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„Flowers!“ im Dortmunder U: Ausstellung zeigt Blumen in der modernen Kunst

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Von: Ralf Stiftel

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Renate Bertlmanns Installation „Discordo Ergo Sum“ (2019)
Gegensatz aus Schönheit und Drohung: Renate Bertlmanns Installation „Discordo Ergo Sum“ (2019) ist im Dortmunder U zu sehen. Foto: Stiftel © Ralf Stiftel

Dortmund – Das Rosenbeet irritiert. Einerseits leuchten die tiefroten, transparenten Blüten aus Muranoglas verführerisch. Man bestaunt ihre zerbrechliche Schönheit. Aber wenn man nähertritt, erkennt man die Dolche, die aus jeder Blüte ragen. Diese Blumen warten nicht auf einen Pflücker. Sie stehen bereit als wehrhafte Kompanie.

Renate Bertlmann schuf ihre Installation „Discordo Ergo Sum“ 2019 für den österreichischen Pavillon der Biennale von Venedig. Sie überblendet darin brillant unterschiedliche Codes über Weiblichkeit, Gewalt, Sexualität. Die durchstochene Blüte bildet den Sexualakt nach. Die exakten Reihen transformieren das Naturbild in eine künstliche, militärische Ordnung. Der Titel verweist auf das berühmte Diktum von René Descartes und meint: Ich widerspreche, also bin ich. Ein Signal wehrhafter weiblicher Selbstermächtigung. Zu sehen ist das Werk im Dortmunder U in der Ausstellung „Flowers!“.

Regine Selters und Stefanie Weißhorn-Ponert vom Museum Ostwall haben seit drei Jahren an diesem Projekt gearbeitet. Natürlich sollen farbenfrohe Bilder von Künstlern wie Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Gerhard Richter, Andy Warhol, David Hockney in Kunstfreunden Frühlingsgefühle wecken. Ihre Schauwerte entwickelt die florale Kunst auch sicher. Mit rund 180 Werken von 50 Künstlern zeigen die Kuratorinnen aber auch, dass das auf den ersten Blick alltägliche Thema eine Fülle von ästhetischen, sozialen und politischen Motiven umschließt.

Blumenstillleben sind seit dem Barock ein beliebtes Genre. Die Dortmunder Ausstellung setzt mit der klassischen Moderne ein: Der französische Maler Odilon Redon malt die Sträuße in den drei Vasen seines Stilllebens (ca. 1910) zwar erkennbar. Aber er lässt sie in der Leere schweben, nimmt ihnen den Standort und den umgebenden Raum. Die Mohnblüte markiert nur einen roten Fleck, das Blatt einen grünen. Während die alten Meister die Natur nachahmen, ja übertreffen wollten, geht es der modernen Kunst um den Eigenwert der Farbe. Man kann es in Suzanne Valadons Stillleben von 1924 sehen, einem wilden Tanz der dekorativen Muster und der komplementären Orange- und Grüntöne.

Aber die Kunst hat die Gefühls- und Ausdruckswerte der Blumen nicht vergessen. Gabriele Münter malte 1941 die „exotische Pflanze“. Da lebte sie in Nazi-Deutschland, ihre Kunst war als „entartet“ diffamiert. Die verschlungenen Ranken der „Königin der Nacht“ wirken gequält, die weiße Blüte sieht aus wie ein zum Schrei geöffneter Mund, spitze Blätter umgeben sie wie Zähne. Daneben eine zweite Blüte, verwelkt. Das Bild vereint Wut, Traurigkeit und Resignation. Gerhard Richters unscharf gewischtes Bild einer Vase mit abgeknickten Blumen greift die Vergänglichkeitsmotive der Barockmeister auf. In Claire Morgans Glaskästen scheinen die Blumen zu fehlen, stattdessen sieht man neben einer zarten Gitterstruktur einen präparierten Vogel, im anderen Kasten einen Schwarm toter Schmeißfliegen. Auch hier das Motiv der Vanitas. Sogar die Blumen sind da: Die abstrakten Raumgitter sind aus Löwenzahnsamen gefertigt.

Die Kunst begleitete einst die Wissenschaft. Eine Malerin wie Maria Sibylla Merian war Künstlerin und Forscherin zugleich. Ein Kabinett greift diesen Aspekt der Blumendarstellung auf. Anita Albus greift für ihre Pflanzen-Aquarelle auf die altmeisterlichen Techniken zurück. Felix Dobberts Fotografien auf der gegenüberliegenden Wand folgen der gleichen Ästhetik, aber er nutzt die Schwächen der Digitalfotografie für seine Aufnahmen, für die er die Blumen während der Aufnahme bewegte. Die Kamera erzeugt Fehler in den Bildern, Partien wiederholen sich, manche Stellen bleiben leer.

Manchmal geht es auch einfach um Schönheit. Oder um Kitsch? Hans-Peter Feldmann lässt Kunstblumentöpfe aus der Wand hervorstehen, er vergrößert Industriefotos zum monumentalen Triptychon. Der neue Kontext der makellosen Tulpen und Rosen lässt uns an unserem Urteil zweifeln.

Natürlich sind auch Blumen nicht unpolitisch. Man schaue auf die Rose, die Joseph Beuys 1972 für die documenta in Kassel in ein Reagenzglas stellte, als „Rose für direkte Demokratie“. Philipp Valenta hat winzige Blüten in Rahmen gesetzt. Erst in der Nahsicht erkennt man, dass er aus internationalen Banknoten Pflanzenmotive ausgeschnitten hat, bei dem Fetzen aus der 10-Dollar-Note der Cookinseln sieht man noch die „10“. Die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist tanzt im Video „Ever Is Over All“ (1997) durch eine Wohnstraße voller geparkter Pkw. Die besenstielgroße Blume, die sie schwingt, ist offenbar aus Metall, und immer wieder lässt die Künstlerin den Stengel in ein Autofenster krachen, dass die Splitter fliegen. Da erobert sich eine Flaneurin den Stadtraum zurück.

Blumen sind keine Naturprodukte, sondern werden industriell produziert. Eindrucksvoll vermittelt das Andreas Gurskys monumentale Luftaufnahme einer Plantage. Von weitem sieht man rote, gelbe, dunkelgraue Streifen. Tritt man näher, erkennt man Blumenreihen, an manchen Stellen sogar Arbeiter.

Das Gruseln lernt man vor dem Herbarium von Anaïs Tondeur. Sie fotografiert seit 2011 Pflanzen aus dem verstrahlten Gebiet um das havarierte Atomkraftwerk in der ukraine. Für ihre Aufnahmen nutzte sie die alte Technik der Direktbelichtung. Die Schwarz-Weiß-Bilder der Kräuter zeigen seltsam geisterhafte Ranken und Streben, einige umgeben von Wolken und Lichtpunkten, dass man die Radioaktivität zu spüren meint.

Die „Power Plants“ (2019) von Hito Steyerl entstanden im Computer. Der Titel ist ein Wortspiel, der englische Begriff meint Kraftwerk, aber man kann es auch wörtlich als „Kraftpflanze“ lesen. Über die Bildschirme einer raumfüllenden Installation flimmern bunte Blüten, zu denen kurze Texte erläutern, dass ein Tee aus „Artemisia vulgaris futuris“ Hassrede und Nazipropaganda blockiert. Das Werk flirrt zwischen Naivität und Witz.

Bis 25.9., di – so 11 – 18, do, fr bis 20 Uhr,

Tel. 0231/ 50 24 723,

www. dortmund.de/

museumostwall

Katalog, Hirmer Verlag, München, 29,90 Euro

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