In Muchas Werk sieht Gaensheimer eine Archäologie der alten Bundesrepublik, einer vom Wirtschaftswunder geprägten Gesellschaft. Der Künstler setzt einige Elemente immer wieder ein, die massiven Glasfronten zum Beispiel, in denen sich die Betrachter unfehlbar spiegeln. Kleine Fußbänke, ein praktisches, besonders unscheinbares Möbel, das nach dem Krieg viele oft selbst bauten. Die Eisenbahn, die den Wiederaufbau voranbrachte, die aber auch für unangenehme Kontinuitäten stand: In die Konzentrationslager fuhren Güterzüge. Man findet all das im „Deutschlandgerät“ wieder. In jede der 38 Wandvitrinen hat Mucha eine Fußbank und einen Bronzeabguss davon so arrangiert, dass man die Aufrichtgeste der namensgebenden Maschine wiederfindet. Vielleicht symbolisieren die sich umarmenden Möbel auch die Teile Deutschlands, die wieder zueinander finden. Auf Bildschirmen laufen historische Filme in Dauerschleife. Die Arbeit ist gleichzeitig rätselhaft und beredt, weckt Assoziationen.
Auch der Ausstellungs-Titel arbeitet so. „Der Mucha“ war ein Restaurantführer in Österreich. Der Verdacht, man könne stattdessen mit Kunst konfrontiert werden, könnte sich erhärten. Mucha hat immer wieder sein Werk neu gedacht, aktualisiert (auch das „Deutschlandgerät“). Man kann sein Schaffen von seiner Studienzeit an der Düsseldorfer Akademie (bei Klaus Rinke) bis in die Gegenwart verfolgen. Bei seiner Arbeitsweise allerdings verbot sich eine chronologische Darstellung, betont Kurator Falk Wolf.
So ist eine grundlegende frühe Arbeit wie „Wartesaal“, mit der Mucha 1979 begann, mittendrin zu sehen. Stahlregale, Vitrinen, Möbel füllen einen Saal. Der Bezug zur Eisenbahn ist nicht sofort zu erkennen, aber in den Vitrinen liegen verwitterte Stützpfeiler für Bahnsteigdächer. Und in den Schubfächern liegen 242 bemalte Holztafeln, die jeweils einen Ortnamen in der Optik der Bahn tragen. Jeder dieser Ortsnamen (mit sechs Buchstaben) stammt aus einem Tarifverzeichnis, das die Bahn 1943 erstellt und bis in die Nachkriegszeit verwendet hatte. Darum ist das heute polnische „Kudowa“ dabei. Viele spätere Werke tragen Titel, die hier verzeichnet sind, „Altena“ und „Biblis“. Bei einigen spielt Mucha mit Doppeldeutigkeit wie bei „Wissen“ und „Schuld“.
Es ist auch dieses Öffnen, dieses Anstoßen von Denkprozessen, mit dem Mucha den Begriff von Skulptur erneuerte. Eine Arbeit heißt „Der Aufstieg“ (2007, 2019 aktualisiert). So hieß eine 1949 gegründete Wirtschafts-Zeitschrift, die sich an „alle Vorwärtsstrebenden“ richtete. Ein Motivationsblatt zum Wiederaufbau. 1983 hatte es den Untertitel geändert in „Chefmagazin“. Mucha arrangiert mehr als 500 Hefte zu vier unterschiedlich hohen Stapeln, eine Treppe, ein Aufstieg eben. Das vergilbte Papier, die sichtlich veralteten Motive, die über Bildschirme laufen, konterkarieren das Versprechen des Blatt-Titels.
Mucha arbeitet oft selbstreflexiv, stellt das Ausstellen aus, wie Kurator Falk Wolf es formuliert. In der Wandarbeit „Ohne Titel („Astron Taurus“ – Kunsthalle Bielefeld 1981)“ (1984) hat er Fotos einer Installation und ihres Aufbaus arrangiert. In einer anderen großen Arbeit sind Entwürfe, Pläne, Skizzen und Fotos zur Arbeit „Der Bau“ dokumentiert.
Auch die eigene Biografie wird zum Ausgangsmaterial großer Installationen. In „Kopfdikate“ (1980) kombiniert er Fotos von sich aus jedem Lebensjahr mit Blättern aus Schulheften, oft Strafarbeiten: „Ich darf in der Klasse nicht schwätzen“. In diesem Arrangement verdichtet er flüchtiges, zufälliges Material zu einer berührenden Darstellung von Disziplinierung. Weitere Arbeiten im K 20 greifen ebenfalls auf autobiografische Materialien wie Briefe, Fotos, Urkunden, Zeugnisse zurück wie „Schnee von Gestern – Auszüge aus dem großen Kalender III“ (2020).
Aber es gibt auch Arbeiten, die das Skulpturale unmittelbar verstehen, wie die aggressive Flugabwehrkanone, die er aus Stühlen und Tischen baut („Flak“, 1981). Drei kleine Fußbänke arrangiert er mit Zollstücken zu einem Ensemble, das wie kopulierende Hunde aussieht, in dem vielleicht auch alte Darstellungen des Blinden, der den Lahmen führt, nachhallen, doch die skurrile Arbeit trägt den Titel „Altbau gegen Neubau“ (2014). Und im K 20 dreht er das ganz große Schicksalsrad mit einer Jahrmarktsattraktion aus Alu-Leitern, Stühlen und Neonröhren: „Das Figur-Grund-Problem in der Architektur des Barock (für dich allein bleibt das Grab)“ (1985/2022). Auch wird die große Geste ironisiert. Aber wieder steht man davor und stellt sich Fragen, die so schnell keiner beantwortet.
Bis 22.1.2023, di – fr 10 – 18, sa, so 11 – 18 Uhr,
Tel. 0211 / 8381 204, www.kunstsammlung.de
Kostenloses Begleitheft,
Katalog, Hirmer Verlag, München, in Vorbereitung