Regeln, Geschmack und Niveau dienen oft dazu, Dogmen und Moral durchzusetzen. Dagegen setzen Heiser und Ricupero das Konzept der „enthusiastischen Peinlichkeit“. Hier vermählen sich Ironie und Idiotie, hier werden Regeln verletzt. Aus einer solchen Perspektive ist es egal, wenn man die Drähte sieht, an denen die Ufos hängen wie in Woods Film. Das Selbstgemachte unterstreicht den Gedanken. Erst wenn man das mitdenkt, erschließt sich eine Arbeit wie Sigmar Polkes „Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann“ (1969). Der Künstler hat einen Hocker, einen kleinen Elektromotor, Drähte montiert. Man kann einen Erdapfel aufstecken, legt den anderen auf den Boden. Die provisorische Machart entspricht der Absurdität des gesamten Objekts. Rob Pruitt gießt eine Blue Jeans mit Beton aus und erhält so die unförmige Bodenskulptur „Esprit de Corps: Corner“ (2006). Das Schweizer Künstlerduo Fischli & Weiss baut aus Wurstscheiben und -Zipfeln Szenarien wie einen Catwalk und einen Teppichladen und fotografiert sie für die „Wurstserie“ (1979). Solche Arbeiten verlangen nicht nach Deutung, man darf über sie einfach mal lachen.
Das schließt nicht aus, dass die Absurdität subversive Energie freisetzt. Das Kollektiv Assume Vivid Astro Focus zeigt auf einem Kettenvorhang Papst Benedikt im Segensgestus, „The Ecstasy of Pope Benedict“ (2005). Soll das religiösen Kitsch parodieren oder reproduziert das Objekt einfach eine Frömmigkeit, die sich in allem manifestieren kann? Und was soll man von den Objekten halten, mit denen Jeffrey Vallance der „friendly hen“ Blinky huldigt, einem Tiefkühlhuhn aus dem Supermarkt, das er bestattet hat, dessen Leben er einen Bildband widmet, von dem er Knochen in kleinen Reliquienschreinen präsentiert? Das kann ein Protest gegen die Massentierhaltung sein oder Kritik an bestimmten kultischen Formen. Oder eben auch Unsinn. Hans-Peter Feldmann reproduziert ikonische Museumsstücke, allerdings nicht komplett werkgetreu. Die Büste der Nofretete (2012) schielt.
Mit dem Absurden kann man explizit protestieren, wie es Jeremy Deller macht mit einem wandgroßen Union Jack, überschrieben „Welcome to the Shitshow“ (2019). Der angolische Künstler Kiluanji Kia Henda inszeniert sich in Fotos als afrikanischer Diktator Mussunda N‘zombo auf Großwildjagd, nur dass seine Aufnahmen mit ausgestopften Antilopen in Naturdioramen eines Museums entstanden. Er persifliert die kolonialistisch geprägte Sicht auf Afrika.
Der Regisseur Ed Wood ist natürlich auch präsent: Ein kleines Kino im Ausstellungsraum präsentiert Szenen einiger wichtiger Werke von ihm sowie Momente weiterer einschlägiger Künstler. Da stehen Momente aus dem Streifen „Die Satansweiber von Tittfield“ des Sexfilmmachers Russ Meyer neben dem „Angriff der Killertomaten“ und dem pompösen Afro-Futurismus von Sun Ra in „Space Is The Place“. Der Film ist ein ideales Medium für enthusiastische Peinlichkeit: Schon 1924 verwandelte René Clair in „Entr‘acte“ eine Trauerzug in eine Art Ballett aus in Zeitlupe dahinhüpfenden Anzugträgern. Das Werk mit einigen wichtigen Akteuren des Dadaismus als Darstellern läuft auf einem kleinen Bildschirm. Das löste einen veritablen Skandal aus. Auf einer Empore findet man einen historischen Exkurs mit Schlüsselwerken von der Bruegel-Grafik mit drei Narren bis zum Surrealismus. Das Prinzip funktioniert bis in die Gegenwart, wie Mika Rottenbergs Kurzfilm „Sneeze“ (2012) zeigt, in dem Männer an einem Tisch niesen. Ihre Nasen sind monströs angeschwollen, und mit jedem Hatschi befördern sie etwas anderes auf den Tisch vor sich, von der Glühbirne bis zum lebenden Kaninchen. Opulenter queerer Kitsch ist in der Videoinstallation „Body Double 36“ (2019) von Brice Dellsperger zu erleben: Eine ganze Riege von Drag Queens beim Aerobic-Workout, digital gespiegelt zu einem faszinierenden Kaleidoskop bewegter Körper.
Das Peinliche kann monumental daherkommen, als Collage im raumfüllenden Format wie Jim Shaws Installation „Labyrinth: I Dreamt I was Taller than Jonathan Borowsky“ (2009), eine Comic-Apokalypse voller kulturgeschichtlicher Anspielungen, in der Nixon mit einem Dalí-Arm eine Rakete als Keule schwingt und Figuren aus Picassos Bild „Guernica“ auf panische Cartoon-Männchen treffen.
Dass der Humor vieler Arbeiten nicht jeden gleich anspricht, dass Argumentationslinien sich im Anekdotischen verflüchtigen, gehört zum Konzept. Aber wer einen Spaß versteht, wer sich locker machen kann, der wird viel Vergnügliches finden.
Bis 10.4.2023, di – so 10 – 19, mi bis 21 Uhr,
Tel. 0228 / 9171 243, www.bundeskunsthalle.de, Katalog, Distanz Verlag, Berlin, 35 Euro,
weitere Stationen: Deichtorhallen Hamburg 13.5.–27.8., Halle für Kunst, Graz 13.10.–25.2.2024