„Face to Face“: Der Kreis Unna zeigt auf Haus Opherdicke Werke der Sammlung Brabant

Holzwickede – Ernst blickt „Anna“ in irgendwelche Fernen. Die junge Frau im 1932 gemalten Porträt von Karl Otto Hy sitzt auf einem Hocker, im Bad oder in einer Küche, jedenfalls einem gefliesten Raum mit einem Waschbecken. Durch das Fenster sieht man einen Garten. Der Künstler zeigt uns die Frau nüchtern, in einem Moment der Kontemplation. Und so alltäglich die Szene auch ist, so sehr stellt sie den Betrachter vor ein Rätsel.
Das Gemälde ist ein gutes Beispiel für die Kunst der Neuen Sachlichkeit. Zu sehen ist es in der Ausstellung „Face to Face“ auf Haus Opherdicke in Holzwickede. Zum fünften Mal präsentiert der Kreis Unna Werke aus der Kollektion von Frank Brabant. Der Wiesbadener Sammler machte den Kuratoren Wilko Austermann und Arne Reimann den Vorschlag, sich einmal auf Porträts zu konzentrieren. So kam eine Auswahl von mehr als 100 Gemälden, Zeichnungen, Druckgrafiken zustande, von denen die meisten zwischen 1910 und 1940 entstanden sind. Hys Gemälde „Anna“ ist dabei der neueste Erwerb Brabants.
Die Schau bietet erneut die Chance, einigen der berühmtesten Künstler des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit zu begegnen. Da gibt es drei vorzügliche Gemälde von Alexej von Jawlensky, die mit groben Pinselhieben in der Nachfolge van Goghs aufgebaute „Madame Curie“ (1905), das unter der ruhigen Oberfläche geheimnisvolle „Lettische Mädchen“ (um 1911), das kleinformatige, minimalistisch reduzierte Antlitz „Meditation ,Winter‘“ (1935). Ernst Ludwig Kirchners Aquarell „Mariele“ (1923) gehört zu den vertrauten Schätzen Brabants. Hinzu kommen kapitale Gemälde wie Conrad Felixmüllers „Bildnis Hermann Kühn“ (1923) und Karl Hofers „Mädchen mit blauer Vase“ (1923), sowie Werke von Max Liebermann, Max Beckmann, Oskar Kokoschka, Otto Dix, Max Pechstein, Otto Mueller, Emil Nolde.
Neben solchen Stars sammelt Brabant aber bevorzugt Werke von weniger bekannten Künstlern, von der „verlorenen Generation“, die der Ausgrenzung und Verfolgung durch die NS-Diktatur zum Opfer fiel und ohne diesen Einschnitt heute vielleicht berühmt und geschätzt wäre. Hy gehört dazu. Und was für ein wunderbares Zeugnis für weibliches Selbstbewusstsein ist Georg Tapperts expressives Gemälde „Mädchen im Korbsessel“ (1910), ein Halbakt, der auch zum Farbereignis wird durch den kühnen Akkord aus Gelb, Grün, Rot. Im Gemälde „Zwei Mädchen im Profil“ (1918) verwendete Tappert Elemente des Kubismus. Es gibt feine Korrespondenzen: So hängt Walter Grammatés Selbstporträt als Selbstmörder (Radierung, 1918), das von einer Traumatisierung zeugt, neben dem nüchternen Porträt des Künstlers im Holzschnitt, den Max Kaus 1920 schuf. Und bei der „Chansonette“ (Holzschnitt, 1913) machte Heinrich Richter-Berlin die Töne der Sängerin als flirrend angedeutete Linien sichtbar.
Hier kann der Kunstfreund entdecken, zum Beispiel das Bild „Winzerin mit Krug und Brot“ (1925). Fritz Burrmann stellt darin einerseits zum Beispiel das irdene Gefäß mit altmeisterlicher Genauigkeit dar, andererseits verschiebt er die Perspektive und lässt im Hintergrund eine Obstwiese schweben. Monumental zeigt Lilia Busse in Nahsicht den „Jungen Italiener mit Weinflasche“ (1927) vor einem südlichen Panorama.
Aber das Interesse des Sammlers ist weiter gespannt: Im letzten Raum sieht man Andy Warhols Porträt von Liz Taylor (1966) und das wuchtige Gemälde „Isabel“ (1987) von Johannes Grützke. Und das älteste Blatt der Schau ist die Lithografie „Chanteur americain“ des Spätimpressionisten Henri de Toulouse-Lautrec von 1893.
Die Kuratoren haben die Schau in thematischen Räumen aufgebaut, weitgehend chronologisch. Außerdem kombinieren sie die Werke der Sammlung Brabant mit Arbeiten von Gegenwartskünstlern aus dem Umfeld der Kunstakademie Düsseldorf. Das führt zu einigen besonders glücklichen Dialogen quer durch die Kunstgeschichte. Die Holzschnitte von Expressionisten wie Max Pechstein, César Klein und Emil Maetzel mit ihrer maskenhaften Reduktion korrespondieren überzeugend mit den Arbeiten von Inessa Emmer, die zum Beispiel „Arnold“ (2021) den Kopf einer Antilope verpasst. Schon für die Expressionisten waren Bildwerke zum Beispiel aus Afrika Inspiration. Emmer greift die Stilistik auf, ihre Holzschnitte druckt sie farbig auf Leinwand.
In den Raum mit konstruktivistischen Werken wie dem auf wenige geometrische Linien reduzierten Porträt des Reichskanzlers Brüning von Walter Dexel (1931) und dem kubistisch aufgelösten Selbstporträt Otto Müllers (1922) wurden Arbeiten von Pascal Sender gehängt. Das Porträt „Tadeusz“ wirkt wie eine Architektur, ist aber ein Kopf, geschaffen am Computer und am 3D-Drucker realisiert. Zum Gemälde „New Shortcut“ entwickelte Sender eine App. Wenn man die aufs Handy lädt und dann das Bild betrachtet, wird es dreidimensional und macht neue Details sichtbar.
Annabelle Agbo Godeau spielt in ihrem Gemälde „I have nothing to hide“ (2020) mit Bildebenen. Der Betrachter muss entschlüsseln, was darin Spiegelung ist und was „real“. Die Künstlerin porträtierte sich selbst, setzte ihren Namen auf Buchrücken und malt über den Kamin ein Bild-im-Bild mit einer Szene aus einem Pornofilm.
Bis 28.8., di – so 10.30 – 17.30 Uhr, Tel. 02303 / 275 041, www. museum-haus-opherdicke.de,
Katalog, Verlag Kettler, Dortmund, 30 Euro