Sauerlandmuseum in Arnsberg zeigt die Ausstellung „Du Hexe! Opfer und ihre Häscher“

Hexen sind kein Phänomen des Mittelalters. Zwischen 1580 und 1630 starben 300 Menschen im Sauerland aufgrund von Hexenprozessen. Eine Ausstellung in Arnsberg geht den Gründen nach.
Arnsberg – Die Preise für Getreide steigen. In der frühen Neuzeit zwischen 1580 und 1630 war beispielsweise Roggen in Meschede knapp. Wurde im Sauerland gehungert? Jedesmal wenn mehr Schillinge pro Scheffel bezahlt werden mussten, lässt sich historisch nachweisen, dass die Hexenprozesse im Herzogtum Westfalen zunahmen. Hohe Preise, mehr Prozesse – diese Korrelation aus dem 16./17. Jahrhundert führt die Ausstellung „Du Hexe! Opfer und ihre Häscher“ in Arnsberg an, um zu belegen, was die brutalen Verhöre, Folterungen und Hinrichtungen tatsächlich auslöste.
Mit der regionalhistorischen Präsentation im Sauerlandmuseum will Museumsdirektor Oliver Schmidt aufklären. Niels Reidel entwickelte vor allem das Schaukonzept. Warum gab es im Herzogtum Westfalen eine Welle an Hexenprozessen? Gehört diese grausige Praxis nicht ins Mittelalter?
Es wird präzisiert. „Hexen“, meist Menschen, die am Rand der Gemeinschaft lebten und denunziert wurden, Als Hexen sollten sie für Missernten, Hunger, Elend, Krieg und Krankheit verantwortlich sein. Und der Aberglaube war weit verbreitet. Die Ausstellung zeigt Objekte dieser Glaubenspraxis, zum Beispiel ein Amulett aus gegerbter Haut, ein Korallenhörnchen (1685) und eine Fraiskette, ein Schutzamulett mit Seidenband, das als Talismann Kinder vor Krankheiten schützen sollte. Eine Grafik aus Johann Geilers gedruckter Predigt von 1517 illustriert den Aberglauben der „Milchhexe“. Danach konnten Hexen aus dem Axtschaft Milch melken, die der Teufel zuvor einer Kuh genommen hatte. Mit solchen Geschichten wurden Menschen zu „magischen Wesen“ und als „Hexen“ stigmatisiert. Vor allem waren Frauen das Ziel der Anschuldigungen, später auch Männer, sogar Kinder und Tiere. Im Herzogtum Westfalen, das dem Kurfürsten im Erzbistum Köln unterstand, ist eine Verfolgungswelle mit über 300 Opfern zwischen 1626 und 1632 nachgewiesen. Sie war Höhepunkt eines „Hexenunwesens“. Dokumentiert ist, dass der Frauenanteil der Verurteilten unter 50 Prozent lag.
Seit 1607 gab es eine Kurkölnische Hexenordnung, um das Vorgehen gegen „Hexen“ zu organisieren. Man versuchte, einer gewissen Willkür zu begegnen. Der Abschrift von 1628, die im Museum zu sehen ist, war noch eine Gebührenordnung beigefügt. Folter, Hinrichtung und Tod lohnten sich für Hexenkommissare. Es wurde in Taler abgerechnet. Oliver Schmidt spricht in seinem Katalogbeitrag von einer „Verfolgungsgesellschaft“.
Klimatologen haben anhand eines Eichenbalkens aus Arnsberg (Baumringe des Stammholzes) nachgewiesen, dass es Witterungsumschwünge und kalte Phasen im Herzogtum gegeben hat. „Hexenwetter“ hieß das dann. Für schlechte Ernten und wirtschaftliche Not waren im Volksmund „Wetterhexen“ zuständig. Der eigentliche Grund heißt aber „Kleine Eiszeit“, eine Extremwetterlage in Europa. In Arnsberg ist das Gemälde „Winterlandschaft“ (um 1640) von David Tenier, dem Jüngeren (1610–1690), ausgestellt. Es zeigt eine vereiste Landschaft und Häuser am Meer. Das Wetterphänomen beschäftigte auch Künstler der Zeit.
Die Ausstellung in Arnsberg steigt in das Thema mit düsterer Musik ein, die an Gruselfilme erinnert. Eine Grafik von Erhard Schön von 1535 ist vergrößert worden. Der Teufel mit missgebildetem Vogelkopf spielt eine Sackpfeife in Form eines Priesters mit Tonsur. Die Flöte bildet sich aus der Nase des Geistlichen. Zeitgenössische Darstellungen thematisieren das Sterben von Rindern und die Phantasie des Hexensabbats, also die nächtlichen und geheimen Treffen von „Hexen“. Solche bedrohlichen Illustrationen fanden mithilfe von Druckverfahren eine immense Verbreitung. Das Blatt „Vier nackte Frauen (Die vier Hexen“), ein Kupferstich von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1497, zählt auch dazu.
