Hartware MedienKunstVerein zeigt „Artists & Agents“

Dortmund – Cornelia Schleime hat ihre Stasi-Akten gelesen und reagiert. Die Künstlerin, die 1984 die DDR verlassen hatte, wurde davor und danach von der Staatssicherheit (Stasi) bespitzelt. Sie wurde zu einem Opfer der SED-Diktatur. Vierzehn ihrer Aktenblätter hat sie mit gestellten Selbstporträts 1993 ergänzt. Auf den Fotos zeigt sie sich, wie sie von den Spitzeln beschrieben und bewertet worden ist: „asoziale Lebensweise“, „Westkleidung“, „notdürftige“ Wohnung – kurz eine „antisozialistische Persönlichkeit“. Im Hartware MedienKunstVerein (HMKV) in Dortmund sind ihre Aktenbearbeitungen digital projiziert. Lässig und lasziv liegt sie da im Bett, telefoniert mit Zigarette und drückt mit ihren Zehen die Tastur. Dann ist sie nackt in einem Mohnfeld zu sehen oder liest die „Bravo“ wie ein Teenie. Sie stellt die Frauentypen nach, die die Männer-Agenten in ihr gesehen haben wollen.
„Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85“ ist nur eine künstlerische Arbeit, die der HMKV in seiner Ausstellung „Artists & Agents. Performancekunst und Geheimdienste“ präsentiert. Heute wird um 19 Uhr eröffnet. Diese fotografische Ausstellung fächert ein Thema auf, das seine Spannung aus der Ungeheuerlichkeit bezieht, wie Agenten beharrlich, hinterhältig und durchdacht Künstler verfolgt haben. In diesem Fall sind nur Performancekünstler gemeint. Der Grund dafür ist die große Angst osteuropäischer Staaten zur Zeit des Kalten Krieges, dass die öffentliche Ordnung durch die Kunstform aus den USA gestört wird. Da weder Gemälde noch Skulpturen beschlagnahmt werden konnten, mussten die Geheimdienste neue Strategien entwickeln, Performances und Happenings zu stören. „Zersetzende Kreativität“ sei ein Stasi-Begriff gewesen, sagte Kata Krasznahorkai, Kuratorin von der Uni Zürich, in Dortmund. Dafür wurden Spitzel aus der Kunstszene angeworben, die die „Aktionskunst“, wie sie in der DDR hieß, infiltrierten und dafür sorgten, dass Happenings nicht stattfanden oder von Gegenaktionen gestört wurden.
Wie dies passiert ist, wollte Sylvia Sasse, Professorin für Slavische Literaturwissenschaften an der Uni Zürich, wissen. Die Kuratorin sichtete mit Kata Krasznahorkai, die insgesamt sieben Jahre an dem Thema arbeitete, Geheimdienstakten, Fotos, Videos und Kunstwerke. Denn die Spitzel der Geheimdienste waren selbst beteiligt und wurden aktive Künstler, um später damit andere zu belasten. Dies belegt eine Fotografie von 1980. Zum Geburtstag Kurt Buchwalds wurde bei einem Happening „Das Schweigen von Clara Mosch wird unterbewertet“ auf die Straße geschrieben. Buchwald sollte später von Ralf-Rainer Wasse alias IM „Frank Körner“ in Stasi-Akten beschuldigt werden, diesen Spruch, der an Beuys’ „Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet“ (1964) angelehnt war, geschrieben zu haben. Dabei war es Wasse selbst. Im HMKV ist Wasse auf der Fotografie Buschs zu sehen – mit Helm und neben seinem „Werk“. Clara Mosch war eine Künstlergruppe aus Chemnitz, in der der Fotograf Thomas Ranft die eigenen Freunde bespitzelte. Auch dies ist Thema der hervorragenden Ausstellung, die einem manchmal den Atem raubt.
Inke Arns, Direktorin des HMKV, weist auf die Theoriebildung in den Geheimdiensten hin. Während in Polen nur politisch intendierte Performances überwacht wurden, waren bereits auf das erste Happening in Ungarn gleich drei Spitzel angesetzt, die unabhängig von einander Bericht erstatteten. Können Happenings so gefährlich werden? Eine Zusammenfassung zum Vorgang „Schwitters“ (1968) ist vom Belügyminisztérium Ungarns nachzulesen. In einer Station der Ausstellung lassen sich „acht operative Vorgänge“ anhand ausgelegter Akten verfolgen – Recherchearbeit exemplarisch leicht gemacht.
Insgesamt sind 24 Künstlerinnen und Künstler aus zehn Länder in der Schau vertreten. Sie zeigen die Methoden, mit denen Geheimdienste, Menschen zersetzen wollten und auch Existenzen vernichtet haben. Und seien es nur die Fotos, die die Stasi von Republikflüchtigen gemacht hatte. Arwed Messner hat sie als „Reenactment MfS“ (2014) vergrößert. Oft mussten die Aufgegriffenen in den Kofferraum des Fluchtautos zurück, damit das gestellte Bild ihre „Tat“ sichtbar und merklich belegte.
Nur weil es die sozialistischen Regime im Osten Europas nicht mehr gibt, sind die Archive in Polen, Tschechien, Rumänien, Russland und Ungarn zugänglich. Akten über diese Zeit rückt der Bundesnachrichtendienst (BND) nicht heraus. Auch deshalb stellt die Ausstellung 30 Jahre nach dem Mauerfall die Frage, wie bei uns überwacht wird.
In osteuropäischen Ländern werden erneut Künstler kriminalisiert, die „von westlichen Mächten“ instrumentalisiert seien, um die nationale Kunst zu unterwandern, sagt Kata Krasznahorkai, die Propaganda funktioniere heute noch wie geölt. Auf deutscher Seite findet sich der herabsetzende Jargon über Kunst, der in Stasi-Akten zu lesen ist, bei rechtspopulistischen Parteien. Sie unterstellen zeitgenössischen Künstlern zu geringe Linientreue zum „Volk“, so die Kuratorinnen.
Eröffnung, heute 19 Uhr; bis 22. 3. 2020; di, mi, sa, so 11–18 Uhr, do, fr 11–20 Uhr; Buch aus dem Spector Verlag, Leipzig, 34 Euro und ein Magazin; Tel. 0231 / 137 32155; www.hmkv.de