausgestellt. © Foto: Von-der-Heydt-Museum

Adler wurde bei Lodz als Sohn einer chassidischen Kaufmannsfamilie geboren. Schon als Kind absolvierte er eine Lehre als Goldschmied. 1912 zog er nach Barmen, wo Geschwister als Kaufleute arbeiten, und begann 1916 ein Studium an der Kunstgewerbeschule. Von hier aus kam er mit Künstlern im Rheinland in Kontakt. So hat Adler zugleich einen Lokalbezug zum Ort des Museums. Aber er wird auch als Kosmopolit präsentiert, der politisch aktiv ist. Schon vor seinem Exil hatte er Kontakte nach Europa, zum Beispiel in die Metropole Paris. 1933 floh er vor den Nazis dorthin, später nach Schottland. Er stand in Kontakt mit der Avantgarde der Zeit, was sich auch in seinem Werk niederschlug, wie man in der Ausstellung erfährt. Gerade die Grafik bietet Einblicke in die Werkstatt des Künstlers, so Mönig.

Die Kuratorin Kostiuchenko inszeniert das Werk in thematischen Räumen. Sie möchte zeigen, wie Adler von naturalistischen Figurendarstellungen zu abstrahierenden Bildlösungen findet. Ein Raum zeigt neben Selbstporträts zahlreiche Aktdarstellungen, die oft provokativ den Unterleib akzentuieren. In an einer Gruppe von Blättern zum biblischen Helden David erkennt man anfangs noch den Mann mit der Leier auf dem aufgestützten Bein. Später werden daraus eher säulenartige Strukturen. Eine Serie von Frauenköpfen Picassos gegenüber zeigt, dass der Prozess der Abstraktion bei beiden Künstlern vergleichbar verlief. Adler überblendete Themenbereiche: Skizzen aus einer Schlachterei mit hängenden, ausgeweideten Tierkörpern entwickelt er nach dem Krieg weiter zu einer „Figürlichen Abstraktion“ mit dem weiteren Titel „Treblinka“ (um 1945). Das Vernichtungslager der Nazis zeigt er als Menschenschlachthaus. Das Gedenken an die Opfer von Holocaust und Krieg. Die Gouache „Mädchen mit Stillleben“ (1947) gehört in eine Reihe „Im Gedenken an die polnischen Toten“.

Der Künstler bewegte sich im internationalen Kontext. Er greift immer wieder Motive aus dem Alltag des osteuropäischen Judentums auf. Ein Blatt von Marc Chagall an dieser Stelle verdeutlicht die Nähe. Aus geometrischen Elementen komponierte Stillleben („Stillleben“, um 1945) lassen an die surrealen Bildfindungen Picassos denken. Arbeiten wie die Gouache „Abstrakte Figur im grauen Interieur“ (1940er Jahre) zerlegen die Figur in Einzelteile, die wie ein geschichtetes Puzzle wirken. Da näherte sich Adler einerseits den Ideen britischer Bildhauer wie Lynn Chadwick und Henry Moore, andererseits den formalen Lösungen von Malern wie Ernst Wilhelm Nay und Willy Baumeister. Geschickt gesetzte Beispiele aus der Sammlung des Hauses setzen Adler hier in den Kontext. Kateryna Kostiuchenko konnte auch Bilder sozusagen entschlüsseln. Das Gemälde „Große Figurengruppe“ (1948), das zu den Neuerwerbungen gehört, hatte Adler aus Skizzen von Atelierszenen entwickelt, wie das Studium der Papierarbeiten ergab.

So öffnet die Ausstellung überzeugend Zugänge zu dem neuen Werkkomplex in der Wuppertaler Sammlung.

Bis 28.8., di – so 11 – 18, do bis 20 Uhr, Tel. 0202/ 563 6231, www.von-der-heydt-museum.de, Katalog, Kettler Verlag, Dortmund, 25 Euro

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