Als Orte der lokalen Hexenverfolgung werden unter anderem Werl, Menden, Geseke, Anröchte, Rüthen, Belecke, Warstein, Brilon, Medebach, Winterberg, Attendorn, Olpe und Balve genannt. Die Besonderheit im Herzogtum Westfalen ging auf einzelne Personen zurück. Der Rat des Erzbischofs von Köln, Kaspar von Fürstenberg, machte Hexen für den Tod seiner Frau verantworlich. Deshalb gab es 1590 die erste Welle an Hexenprozessen im Hoheitsgebiet. 1613 wurde von Fürstenberg zum Landdrosten ernannt. Im Herzogtum Westfalen – heute große Teile des Sauerlands – setzte er Hexenkommissare ein, die wiederum lokalen Gerichten verpflichtet waren. Das kurkölnische Justizwesen war dezentral organisiert, so dass Hexenprozesse vom lokalen Verfolgungsdruck dominiert wurden. Regierungsbehörden griffen nicht ein.
Caspar Reinhartz (1596–1669) aus Werl und Heinrich von Schultheiß (1580–1646) aus Arnsberg sollten Jahre später für hunderte Hexenprozesse verantworlich sein. In der Ausstellung werden sie auf zwei Abbildungen gezeigt. Vor allem von Schultheiß galt als fanatischer Hexenverfolger. Ein Hausaltar aus gedrechseltem Holz steht für seine Frömmigkeit. Die Prämonstratenserinnen des Kloster Rumbeck (Arnsberg) bewahrten den Altar, so dass er nun ausgestellt werden kann. Anhand der Güter und Besitzungen, die sich zurückverfolgen lassen, hat sich der Hexenkommissar vor allem an den Folteropfern bereichert. Die Praxis seiner Verhörmethoden wird in einem Video nachgestellt. Christina Stöcker, Tänzerin und Schauspielerin, liest aus der „Hexenbefragung“, die Heinrich von Schultheiß 1634 als „Instructionen“ festgehalten hatte. Ein brutaler Überzeugungstäter.
Die Schau „Du Hexe!“ zeigt, was den Beschuldigten drohte. Hals- und Gelenkeisen, Leibfessel, Fingerschrauben und die Mundbirne sind ausgestellt. Ein Kupferstich von Jean Luyken (17. Jahrhundert) heißt „Trockener Zug“ und bebildert in der Serie „Théâtre des Martyrs“ auch die Gleichgültigkeit der Folterer gegenüber ihren Opfern.
Vor allem Geistliche, die die Beichte der zum Tode verurteilten abnahmen, zweifelten die Geständnisse unter Folter an. Auch Friedrich Spee von Langenfeld, Professor für Moraltheologie an der Academia Theodoriana der Jesuiten in Paderborn (1629–1630), sah in der Folter den „Quelle allen Übels“. Der Jesuit hatte auch Ärzte über Folterauswirkungen gefragt. In seiner Schrift „Cautio Criminalis“ (Rechtliche Bedenken) wendete sich Spee an die Justiz und trug so zum Ende des Hexenwahns bei. 1631 wurde seine Schrift gedruckt, 1632 überarbeitet. Jesuiten missionierten im Sauerland. Ein Beispiel ist belegt, wonach ein Jesuit die Hexen-kommissare daran erinnerte: „Wir sind Christenmenschen.“ Mit den Beschuldigten sei nicht „wie mit Vieh“ zu verfahren.
Die Ausstellung schlägt den Bogen zu Hexenverfolgungen unserer Tage. Unter anderem in Papua-Neuguinea, Indonesien, Indien (Asien) und Regionen südlich der Sahara (Afrika) wie in Nigeria werden weiterhin Menschen denunziert, verfolgt. Im Islam ist das Phänomen weniger bedeutsam. Sogar Reaktionen im Internet auf Anordnungen während der Corona-Pandemie lassen sich mit dem Reflex vergleichen, Sündenböcke für etwas zu finden, das man nicht haben will und nicht ändern kann.
Bis 4.9.; di 9 – 18 Uhr, mi – fr 9 – 17 Uhr, sa 14 – 18 Uhr,
so 10 – 18 Uhr; Tel. 02931/ 944 444; Katalog 12,90 Euro; www.sauerland-
museum.de
Ein Escape Room (60 Min.) bietet Kleinstgruppen eine Vertiefung der Geschichte.