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Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten im Hartware-Medienkunstverein Dortmund

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Von: Ralf Stiftel

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Videostill aus „Hydra“  Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten
Unsterbliches Leben unter Wasser malen Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten in ihrer Videoinstallation Hydra aus, die im Dortmunder Hartware-Medienkunstverein zu sehen ist. © Stolzer/Rütten/HMKV

Dortmund – Diesen kleinen Superwesen fehlt es nicht an Selbstbewusstsein. „Wir sind Monster“, singen sie mit elektronischen Fiepestimmen, „schneide uns ein Stück ab und 200 wachsen nach“. Wenn man sie zerschneidet, bilden sich die Teilstücke zu perfekten Kopien der Ausgangskreatur aus. Damit ist „Hydra“ praktisch unsterblich.

Und damit hat sie natürlich eine solche Hommage verdient, eine ausladende Installation mit Bildschirmen, über die knietschbunte organische Gebilde wuchern und die uns dieses schräge Musical mit ihren selbstbewussten Zeilen auf die Ohren bringen. Ein oktopusartiger Polyp aus Stoff ist davor drapiert. Aber tatsächlich sind die Vorbilder für Hydra andere Tiere, nämlich Korallen.

Eigentlich gibt es Hydra nur in der Fantasie von Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten. Die beiden Künstler aus Dortmund haben im Hartware Medienkunstverein im Dortmunder U ihre erste Einzelausstellung. Für „We grow, grow and grow, we‘re gonna be alright and this is our show“ haben sie sieben Kunstwesen erdacht und in aufwendigen Videoinstallationen ins Bild gesetzt. Doch die fiktiven Geschöpfe sind aus der Wirklichkeit abgeleitet. Und an ihrem Beispiel sprechen Stolzer und Rütten spielerisch die ganz großen Probleme der Gegenwart an: Ökologie, Umweltzerstörung, Klimawandel.

Die Installationen verbinden Fiktion und Wissenschaft, Problembewusstsein und erzählfreudigen Witz zu einer sehr speziellen Kunstform. Barock findet HMKV-Direktorin Inke Arns die Schau, die sie kuratiert hat. In der Tat haben die Installationen etwas Überbordendes, greifen in den Raum mit dekorativen Elementen und sogar einem echten Gewächshaus. Alle sieben Arbeiten wurden speziell für die Ausstellung erarbeitet. Die Besucher laufen mit Kopfhörern durch die Installationen und bekommen vor jeder Arbeit den passenden Ton.

In dem Raum „Azolla“ stellen die Künstler den Algenfarn vor, den es tatsächlich gibt und der noch heute heimische Teiche besiedelt. In einem Aquarium schwimmt eine dünne Schicht des fragilen Gewächses im roten Licht von Lampen, die ihnen die Sonne ersetzen. Die Wasserpflanze löste vor 49 Millionen Jahren im Arktischen Ozean durch bloßes Wachstum einen globalen Klimawandel aus. Damals lag die Erde in einer Warmzeit, die Atmosphäre war voller Kohlendioxid, und die Sonnentage am Nordpol waren lang. Die Azolla bedeckten als meterdicke Grünteppiche das Meer. Durch Photosynthese banden sie das Kohlendioxid in solchen Mengen, dass sich der Planet abkühlte. Die daraus resultierende Kaltzeit dauert bis heute an. Die unteren, vom Licht abgeschnittenen Schichten starben ab. Stolzer und Rütten stellen sich vor, dass die Biomasse absank und im Lauf der Jahrmillionen zu Kohleschichten komprimierte.

Wäre das keine Lösung gegen die heutige Erderwärmung? Man lässt Azolla wieder in Aktion treten und alles wird gut? Leider nein, wie Stolzer und Rütten erläutern. Prinzipiell wäre es zwar möglich, aber es würde tausende Jahre dauern. Keine Option für die heutige Menschheit.

Symbiose ist ein wichtiges Motiv in der Ausstellung. Schon Azolla war so erfolgreich, weil der Farn durch Cyanobakterien beim Wachstum unterstützt wurde. „Symbiotechnica“ erzählt davon, dass Lebewesen sich mit der Technik verbinden. Im Metallgerüst eines echten Gewächshauses laufen Videobilder aus einer Großgärtnerei, wo Roboterarme in einer bizarren Choreografie Orchideen für den Handel umtopfen. Diese Bilder eines industriellen Umgangs mit Pflanzen werden durch den Text umgedeutet zu einer utopischen Erzählung, in der die Wesen unabhängig von der Umgebung in einer geschlossenen Sphäre existieren, betreut von Maschinen. Diese Fantasien werden weitergesponnen bis zu Ideen, den Klimawandel durch ausbringen von Schwefelstoffen zu stoppen, die das Sonnenlicht in der Atmosphäre reflektieren. Solche übersteigerten Machbarkeitsideen werden mit gefundenen Bildern aus dem Internet illustriert, ein Löschflugzeug, das Wasser auslässt, lässt die Formbarkeit des Planeten glaubwürdig erscheinen. Am Ende hält man vielleicht sogar das seltsam animierte, menschenähnliche Mischwesen aus Pflanze und Gerät für möglich. Aber auch die Symbiotechnica ist nur ausgedacht.

So gibt es weitere hoch ästhetische und dabei hart an Realität und Geschichte entlangschrammende Inszenierungen. „Xtract“ zum Beispiel handelt vom Bergbau, lässt die Kohle auf dem einen Bildschirm aufbrennen, auf dem anderen ausgelaugt verglimmen. Da wird auf die Sage des Schweinehirten angespielt, der angeblich den Brennwert der Steinkohle entdeckte, und auf Hexenverbrennungen. Und „Extinct“ ist ein Gedenkschrein für ausgestorbene Arten, die als Geister fortleben.

In einem Lesesaal kann man in Naturbüchern solides Wissen zu den Themen der Installationen finden.

Bis 30.7., di – so 11 – 18, do, fr bis 20 Uhr,

Tel. 0231/ 1373 2155

www.hmkv.de

Magazin in Vorbereitung

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