Douglas Gordon und Fotoklassiker im Museum Folkwang

Von Ralf Stiftel ESSEN - Der Saal ist ausgekleidet mit Bildern. In allen Formaten von Postkarte bis Poster hängen sie neben- und übereinander. Hier blickt man auf einen Globus, der sich bei näherem Hinschauen als Schädel entpuppt. Da hängt die extrem vergrößerte vergilbte Aufnahme eines Paars. Eine Praline ist aufgeblasen zu einem Berg. Mehrfach fällt der Blick auf eine riesige Hand mit einem Mal darin, einem Stigma, als wär’s das Detail einer Christusdarstellung. Und zwischen dieser großen Woge aus Bildern hängen Spiegel. Man sieht nicht nur Fotos. Man sieht immer wieder auch sich selbst beim Schauen.
Diesen Raum im Essener Museum Folkwang hat Douglas Gordon eingerichtet. Ein so befremdliches wie ansprechendes Panoptikum, das keine herkömmliche Fotoausstellung ist. Der schottische Künstler, 1966 in Glasgow geboren, hat im Sommer für die Ruhr-Triennale eine Videoarbeit auf der Zeche Zollverein geschaffen. Nun öffnet er für den Betrachter seine eigene Biografie in der Ausstellung „Everything Is Nothing Without Its Reflection – A Photographic Pantomime“.
180 Fotos und 180 Spiegel bedecken die Wände. Viele sind zunächst völlig neutral, ja banal, wie der Blick auf eine blühende Wiese. Einige Motive wiederholen sich. Je länger man guckt, desto irritierender wird diese unsortierte Komposition. Auf einem Bild liegt ein Elefant am Boden, umringt von Menschen. Ist das Tier in einem Zoo gestorben? Wurde es geschlachtet? Ein anderes, sehr großes Bild zeigt einen Säugling, einen Jungen, und sein sehr sichtbarer Penis wirkt wie ein visuelles Echo der Rüssel. Man sieht eine angegessene Lasagne, Krabben, eine Party. Man sieht ein Selbstporträt Gordons, bei dem er eine Fotoerlaubnis für die Londoner U-Bahn mit seinem Passbild abfotografiert hat. Gefundene und gemachte Bilder bilden Mosaiksteine zu einer Erzählung, die der Betrachter zusammenfügen muss – immer mit den Eindrücken der Spiegel, die für weitere Reflexionen sorgen, im doppelten Sinne, als optisches wie als intellektuelles Phänomen.
Er greift nicht nur in seine Familiengeschichte. Er zeigt auch Kunsthistorisches, gotische Kirchengewölbe zum Beispiel und den Schnappschuss des Pop-Art-Malers Richard Hamilton. Immer wieder findet man visuelle Korrespondenzen, das Spiel mit Motiven. Der Globus, die Schädel, Kugeln eines Boule-Spiels, die runde Praline – da zitiert Gordon das Vokabular der altmeisterlichen Stillleben-Malerei, um seine eigenen Vanitas-Assoziationen zu erzeugen: Leben, Tod, Vergänglichkeit. Provokativ zeigt er enorm vergrößert ein kopulierendes Fliegenpaar.
Der Bilderraum zieht den Besucher an. Das scheinbar so willkürlich ausgebreitete Material löst Geschichten aus. Und die Spiegel verstärken den Effekt, dass Bilder nicht als Wandbehang empfunden werden, sondern als Fenster in andere visuelle Räume. Gordon setzt das Medium Fotografie damit geradezu filmisch ein.
Parallel zeigt das Museum Folkwang seine aktuelle Neuerwerbung in Auswahl. Kürzlich hat das Haus die persönliche Sammlung von Ernst Scheidegger angekauft. Scheidegger, 90 Jahre alt, arbeitete lange als Bildredakteur der Neuen Zürcher Zeitung. Scheidegger hatte kollegialen Kontakt mit einigen der berühmtesten Fotografen überhaupt, den Stars der Agentur Magnum wie Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Werner Bischof. Die Bilder seiner Sammlung sind Vintage-Prints – und Freundesgaben. In Essen sieht man großartige Besipiele klassischer Reportagefotografie, eine Aufnahme Cartier-Bressons aus Barcelona von 1932 mit Widmung zum Beispiel („avec ma très vieille amitié“). Von Capa das berühmte Foto des tödlich getroffenen Soldaten, aber auch eine Aufnahme aus Essen (1951) von einem jungen Bergarbeiter, der früher Mitglied der Jugendorganisation der Nazis war. Von einigen Fotos sieht man Kopien der Rückseite, auf denen der Redakteur die Maße für die Rasterherstellung notiert hatte. Auch hier transportieren die Exponate ein Stück Geschichte.
Gordon bis 2.3., Scheidegger bis 16.2., di – so 10 – 18 Uhr,
Tel. 0201/88 45 444,
www.museum-folkwang.de